Zwei Rechtsschutzversicherer rocken mit 27,5 Mio. EUR für die Rightmart Group den LegalTech-Markt
Die echten Insider der LegalTech- und Rechtsschutzbranche brauchten die LegalTech-Podcasts der letzten Monate nur zu lauschen, um zwischen den Zeilen von Marco Klock (CEO) zu lesen, dass das Engagement des strategischen Investors, die KS Auxilia Rechtsschutz, vor einer weiteren Runde für die Rightmart Group steht. Als die Meldung über den Ticker lief, dass die LVM als großer Versicherer dazu stößt und beide Versicherer mit 27,5 Mio. EUR eine neue Zeitrechnung für den LegalTech-Markt eröffnen wollen, stellten sich für viele Marktteilnehmer und gerade die Versicherer einige Fragen zur Strategie und den vermeintlichen Mehrwert für das jeweilige Geschäftsmodell. Was mich als „Ex-Rechtsschutzvorstand“ besonders gefreut hat, ist, dass sich hier zwei ideal zueinander passende Wettbewerber gefunden haben, die ein gemeinsames Mindset von der Zukunft des Rechtsmarktes zu haben scheinen und sich wechselseitig in einer schwergewichtigen Kooperation auch vertrauen, was unerlässlich ist, um dann in the long run auch nachhaltigen Erfolg auf allen Seiten zu haben. Aber was könnten die strategischen Hintergründe und Erfolgsszenarien für dieses strategische Großengagement der beiden Versicherer für die Rightmart Group sein und wo geht die Reise hin?
Rechtsdienstleistungsmarkt 2030 kommt näher
Eine immer wieder aufmerksam zu lesende Studie ist die DAV Zukunftsstudie 2030 für den deutschen Rechtsmarkt und wenn sich die Anwaltschaft wie beschrieben disruptiv verändert, dann schlägt dies natürlich auch voll auf die Rechtsschutzversicherer durch, die sich aber schon seit längerer Zeit auf dem Weg zum Konfliktlöser und Rechtsnavigator und weg vom Kostenerstatter für ihre Kunden und Vertriebspartner gemacht haben. Mit LegalTech-Eigengründungen werden auch erste Versuche gegangen, um an diesem neuen Markt der situativen Rechtsberatung teilzuhaben bzw. weitergedacht, über „schlaue“ Leads in neuen Ökowelten das Rechtsschutzneugeschäft zu pushen.
Nach den Ergebnissen der DAV Studie (aus 2013!) kann davon ausgegangen werden, dass mit der Zulassung von Alternative Business Structures (ABS) im deutschen Rechtsdienstleistungsmarkt und der zumindest teilweisen Abschaffung des Anwaltsmonopols über das Rechtsdienstleistungsgesetz (RDG) zahlreiche neue finanzkräftige Akteure in den Rechtsdienstleistungsmarkt eintreten werden. The Big money is coming, wir bewegen uns in einem sehr zerklüfteten 30 Mrd. EUR Gesamt-Rechtsmarkt. Klassische Finanzinvestoren, wie Versicherungen und Banken können in Anwaltsgesellschaften einsteigen und Anteile an Kanzleien erwerben. Versicherer können als 100-prozentige Stakeholder auch eigene Law Firms gründen. Die Konkurrenz wird größer, der Rechtsdienstleistungsmarkt wird somit vielfältiger und auch wettbewerbsintensiver. Allerdings wird rechtliche Beratung zu standardisierbaren Rechtsproblemen (Flightright und geblitzt.de als Pioniere) zunehmend in die Hand neuer (LegalTech-)Anbieter übergehen. Weiterhin ist zu erwarten, dass große Kanzleiketten auf den Markt drängen, Beratung im Supermarkt – wie bei Danni Lowinski – wird vielerorts üblich werden können und ABS Kanzleiverbünde und Genossenschaften (Apraxa oder DIRO) werden regen Mitgliederzulauf verzeichnen.
Technologische Innovationen werden diese Entwicklung weiter verstärken. Mit Hilfe intelligenter Algorithmen werden Verbraucher und Rechtsratsuchende im Internet zur gewünschten Rechtsauskunft geführt. Weitere Onlinesysteme werden rechtliche Beratung zu Verbraucherthemen, Sozialrechtsfragen und Ähnliches kostengünstig und niederschwellig anbieten. Die Preise am Rechtsdienstleistungsmarkt werden weiter aufgrund dieses Strukturwandels sinken, um dann nach Konsolidierungen in die Profitzone zurückzukehren. Diese Ergebnisse und Prognosen der Studie scheinen sich die Strategie-Teams der Versicherer Auxilia und LVM sowie von Rightmart zu Herzen genommen und als Leitplanken für ihre gemeinsame Weiterentwicklung der jeweiligen Geschäftsmodelle gesetzt zu haben. Dies erfolgte mit Blick auf die heutige Marktsituation im Rechtsmarkt völlig zu Recht. Wer im Rechtsdienstleistungsmarkt Wachstum nachhaltig skalieren oder auf Seiten der Versicherer relevante Nutzenvorteile aus der verlängerten Wertschöpfungskette der Rechtsberatung und Mandatsabwicklung ziehen möchte, ist gut beraten dies in Allianzen und verbindlichen Kooperationen zu suchen, um das situative Mandatsgeschäft zu verstetigen. Nichts liegt näher, als eine strategische und operative WIN-WIN-WIN-Symbiose zwischen Rechtsdienstleister und Versicherer und den jeweiligen Kunden herzustellen, die dann auch über Kapitalbeteiligungen abgesichert werden. Man muss hier nicht, wie die beiden Versicherer beweisen, auf den EuGH und den Fall des Fremdbesitzverbotes warten, es gibt vielfältige andere Gestaltungsmöglichkeiten für ein für die Versicherer versicherungsnahes Geschäftsmodell.
Ob es zu Gründungen eigener Kanzleien durch Versicherer noch kommt? Das hängt auch von Fragen der Liberalisierung des § 4 RDG ab, da dann die angestellten (Syndikus)Anwälte der Versicherer ein Eigenregulierungsangebot den Versicherten werden unterbreiten können, so wie dies bereits in vielen anderen Ländern heute möglich ist und wie in der Schweiz, zu noch höheren Marktdurchdringungen als in Deutschland führt. Liberalisierungen für alle Player des Rechtsmarktes bedeutet im Ergebnis einen größeren Rechtsmarkt gerade im Verbraucherrechtsbereich und damit mehr Rechtsschutz für die Bevölkerung insgesamt. Nicht zu vergessen, die KMUs, die noch verkannten Umsatz-Burner für die LegalTechs in der Zukunft.
LegalTech-Marktkonsolidierung und Kanzlei-Netzwerk
Wer an ein Ökosystem Recht glaubt, das sich auf einer „Check24-Legal-Plattform“ dann vereint und damit ein skalierendes Wachstum sicherstellt, der gehört heute noch zu den Phantasten. Aber darauf vorbereitet zu sein als Versicherer, das sollte in den Risiko- und Strategieszenarien dann doch schon heute vorkommen. Und nicht zu vergessen, mit 23 Mio. Rechtsschutzverträgen und gut 55 Mio. versicherten Risiken sollte bzw. muss man den Anspruch als Versicherer haben, den Zukunftsmarkt in Sachen Recht auch mitzugestalten.
Der anstehende Weg der Rightmart Group ist klar kommuniziert. Die Finanzierung der Rechtsschutzversicherer markiert den Start einer Konsolidierungsstrategie für den Verbraucherrechtsmarkt, um das Wachstum weiter zu beschleunigen und Skaleneffekte zu maximieren. So strebt das Bremer Unternehmen an, unterschiedliche LegalTechs zu konsolidieren und in Zusammenarbeit mit Partnerkanzleien die größte und bekannteste Kanzleimarke für Verbraucherrecht aufzubauen. Letzteres soll anorganisch auf Basis einer Roll-up-Strategie für Kanzleien beschleunigt werden. Die Ansage von Marco Klock (CEO) in der Presseerklärung: „Ob für Legal Techs oder Kanzleien: Im Rechtsmarkt für Verbraucher sind Skaleneffekte notwendig. Die Entscheidung, auch anorganisch zu wachsen, beschleunigt das Rennen in diesem ‘Winner takes it all-Markt’ noch einmal deutlich.“ Also es wird eine stufenweise Doppelstrategie verfolgt, die dann auch auf die regionalen Anforderungen der Versicherer und deren Vertriebspartner einzahlt. Die etwas „Älteren“ erinnern sich vielleicht noch an das 2007 insolvent gegangene Juraxx (Brand)-Kanzleinetzwerk und Danni Lowinski als Anwältin im Supermarkt. Beides wird hier nicht verfolgt und auch um Rightmart-Franchise-Kanzleien geht es augenscheinlich nicht.
Es wird spannend werden, welche LegalTechs in den Fokus von Rightmart geraten werden, aber sollten sie das Leistungsprofil von Rechtsschutzversicherern auf der Produktseite stärken, dann ist die Chance auf Skalierung groß, auch wenn nicht zu unterschätzen ist, dass man eine klare Kommunikationsstrategie bis auf Vermittler- und Kundenebene nachhaltig fahren muss, um spürbare Effekte in der Legal-Nutzung zu erzielen, die dann auch auf die Kundenbindung und Vermittlerzufriedenheit einzahlt. Customer Centricity ist in aller Munde, aber insbesondere im „Moment of Truth“, dem Rechtsschutz-Schadenfall, sowie dem Bestandskundenmanagement ist dort noch viel Luft nach oben, um nicht nur einmal im Jahr über die Beitragsrechnung von sich als Versicherer hören zu lassen.
Die Mission von Rechtsschutz und LegalTechs
Bereits seit 2019 hatte ich angemahnt und auf Konferenzen referiert, dass die Schere aus dem Kopf muss, dass Rechtsschutz und LegalTechs etwas Gegensätzliches wären, gar erbitterte Wettbewerber in einem disruptiven und immer mehr digitalen Rechtsmarkt im Kampf um Mandanten und die Kundenschnittstellen der Versicherten. Daran ist schon falsch, dass es nicht nur einen digitalen Rechtsdienstleistungsmarkt wie auch Versicherungsmarkt geben wird, sondern weiterhin einen stationären und vom persönlichen Kontakt geprägten regionalen Anwaltsmarkt. Aber er wird anders sein, digitaler in den Prozessen und Kanzlei-Rechtsservices für die Mandanten und Versicherten der Rechtsschutzversicherer. Dies gemeinsam zu Denken und in Geschäfts-, Prozess- und Rechtsservice-Modelle umzusetzen, ist die Aufgabe der Stunde für Versicherer und LegalTechs.
Das Verbraucher und Verbraucherinnen weit mehr von ihren Versicherern an Rechtsservice und auch Rechtsvertretung erwarten, als die Anwaltschaft immer gerne vorträgt und mit Blick auf die „Lex Rechtsschutz“ des § 4 RDG ablehnt, ist offenkundig und mehrfach von den Marktforschern erhoben und in den GDV-Publikationen bestätigt worden. Fragt man Versicherungskunden, ob sie sich vorstellen könnten, dass sich ihr Versicherer um ihre Rechtsfälle aktiv kümmern und durch eigene angestellte Rechtsanwälte bearbeiten lassen würde, dann überrascht schon, dass sich 46% sogar eine gerichtliche Vertretung durch ihren Versicherer vorstellen könnten. Kunden und Versicherte sehen in den (Syndikus)-Anwälten der Rechtsschutzversicherer durchaus ihre Interessenvertreter, erwarten eine rechtliche Beratung und Unterstützung für eine außergerichtliche Einigung mit der Gegenseite.
Versicherungen sind eigentlich dazu gedacht personalisierte Risiken abzusichern, was bedeutet, dass auch die Versicherten diesen Bedarf für sich selbst erkennen und auf Dauer bestätigen müssen, was dann zur nachhaltigen Kundenbindung und den Wiederkäufern bzw. Wiedernutzern von Rechtsservices führt. Vertrauen an die Notwendigkeit und noch mehr, an die Leistungsfähigkeit seiner vom Kunden gewählten Rechtsschutzversicherung ist dabei einer der größten Treue-Hebel, den man durch entsprechend einprägsame Kundenerlebnisse fortlaufend unterlegen und bestätigen muss.
Damit gelangt man dann ohne Umwege zu den LegalTechs, die die Rechtsschutzversicherer darauf gestoßen haben, dass auch kleine Streitigkeiten der Verbraucher und Versicherten von hoher emotionaler Relevanz sind, z.B. die Reisepreisminderung bei Kakerlaken im Hotelzimmer. Kleiner Streitwert, geringe Anwaltskosten und hoher Eigenanteil durch die Selbstbehalte der Versicherer, dies ist nicht ideal, führt zu Kundenenttäuschungen, die die Sinnhaftigkeit der Police in Frage stellen und damit die Stornogefahr deutlich erhöht. Nichts ist teurer für einen Versicherer als der Verlust von schadensfreien Versicherungsnehmern. Welche Sparte hat derart viele Optionen, um Customer Satisfaction und damit Kundenbindung über smarte Rechtsservices zu erzeugen? Keine, vielmehr kann man mit Embedded Legal Services andere Sparten aufladen und neue Leads für Rechtsschutz generieren.
Unabhängig von der Frage, in welchem Umfang sich die Rechtsschutzversicherer in ihren Geschäftsfeldern Rechtsschutz und Rechtsdienstleistungen selbst zu einem LegalTech und neuen Anbieter von situativen Rechtsprodukten entwickeln sollten, gilt es die Entwicklungen im LegalTech-Markt weiter zu beobachten und monitoren, der sich doch in wesentlichen Elementen vom Fin- und InsurTech-Markt unterscheidet. Dies beginnt mit der Investitionszurückhaltung der möglichen Kapitalgeber, den rechtlichen Rahmenbedingungen für anwaltliche Dienstleistungen und endet mit der Beschränkung auf den deutschen Markt, der mit anderen Rechtsmärkten kaum vergleichbar ist, womit die internationale Skalierbarkeit von Geschäftsmodellen im großen Stil entfällt.
So allmählich breitet sich auch unter den LegalTech CEOs die Erkenntnis aus, dass es ohne die Rechtsschutzversicherer mit ihren 23 Mio. Verträgen wohl doch nichts wird mit smarten LegalTech-Angeboten und dem versprochenen Zugang zum Recht für die breite Masse der Verbraucher und Verbraucherinnen. Aus einer zum Teil konfrontativen Positionierung um den Rechtsmarkt der Zukunft, die auch Grund für die bisherige Invest-Zurückhaltung der Versicherer ist, entwickelt sich aktuell eine Sicht der wechselseitigen Abhängigkeit. Denken wir uns nämlich einmal die rechtsschutz-finanzierten Umsätze der LegalTechs weg, dann wird man zu einer großen Ernüchterung für die Branche kommen, was sie mit den InsurTechs gemeinsam hat, auch diese gewinnen keine relevanten Marktanteile oder wandeln sich vom Versicherer zum Tech- und Plattformdienstleister.
Rechtsschutzversicherer verfolgen das Geschäft mit der Sicherheit auf langer Strecke und dem besonderem Sicherheitsbedürfnis der Kunden und Kundinnen für den Fall der Fälle und dies wird auch so bleiben bzw. mit der Generation der Babyboomer sich weiter verstärken. Übrigens ein riesiger und für Sicherheit und Convenience zahlungsbereiter Markt, der häufig völlig unterschätzt wird. Es steigen trotz, oder auch wegen der wirtschaftlichen Delle die Kauf- und Zahlungsbereitschaften sogar an und die Rechtsschutzversicherer sind aufgefordert, die Leistungs- und Convenienceanforderungen aller Kundensegmente aufzunehmen und für eine auf Dauer angelegte Kundenbindung zu bedienen, wozu dann auch LegalTech-Features gehören werden. Da es zukünftig auch on-demand Angebote der Rechtsschutzversicherer, z.B. für alle nicht versicherbaren oder versicherten Bereich, geben sollte und wird, ist ein weiteres ergänzendes Erlösmodell für LegalTechs über die Rechtsschutzversicherer denkbar und wechselseitig sinnvoll.
Die Schadenmanager der Rechtsschutzversicherer werden sich immer mehr auch als LegalTech-Company verstehen müssen, ob dies nun in den Bereichen und Schadenregulierungsgesellschaften selbst oder über eigene LegalTech-Töchter bzw. strategischen Beteiligungen geschehen wird, wird davon abhängen, wie der jeweilige Versicherer an einem sich liberalisierenden Rechtsdienstleistungsmarkt zukünftig teilnehmen will bzw. kann, diverse Varianten bis zu operativen Gemeinschaftsunternehmen sind hier denkbar. LegalTechs als Chance für Veränderungen mit mehr Wachstum für Rechtsschutz zu verstehen, um auch partnerschaftlich in einzelnen Bereichen erfolgreich zu kooperieren, ist die heutige Aufgabe für ein erfolgreiches Morgen. Wer heute anfängt, wie Auxilia und LVM, wird am Ende bei den Gewinnern sein und entsprechende Marktanteile im Rechtsschutzgeschäft unter Einschluss des Rechtsdienstleistungssegments in Form von situativen Rechts-Assistance-Produkten gewinnen können.
Für die LegalTechs wird es weiter darum gehen, die Versicherer oder auch Banken als Partner zu verstehen, um nicht nur Teil einer neuen Art von „Legal Protection Insurance“ zu werden, sondern auch „Legal Embedded Insurance“ und „Smart Legal Insurance“ für sich nutzbar und skalierbar zu machen. In anderen Märkten denken und neue Märkte schaffen, das ist der wahre Skill für dynamisches Wachstum von Rechtsschutz und LegalTechs bis 2030, um dann einen Rechtsdienstleistungsmarkt vorzufinden, wie ihn die DAV Zukunftsstudie 2030 bereits im Jahr 2013 beschreibt.
Autor: Rechtsanwalt Andreas Heinsen begann als HGB84-Versicherungsvermittler, absolvierte nach Jurastudium Stationen bei der Volksfürsorge, Hamburger Feuerkasse und Hamburg-Mannheimer. 1996 erfolgte die Berufung zum Vorstand der ÖRAG Rechtsschutz AG, 2010 zum Vorstandsvorsitzenden der Deutsche Assistance Versicherung AG. 2021 schied er nach 25 Vorstandsjahren aus seinen Ämtern aus und ist heute als beratender Rechtsanwalt und Dozent im Umfeld von Versicherern, LegalTechs sowie der Anwaltschaft tätig.