Fachartikel

Wie Tech-Startups den Standort Deutschland erleben

Startups und junge Tech-Unternehmen bewegen sich deutlich schneller als der Gesetzgeber – und fühlen sich oft in ihrer Dynamik ausgebremst.

Deutschland ist weltweit führend in der Technologie und Fertigung, insbesondere in der Automobil- und Maschinenbauindustrie. Zugleich befindet sich der Standort mitten in einem Startup-Boom, vor allem  im Bereich der Finanztechnologie, und konkurriert mit innovationsstarken Regionen wie dem Großraum London und der Bay Area in Kalifornien. Die veränderten Anforderungen an der Speerspitze der modernen Wirtschaft wirken sich auch auf Beschäftigungsverhältnisse in Deutschland aus. Startups, junge Technologieunternehmen – auf der einen Seite – sowie Arbeitnehmervertreter und der Gesetzgeber – auf der anderen Seite – stehen sich gegenüber. Sie müssen in schnell wachsenden neuen Branchen wie Fintech ebenso neue Wege des Miteinanders finden in der sich verändernden Arbeitslandschaft. Klassische Denkmuster gilt es mitunter zu überdenken. Künftig sollte es mehr darum gehen, Startups in geordneten Bahnen zu lenken, aber nicht übermäßig einzuschränken. 

Ist der Betriebsrat im Startup zeitgemäß?

Ein Großteil des deutschen Arbeitsrechts basiert auf den unzumutbaren Arbeitsbedingungen in Zeiten der Industrialisierung im 19. Jahrhundert. Die Zeiten haben sich geändert, erst durch die Automatisierung und zuletzt durch den Digitalisierungsschub, vor allem in den vergangenen Jahren. Ist das traditionelle deutsche Arbeitnehmerschutzrecht aber noch mit der heutigen Welt der remote arbeitenden hochqualifizierten Mitarbeiter vereinbar? Vielleicht wäre es an der Zeit, die Gesetze an die technologischen Fortschritte der letzten Jahrzehnte anzupassen und weiterzuentwickeln.

Es sind nicht nur hippe, dynamische Jung-CEOs, die sich zwischen Produktentwicklung in der Cloud und internationalen Finanzierungsrunden von Betriebsratssitzungen ausgebremst sehen. Auf Arbeitnehmerseite vollzieht sich ebenfalls ein Wandel. Die in der Regel gut ausgebildeten Tech-Spezialisten sehen den aktuellen Arbeitgeber nur als eine Station ihrer ambitionierten Karrierepläne. Sie wissen, dass sie überall auf der Welt arbeiten könnten, wo ihre Fähigkeiten gefragt sind, und sie können für sich selbst verhandeln. Teamgeist, Flexibilität und Eigenverantwortung sind ihnen wichtig. Sie sind auf Augenhöhe mit der Geschäftsführung und brauchen deswegen nicht unbedingt einen Betriebsrat. Der Firmenboss sitzt längst nicht mehr separiert im eigenen Büro mit Vorzimmer, sondern im gleichen Großraumbüro, trägt das gleiche T-Shirt mit Firmenbranding und wird mit Vornamen angesprochen – und das oft auf Englisch. Gerade in Startup-Epizentren wie Berlin und München haben viele Beschäftigte einen internationalen Hintergrund. Sie sind auf ihre Arbeit fokussiert, wollen etwas bewegen, neue Produkte auf den Markt bringen und sind mit dem Konzept des Betriebsrats ohnehin nicht vertraut.
 

Vorschriften und Überregulierung bremsen Startups aus

Es ist nicht die Absicht der Startup-Gründer, unvorteilhafte Arbeitsbedingungen zu etablieren und das Maximum aus ihren Mitarbeitern herauszuquetschen. Tatsächlich war das Home-Office bereits vor der Pandemie selbstverständlich (jedoch nicht in Deutschland) – und die Arbeitszeiten sind oft flexibler als in etablierten Unternehmen mit Betriebsrat. Hochmotivierte Gründer, die ihre Geschäftsidee in einem schnelllebigen Markt voranbringen wollen, verzweifeln jedoch oft an fragwürdigen Vorschriften und Überregulierung, etwa beim Datenschutz – nicht nur hierzulande, sondern auch EU-weit. Startups können nicht wachsen, wenn jede schnelle Entscheidung ein rechtliches Risiko darstellt. So hat sich für Arbeitgeber zuletzt durch das neue Nachweisgesetz, mit dem Deutschland die EU-Transparenzrichtlinie im Arbeitsrecht umgesetzt hat, der Verwaltungsaufwand nochmals erhöht. Die jüngste Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts besagt zudem, dass Arbeitszeiten zwingend erfasst werden müssen. Das Prinzip der Vertrauensarbeitszeit, welches in Startups gang und gäbe ist, soll dadurch wieder abgeschafft werden.

Das deutsche Arbeitsrecht ist nicht gerade auf die praktischen Bedürfnisse eines Startups der digitalen Welt ausgerichtet. So müssen beispielsweise bestimmte Vereinbarungen immer noch in schriftlicher Papierform abgeschlossen werden, obwohl es längst elektronische Signaturen wie DocuSign gibt. Viele Unternehmen fragen sich, ob das Recht hier auf dem neuesten Stand ist und verstehen nicht, was ein bedrucktes Blatt Papier bewirken kann, was ein digitales Dokument nicht kann. Im Zweifel wird ein Blatt Papier an der Bushaltestelle verloren, was die Schwäche von Papier in Sachen Datenschutz verdeutlicht. Außerdem ist die Wahrscheinlichkeit, dass ein Arbeitnehmer die Informationen in digitaler Form auf seinem Smartphone mit sich trägt, viel größer als die Chance, dass man stets jedes Dokument in Print-Form zur Hand hat. Der Gesetzgeber hat den technologischen Fortschritt und die Veränderungen, die in kurzer Zeit stattgefunden haben, vernachlässigt und hinkt der Entwicklung nun deutlich hinterher. Um mit der Dynamik im Startup-Umfeld mitzuhalten, müsste sich das Arbeitsrecht ebenso schnell verändern, wie es das iPhone mit jeder neuen Generation tut. Nach wie vor müssen sich jedoch moderne Unternehmen an ein veraltetes Arbeitsrecht anpassen – statt umgekehrt.

In Deutschland sind zudem virtuelle Arbeitsmöglichkeiten für Arbeitnehmer nur sehr eingeschränkt steuerlich begünstigt. Ebenso ist die Beteiligung der Mitarbeiter am Unternehmen mit einem hohen bürokratischen Aufwand verbunden. So ist auch fraglich, ob in Deutschland überhaupt die richtigen Vergütungsoptionen realisierbar sind, um aus dem Ausland Talente anzuziehen in einer internationalen Geschäftswelt, in der die Entwicklung schnell voranschreitet. Der Gesetzgeber sollte sich näher an den innovativen Bestrebungen und den technologischen Fortschritten der New Economy orientieren und veraltete Gesetze anpassen. Andernfalls dürfte die Diskrepanz zwischen Gesetzgebung und der Realität im Geschäftsalltag weiter zunehmen.

Zukunft von Betriebsräten und Gewerkschaften

Den Teamgedanken, gemeinsam etwas zu bewegen, sehen viele Gründer gefährdet, wenn sich erst einmal – wie in der Industrie – eine klare Trennlinie zwischen der Geschäftsführung und den Arbeitskräften in der Produktion etabliert hat. Betriebsräte und Gewerkschaften haben traditionell eine starke Position in klassischen Industriebranchen, aber auch im Dienstleistungssektor. Sie vertreten die Interessen der Arbeitnehmer, sorgen für Arbeitsplatzsicherheit und tragen letztlich zum sozialen Frieden bei. Arbeitskämpfe, Streiks und zähe Verhandlungen zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite sind in der Startup- und Tech-Welt jedoch kaum vorstellbar – oder gar nicht nötig.

Betriebsräte und Gewerkschaften werden sich wandeln müssen, wenn sie angesichts einer sich verändernden Joblandschaft und Arbeitnehmerstruktur ihren Platz in der modernen Arbeitswelt verteidigen wollen. So kann ein Betriebsrat durchaus auch in der Tech-Branche helfen, Themen wie Leistungskontrolle, Gesundheitsfragen, Sicherheit am Arbeitsplatz oder eine gewisse Regelung von Arbeitszeiten zu diskutieren. Tatsächlich gibt es in einigen Berliner Tech-Startups bereits Betriebsräte, die für das Miteinander auch durchaus förderlich sein können. Wie so oft gilt es einen Mittelweg zwischen dem Arbeiten und „Leben“ im hippen Loft-Office mit Billardtisch, Kicker & Co. und dem Privat-, Freizeit- und Familienleben außerhalb des Büros zu finden. Eine Kombination aus Home-Office für konzentriertes Arbeiten und Präsenz im Büro für Meetings und wichtige Projekte ist denkbar.

Selbstverwirklichung in einem dynamischen Umfeld

Junge Firmengründer und Digital Natives in aufstrebenden Startups sehen in Bürokratie, Betriebsräten und Gewerkschaften eher altmodische Instrumente. Dies liegt jedoch nicht an einem übertriebenen wirtschaftsliberalen Geist, sondern an den Gegebenheiten im Startup-Umfeld. Das Tech-Ökosystem ist geprägt von überaus mobilen Fachkräften, die oft einen internationalen Hintergrund haben. Sie picken sich die attraktivsten Standorte und Startups heraus, arbeiten für ein Jahr oder zwei an interessanten Projekten und wechseln dann weiter. Die Fluktuation ist entsprechend hoch, aber nicht, weil die Fachkräfte unzufrieden mit dem Arbeitgeber sind. Neue aufstrebende Branchen bieten einfach ein riesiges Potenzial, um sich zu verwirklichen, den eigenen Marktwert zu steigern und Erfahrungen zu sammeln – mitunter für die eigene Startup-Gründung.

Autorin: Miyu Lee ist Chief Legal Officer und General Counsel bei Mondu

- WERBUNG -