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Iur.reform – für einen datenbasierten Diskurs der Reform der juristischen Ausbildung

Der Bundestag befasste sich in den letzten beiden Jahren mit den Themen „Juristische Ausbildung an das digitale Zeitalter anpassen“ (BT-Drucksache 19/23121) sowie „Juristische Ausbildung reformieren, Transparenz und Qualität erhöhen, Chancengleichheit gewährleisten“ (BT-Drucksache 19/24643). In der öffentlichen Anhörung im Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz sahen alle Akteur:innen dringendsten Reformbedarf, den nicht zuletzt Pandemie und Digitalisierung offenlegten. Das Jurastudium steht also im Umbruch, obwohl es – aufgrund der vielfältigen Akteur:innen – strukturell als schwer reformierbar gilt. Denn die Universitäten, die JuMiKo, der Bundestag, die Landesprüfungsämter, die OLG und Verbände (DAV, BRAK, DRB, DJFT, BRF) müssen beteiligt werden.

iur.reform – es ist Zeit für eine neue juristische Ausbildung!

Folglich hat sich die juristische Ausbildung in den letzten 150 Jahren kaum verändert. So hat kein anderes Land in Europa seine juristische Ausbildung bisweilen so wenig verändert. Zuletzt gab es 2003 eine erwähnenswerte Änderung, indem bundesweit die Schwerpunktbereiche ihren Einzug in die universitäre Ausbildung fanden. Davor wurde mittels Einführung einer Experimentierklausel die sog. einstufige Jurist:innenausbildung erprobt – jedoch blieb es nur bei einem Experiment.

Die Reformdiskussion wird zur Daueraufgabe. Doch hier liegt das Problem: Trotz vieler, umfangreicher Publikationen zur Thematik fehlt es an einem Überblick des Meinungsstandes. Hier setzt iur.reform an: Der zersplitterte Reformdiskurs soll endlich gebündelt und neu angestoßen werden.

Ziel der Initiative iur.reform ist, in Zusammenarbeit mit den quantitativen Wissenschaften, zuverlässige, valide und objektive Ergebnisse zu sichern und öffentlich für jeden zugänglich zu machen.

Konzept und Abstimmung

Um den zersplitterten Reformdiskurs hinsichtlich einer Veränderung der juristischen Ausbildung zu bündeln, hat die Initiative iur.reform über 250 Beiträge zur Reformdebatte seit dem Jahr 2000 ausgewertet und daraus die 44 am häufigsten diskutierten Reformthesen zusammengefasst. Im Rahmen des Stakeholderprozesses wurden verschiedene juristische Berufsverbände zum Vorgehen der iur.reform konsultiert. So wurde das Vorgehen und die Entwicklung der Abstimmung bereits frühzeitig u.a. mit dem DAV, BRF und ELSA koordiniert. Damit der tatsächliche Reformbedarf und dessen inhaltliche Richtung unter allen an der juristischen Ausbildung beteiligten Akteur:innen (Justiz, Praktiker:innen, Professor:innen, Studierende, Studienabbrecher:innen; politische Entscheidungsträger:innen) ermittelt werden kann, ist auf www.iurreform.de am 17.01.2022 eine Abstimmung über diese Reformthesen gestartet. So wird auf Basis der gegenwärtigen Reformvorschläge eine Datengrundlage des Meinungsbildes geschaffen, welche als datenbasierte Grundlage für einen zielgerichteten Diskurs fungiert.

Die Initiative iur.reform hat seit dem Start der Abstimmung ein sehr positives Feedback erreicht was sich auch in den Teilnahmezahlen widerspiegelt. So haben seit dem Start der Abstimmung bereits über 6000 Personen abgestimmt. Um ein möglichst bereites Meinungsbild zu erhalten, ist jedoch weiterhin jede Stimme wichtig und trägt zur Weiterentwicklung des Diskurses bei!

Auswertung

Mittel- und Langfristig sind weitere Schritte geplant. Zunächst erfolgt die Auswertung der erhobenen Daten institutsübergreifend, interdisziplinär, ergebnisoffen und frei von politischen Agenden. Austauschkanäle mit einigen die JuMiKo vorbereitende Landesministerien sind bereits errichtet. Dies dient der Vorbereitung für die konkrete Umsetzung, welche in enger Zusammenarbeit mit den umsetzenden Akteur:innen zu gestalten ist. Das Ziel dieses Prozesses ist herauszufinden, wie eine strukturierte Darstellung der reformbedürftigen Teile der juristischen Ausbildung auf politischer Ebene umsetzbar ist. Dazu soll die Darstellung des status quo gepaart mit konkreten, lösungsorientierten Änderungen, die auf direktem Weg durch Gesetzgebungsverfahren umgesetzt werden können, dargestellt werden.

Denkbar wären grundsätzlich zwei Wege, die Reform voranzutreiben. Liegen bei Abschluss der Abstimmung bezüglich bestimmter Thesen eindeutige Meinungsbilder vor, können für diese (politische) Sofortprogramme entworfen werden. Diese würden konkrete Vorschläge für die jeweilige Umsetzung enthalten.

Ergeben sich keine eindeutigen Meinungsbilder, wird eine umfassende Auswertung der Thesen vorgenommen. Dort soll das Dafür- und Dagegenhalten dargelegt und die einzelnen Stimmen kontextualisiert ausgewertet werden. Hierfür ist ein umfangreicheres Vorgehen erforderlich, damit auch diese Thesen lösungsorientiert in den Diskurs um die Reform einfließen.

Die Auswertung wird von der iur.reform selbst unter Heranziehung einzelner ausgewählter Expert:innen für besondere Fachgebiete stattfinden. Als Ziel zur Fertigstellung ist hier Ende des Jahres 2022 angesetzt. Die am Ende stehende wissenschaftliche Studie wird in einer frei zugänglichen kostenlosen Fassung auf der Webseite der Initiative zur Verfügung gestellt.

Der gebündelte Diskurs soll anhand einer Akademie Loccum 2.0 dargestellt werden, um das übergeordnete Ziel, Abstimmungsergebnisse den juristischen Diskurs weiterzuentwickeln, zu fördern. Denkbar hierfür wäre unter anderem auch eine Experimentierklausel 2.0 zu errichten.

Nur so kann die juristische Ausbildung ihre oftmals proklamierte Bestimmung, die beste der Welt zu sein auch wirklich erreichen.

Autorin: Sophie Dahmen hat nach dem ersten Examen eine Ausbildung zur Mediatorin absolviert und befindet sich nun im juristischen Vorbereitungsdienst in Brandenburg.

Autor: Philipp Hilpert studiert an der Universität Göttingen und bereitet sich auf sein erstes juristisches Staatsexamen vor.

Autor: Malte Krukenberg ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg und promoviert im Vergaberecht

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