Perspektivwechsel: Wie erleben Studierende die Digitalisierung des Rechts?
Zwei Studierende der Hochschulinitiative disrUPt law e.V. berichten darüber, wie sie die Digitalisierung des Rechts wahrnehmen und was sie sich von ihr erhoffen.
LTV: Was war dein erster Berührungspunkt mit dem Thema Legal Tech?
Timon: Mit Legal Tech bin ich das erste Mal kurz vor Beginn meines Studiums in Berührung gekommen. Während der Einführungswochen haben sich verschiedene studentische Initiativen vorgestellt, darunter auch disrUPt law. Schon da hatte ich von dem Klischee des “analogen” Juristen gehört und war entsprechend gespannt, welche Bemühungen es gibt, dies zu ändern.
Marietta: Meinen ersten Berührungspunkt mit Legal Tech hatte ich während meines Bachelor-Studiums in Management & Technology an der TU München, als ich einen Wahlkurs zum Thema Legal Tech bei Prof. Dr. Heckmann besuchte. Darüber hinaus habe ich über Bekannte in München von den ersten Legal Tech-Initiativen gehört und mich über LinkedIn weitergehend informiert.
LTV: Wie hat die Digitalisierung des Rechts Einfluss auf deinen Alltag?
Timon: Schon jetzt hat die Digitalisierung im Recht, insbesondere in Form von juristischen Datenbanken wie beck-online oder Juris, mir ermöglicht, meine letzte Hausarbeit im Zivilrecht fast ausschließlich remote zu schreiben. Will heißen: Ich musste nur zweimal tatsächlich in die Bibliothek gehen, um Literatur nachzuschlagen. Natürlich sind mir dabei gerade, was fehlende Online-Lizenzen betrifft, die Grenzen der Digitalisierung in der juristischen Lehre aufgezeigt worden.
Marietta: Auch wenn Jura in manchen Augen trocken, altmodisch und konservativ erscheint, ist die Digitalisierung auch im juristischen Studium langsam angekommen. So lassen sich z.B. mit gesetze.io schnell verschiedenste Vorschriften nachschlagen, ohne dafür kiloweise Bücher schleppen zu müssen. Abseits des Studiums sind es vor allem Nachrichten, Events und Blogbeiträge, mit denen ich mich beschäftige, um am Puls der Zeit zu bleiben.
LTV: Hattest du in Bezug auf Legal Tech ein AHA-Erlebnis? Wenn ja, welches war das?
Timon: Ein wirkliches AHA-Erlebnis kann ich nicht festhalten. Vielmehr konnte ich in meinen ersten drei Semestern des Jura-Studiums und vor allem auch durch mein Engagement bei disrUPt law viele verschiedene Erfahrungen und Beobachtungen machen. Aus diesen Erfahrungen habe ich drei Erkenntnisse gezogen. Zunächst ist mir bei näherer Beschäftigung mit dem Thema klar geworden, dass hinter dem Begriff “Legal Tech” eine komplette Erneuerung der juristischen Welt steckt. Neben digitalen Lösungen zu juristischen Problemen bringt diese neue Entwicklung auch Innovation und Entrepreneurship im Bereich Jura mit sich. Außerdem muss Legal Tech keine komplexe Wissenschaft sein. Das soll sicherlich nicht heißen, es sei simpel. Ganz im Gegenteil: Vor allem bei der Anwendung in hoch regulierten Branchen werden auch digitale rechtliche Lösungen komplex. Aber trotzdem ist es mit etwas juristischem und technischem Verständnis einfach, einen Zugang zu dem Thema zu finden. Coding-Kenntnisse sind auf keinen Fall eine Voraussetzung. Insofern braucht auch niemand Angst vor der Digitalisierung zu haben. Z.B. kann schon der geschickte Einsatz von Excel-Tabellen und Formularen innovativ sein. Was mich zu meiner dritten Erkenntnis führt: Legal Tech steht noch ganz am Anfang. Momentan kann noch jede Lösung, die über den gedruckten Grüneberg und Microsoft Word hinausgeht, als Legal Tech bezeichnet werden. Trotzdem gibt es natürlich schon viele Start Ups und mittlerweile auch Kanzleien, die sich an weiterführenden Lösungen versuchen.
Marietta: Mein AHA-Erlebnis besteht aus einer Reihe von Beobachtungen, die ich in den vergangenen eineinhalb Jahren machen durfte. Zunächst war dies die Offenheit der Branche. Aber auch der Austausch mit Start-Up-Gründer:innen, Anwält:innen und Forscher:innen hat mir gezeigt, dass es in diesem Bereich noch enormes Potenzial gibt und dass sich alle über Gleichgesinnte freuen, die sich mit den Themen der Digitalisierung beschäftigen. Zudem ist Legal Tech für jeden eine riesige Chance. Man sollte die Digitalisierung im Rechtsbereich weniger als Bedrohung und mehr als Möglichkeit anerkennen, um durch Automatisierung Menschen zu ihren Rechten verhelfen und Prozesse effizienter gestalten zu können. Jede*r, der*die sich für die Themen der Digitalisierung interessiert, findet dabei den passenden Einstieg – und das auch ohne Coding-Vorkenntnisse. Legal Tech ist keine “Rocket Science”, sondern sollte grundlegend in die juristische Ausbildung integriert werden. Um die herausfordernden rechtlichen Fragen beurteilen zu können, werden daher vor allem auch interdisziplinäre Juristen:innen in der Start-Up-Szene gebraucht.
LTV: Warum setzt du dich nach wie vor für die Digitalisierung des Rechts ein? Was treibt dich dazu an?
Timon: Ich sehe in Legal Tech die Zukunft des juristischen Arbeitens. Wie bereits gesagt, entwickelt sich die Welt rasend schnell. Im Zuge der Digitalisierung entstehen komplett neue Branchen, die wir uns vor zehn Jahren noch nicht hätten vorstellen können (Beispiel: Digital Fashion). Für mich ist klar, dass die juristische Welt mit diesen neuen Herausforderungen wachsen und sich an sie anpassen muss. Nur mit Grüneberg und Habersack wird es wohl kaum möglich sein, diese neu entstehenden Sachverhalte juristisch zu bearbeiten. Deswegen sollte sich die juristische Ausbildung an den Sachverhalten orientieren, mit denen die Studierenden in ihrem Arbeitsalltag konfrontiert werden. Das werden weiterhin Erbrechtsstreitigkeiten sein, aber eben auch datenschutzrechtliche Themen und solche, von denen wir heute noch gar nicht wissen, dass sie uns morgen beschäftigen. Aus diesem Grund setze ich mich dafür ein, dass die Digitalisierung des Rechts, angefangen bei der juristischen Ausbildung, weiter voranschreitet und sich an die rasanten Entwicklungen in anderen Branchen anpasst.
Marietta: Mich treibt an, dass die Digitalisierung des Rechts so vielschichtig ist und alle Bereiche langfristig verändern wird. Ich denke, dass schon Studierende ein Skillset aufbauen sollten, um sich später schnell an neue technologische Phänomene und Arbeitsweisen anpassen zu können. Die Möglichkeiten sind unendlich und ich sehe ein extrem großes Potenzial in der Automatisierung von wiederkehrenden Prozessen, um einen größeren Fokus auf die sehr spannende, juristische Arbeit legen zu können. Insbesondere, um den Zugang zum Recht zu verbessern, sehe ich auch viele Möglichkeiten, positiven Social Impact durch Legal Tech und die Digitalisierung des Rechts zu schaffen.
LTV: Vielen Dank Marietta und Timon für das interessante Interview und weiterhin viel Erfolg.
Interviewter: Timon Engel studiert im vierten Semester Jura an der Universität Heidelberg und engagiert sich als Specialist für Knowledge bei disrUPt law Heidelberg e.V. Neben seinem Studium arbeitet er als Werkstudent bei einem InsurTech Start-Up, wodurch er direkte Einblicke in die Entwicklung der rechtlichen Praxis im Zuge der Digitalisierung erhält. Er ist besonders interessiert daran, wie Legal Tech den juristischen Alltag vereinfachen und verbessern kann. Durch sein Engagement bei disrUPt law möchte er dieses Interesse ausleben und weitere Einblicke in die Zukunft des Rechts bekommen.
Interviewte: Marietta Ostendorf studiert aktuell Jura im vierten Semester an der Universität Heidelberg und ist Vice President der studentischen Initiative disrUPt law Heidelberg e.V. Zuvor hat sie ihren Bachelor in Management & Technology (IT) an der TU München abgeschlossen und ein Social Start-Up in Uganda geleitet. Durch ihre Tätigkeit als studentische Hilfskraft am Lehrstuhl von Prof. Dr. Christian Heinze erhält sie auch erste wissenschaftliche Einblicke in das Themenfeld der Digitalisierung des Rechts.