Fachartikel

Legal Tech Jahresrückblick & Ausblick auf 2021

Wer hätte Anfang des Jahres 2020 gedacht, dass Deutschland so stark unter einer globalen Pandemie zu leiden hat und sogar Geschäfte, Schulen und Universitäten komplett schließen müssen? Die Politik reagierte Anfang 2020 zögerlich und genügend Schutzmasken waren nicht vorhanden, obwohl dieses Szenario dem Deutschen Bundestag im „Bericht zur Risikoanalyse im Bevölkerungsschutz 2012“ mit Datum vom 3. Januar 2013 vorlag (Bundestagsdrucksache 17/12051). Darin wurde der fiktive, und von seiner Eintrittswahrscheinlichkeit als „bedingt wahrscheinlich“ angesehene, Fall einer „Pandemie durch Virus Modi-SARS“ – einem Coronavirus – behandelt. Leider wurden entsprechende Maßnahmen, wie z.B. die Vorhaltung von genügend Masken für die Bevölkerung und zielgenaue Lock-Down Szenarien, versäumt und der Bund und die Länder schienen unkoordiniert und überfordert. Nun schreiben wir das Jahr 2021, wieder sind alle Geschäfte, Schulen und Universitäten geschlossen und es ist noch völlig unabsehbar, wie sich diese Schließungen längerfristig auf die deutsche Wirtschaft auswirken werden.

Corona und die Rechtsbranche

Aber was bedeutete diese Situation für die Anwaltschaft und für Legal Tech Unternehmen 2020? Völlig unstrittig hat die Corona-Krise den Trend zu mehr Legal Tech und Digitalisierung in der Rechtsbranche deutlich gefördert. Laut einer Studie von Lexis Nexis im September 2020 erwarteten mehr als 80% der befragten Kanzleien eine vermehrte Nutzung von Legal Tech Tools und 70% der Befragten gaben an, dass für sie aufgrund von Homeoffice die Nutzung von Recherchelösungen und Legal Analytics Tools zunehmen wird. Auch der Einsatz von Online-Videokonferenzsystemen wie Zoom, Skype oder Teams, war noch nie so verbreitet in der Rechtsbranche wie zu Zeiten der Pandemie. Viele Mandanten/innen fanden nicht nur per Internet zur Kanzlei, sondern wurden erstmals auch in großer Zahl über das Web beraten. Dazu passte im August die Nachricht der Legal Tech Kanzlei Chevalier, dass immer mehr Gütetermine mittels Videoübertragung verhandelt werden.

Legal Tech Markt

2020 kamen wieder einige neue Legal Tech Geschäftsmodelle auf den Markt. Die CODUKA GmbH, bekannt als Anbieter von geblitzt.de, startete das neue arbeitsrechtliche Legal Tech Projekt gefeuert.de. Die rightsearch GmbH brachte mit anleger-klage.de eine Plattform für geschädigte Wirecard-Aktionäre auf den Markt. Das Berliner Startup schummelrechnungen.de kämpft gegen Handelsregisterbetrüger und die Flightright Tochter Mobilityright gründet den Service blitzerberater.de. Taylor Wessing und TW Legal Tech boten ab April ein zur Corona-Zeit passendes Kurzarbeitergeld Legal Tech-Tool an und der Bundesverband Legal Tech unterstützte die Plattform für Staatshilfen MACHER-HILFE.de.

Auch weitere Investments wurden 2020 hierzulande in Legal Tech getätigt. Die bmp Ventures AG etwa investierte im März zusammen mit dem IBG Risikokapitalfonds III GmbH & Co. KG („IBG“) in das Legal Tech Startup VISARIGHT. VR Ventures und das Family Office des Schwarzwälder Boten investierten 8,5 Millionen Euro in das Düsseldorfer Legal Tech RightNow. Das Berliner Legal Tech Startup Legal OS startete mit Fördermitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung durch. Und auch das Legal-Tech-StartUp Juracus der Legal Analytics GmbH verzeichnete dank zweier Investoren eine Finanzierung im hohen sechsstelligen Bereich.

Im März 2020 ging der neu gegründete Bundesverband Legal Tech Deutschland e.V. an den Start, der sich als Repräsentant von Legal Tech Unternehmungen innerhalb und außerhalb von Kanzleien sieht und sich für einen innovationsfreundlichen Rechtsrahmen, Rechtssicherheit sowie die Förderung und Erleichterung von Investitionen in Legal Tech Unternehmungen einsetzt. Sehr vielversprechend erschien 2020 auch die Neugründung des Heidelberger Technologie-Startups codefy, die an einem intelligenten Entscheidungsassistenten arbeiten, der die menschliche Arbeit mit Texten fundamental verbessern soll. Kurz vor Ende das Jahres gab es aber auch einen Legal Tech Rückschlag, der allerdings weniger auf dem Service selber, als denn mehr auf Konkurrenten-Klagen beruhte. Der US-Legal Tech Pionier ROSS, basierend auf der IBM KI Watson, kündigte zum 31. Januar 2021 an den Betrieb komplett einzustellen.

Legal Tech Bücher & Zeitschriften 2020

2020 erschienen auch wieder einige interessante Bücher und Zeitschriften zur Digitalisierung der Rechtsbranche. Zunächst im Juni das „Rechtshandbuch Artificial Intelligence und Machine Learning“ (Link zu Werbepartner) der Herausgeber Dr. Markus Kaulartz und Tom Braegelmann und gegen Ende des Jahres das Buch „Legal Tech-Strategien für Rechtsanwälte“ (Link zu Werbepartner) vom Herausgeber Dr. Frank Remmertz.

Im Oktober 2020 erschien erstmalig unser neues halbjährliches „Legal Tech Verzeichnis Fachmagazin“ als auflagenstärkstes Legal Tech Print-Magazin im deutschsprachigen Raum. Im November folgte dann die neue Zeitschrift für das Recht der Digitalisierung „Recht Digital RDi“ (Link zu Werbepartner), die nun monatlich im C.H. Beck Verlag erscheint. Und auch Wolters Kluwer plant für 2021 ein neues Print-Magazin namens „Zeitschrift für das Recht der digitalen Wirtschaft“ (ZdiW).

Veranstaltungen 2020 – Covid-19 forderte seinen Tribut

Legal Tech Veranstaltungen standen 2020 unter keinem guten Stern. Anfang des Jahres fand noch die Berlin Legal Tech vor Ort statt. Die größeren Präsenzveranstaltungen wurden dann aber als reine Online-Veranstaltung angesetzt oder sogar völlig abgesagt, wie zu unserem großen Bedauern das 3te Schweitzer Zukunftsforum (Link zu Werbepartner), welches nun auf den 19. Mai 2021 verlegt wurde. Rein online fanden der Anwaltszukunftskongress, der Deutsche Anwaltstag und der ReMeP statt.

Die größte Kongressmesse für Recht und Compliance Europas, die LEGAL REVOLUTION, die eigentlich zum vierten mal Ende November stattfinden sollte, musste leider ebenfalls auf Grund der Pandemie abgesagt werden. Initiator Dr. Jochen Brandhoff reagierte allerdings nicht nur mit einer Verschiebung der Messe, sondern kündigte gleich für 2021 das neue, parallele Online-Format LEGAL LIVE an, die nun vom 23.-25.03.2021 rein virtuell stattfindet.

Auch die zweite Preisverleihung des „European Women of Legal Tech Awards“ fand rein über das Internet statt. Diesmal wurden die verschiedenen Gewinnerinnen in vorher festgelegte Kategorien aufgeteilt.

Es bleibt abzuwarten, was die Corona-Maßnahmen 2021 an Präsenzveranstaltungen zulassen werden. Online-Veranstaltungen haben sich 2020 sicherlich als alternatives Medium verstärkt durchgesetzt und vielen Teilnehmer/innen sind die Vorteile bewusst geworden. Aufwendige Reise waren nicht mehr nötig, um einem Vortrag zu lauschen oder sich über Produkte zu informieren. Trotzdem ist das „echte“ Kennenlernen und Auge-in-Auge Schauen nicht durch eine Webcam zu ersetzen und daher werden auch in vielen Jahren noch Präsenzveranstaltungen eine große Rolle spielen.

Legal Tech in der Ausbildung

Mitte Mai erschien ein Gutachten der Friedrich Naumann Stiftung, dessen Kernaussage lautete, dass Legal Tech in der deutschen Juristenausbildung keine Rolle spielt. Da die Universitäten zwar langsam auch eigene Legal Tech Kurse anbieten, wie z.B den deutschlandweit einzigartigen Bachelorstudiengang „Legal Tech“ der Universität Passau, geplant zum Wintersemester 2020/21, sollte sich diese Angebotslücke 2021 weiter verkleinern. Nicht zuletzt auch durch nicht-universitäre Lernangebote, wie z.B. die neue Legaltech University Lernplattform in Zusammen­arbeit mit bekannten Kanzlei­en, Start­ups und Uni­ver­si­tät­en.

Ausblick auf 2021

Wie wird sich 2021 der Legal Tech Bereich weiter verändern? Ganz klar wird sich die Beratung noch weiter digitalisieren. Da sich zunächst an der Corona-Situation des Lock-Downs nichts geändert hat, werden Kanzleien weiter auf Videosysteme ausweichen und ihre Mandanten/innen verstärkt über das Internet beraten. Auch die Justiz ist durch Corona gezwungen noch schneller zu digitalisieren, wie z.B. durch Online-Verhandlungen. Home-Office ist durch die Situation 2020 ein Muss geworden. Hier hört man allerdings von unterschiedlichen Meinungen zu diesem Thema. Für manche ist Home-Office ein Standard der Zukunft, speziell aber einige Arbeitgeber halten davon immer noch nicht sehr viel. Spannend aber, welche Rechte dazu der Gesetzgeber noch verpflichtend einführen wird.

Da im Juni 2020 das OLG Köln entschieden hat, dass ein elektronischer Generator von Rechtsdokumenten, konkret smartlaw von Wolters Kluwer, nicht gegen das Rechtsdienstleistungsgesetz verstößt, bleibt abzuwarten ob 2021 weitere Angebote in diesem Bereich entstehen und sich durchsetzen. Mehr hören wird man 2021 von Legal Design und Legal Design Thinking. Immer mehr Kanzleien sind diesen Themen offen gegenüber und setzen auch bereits auf diese Art der Entwicklung von Rechtsangeboten aus Mandantensicht.

Für Veranstalter wird das Jahr 2021 nicht einfach. Niemand kann aktuell planungssicher sagen, ob nach dem Frühjahr wieder Kongresse, Hackathons o.ä. vor Ort möglich sein werden und es kann auch niemand wissen, wie die Situation im nächsten Herbst / Winter aussehen wird. Hier ist man also weiter auf reine Online-Angebote angewiesen. Wahrscheinlich wird dies zu einem Boom von kurzen Vorträgen und größeren Kongressen, die rein online stattfinden, führen.

Ich wünsche allen Leserinnen und Lesern ein gesundes und erfolgreiches Jahr 2021.

Autor: Patrick Prior – Jurist und Legal Tech Berater

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