Fachartikel

Wie kann Legal Tech den Rechtszugang verbessern?

Im Zuge der Digitalisierung wird der Einsatz Künstlicher Intelligenz immer häufiger diskutiert. So erregt auch „Legal Tech“ große Aufmerksamkeit. Die Diskussion um Legal Tech ist beinahe unausweichlich, zumal der Hype um ChatGPT diese Diskussion beschleunigt hat.

Der Einsatz von Legal Tech wird im Zusammenhang mit dem Zugang zum Recht häufig kombiniert. So soll das Potenzial, das Legal Tech bietet, weitgreifender in Anspruch genommen werden. Dazu zählt auch die Verbesserung des Rechtszugangs. Hier stellt sich nun die Frage, wie der Rechtszugang durch Legal Tech verbessert wird. Dem Zugang zum Recht wird eine wesentliche Stellung im demokratischen Rechtsstaat zugewiesen. So ist es auch logisch, dass technologische Fortschritte dem Rechtszugang zugutekommen sollen. Zwar wird damit häufig der Zugang zu den Gerichten gemeint, doch kann die Verbesserung schon früher eintreten.

Einsatzmöglichkeiten von Legal Tech

Legal Tech kann an vielen Problemen anknüpfen, um den Zugang zum Recht für viele zu erleichtern. Rechtliche Sachverhalte weisen in der Regel ein nicht zu unterschätzendes Maß an Aufwand auf verschiedenen Ebenen auf, die von vielen Personen mit nur begrenzten Mitteln bewältigt werden können. Hier kann Legal Tech ansetzen.

Sachverhalte als rechtlich einzuordnen, erfordert von Betroffenen ein gewisses Maß an Rechtskenntnissen, welches nicht jedem zumutbar sein kann. Nur ein Bruchteil der einklagbaren Ansprüche schafft es überhaupt vor Gericht.

Insbesondere für Verbraucher konzipierte Legal Tech Tools übernehmen eine schnelle, kostenlose und zuverlässige Einordnung, ob ein rechtlich relevanter Sachverhalt vorliegt. Rechtssuchenden ist es möglich, relevante Informationen schnell online zu erhalten. Diese Tools fangen nicht nur fehlende Rechtskenntnisse auf, sondern minimieren auch Kosten. Dadurch wird eine kostenbelastete Vorprüfung durch einen Anwalt entbehrlich beziehungsweise nur für kritische Fälle nötig.

In geeigneten Fällen übernehmen Legal Tech Tools die Verfolgung der Ansprüche. Dabei arbeiten viele Verbraucher Tools mit Erfolgshonoraren und eliminieren das Kostenrisiko vollständig. Dabei verringern Sie auch den emotionalen Aufwand, welcher mit rechtlichen Streitigkeiten einhergeht und reduzieren Machtasymmetrien.

Auch rechtliche Angelegenheiten, neben Verbraucheransprüchen, werden durch Legal Tech erleichtert. Die Möglichkeit, z.B. eine Steuererklärung, eine Anzeige bei der Polizei oder Anträge gegenüber Behörden online und mit geführten Dokumenten abzugeben, verringert Hürden im Bereich der Stigmatisierung, Kosten, des Rechtsbewusstsein, des Zeitaufwandes und der Ortsunabhängigkeit. Insbesondere marginalisierten Gruppen wird dadurch geholfen.

So kann mit Legal Tech Menschen mit Behinderungen ein größerer Zugang zum gesamten Rechtsverkehr gegeben werden. Einen größeren Zugang fordert auch ein Bericht der UN-Sonderberichterstatterin für die Rechte von Menschen mit Behinderung „Zugänge und Leitlinien zum Zugang zum Recht für Menschen mit Behinderungen“ aus dem Jahr 2020.

Als Beispiel heranzuziehen sind Übersetzungsalgorithmen für Menschen mit kognitiven Einschränkungen, damit diese überhaupt Zugang zu Informationen haben. Weiter kann die Informationsbeschaffung für Personen mit Seheinschränkungen mit dem Einsatz von Legal Tech erleichtert werden wie zum Beispiel mit der Plattform REHADAT. Letztere bietet unter anderem auch Informationen zu juristischen Themen.

Aber auch bei anonymer Beratung mit Bezug auf sensible Themen wie Schulden, Strafbarkeit oder Schwangerschaftsabbruch bietet Legal Tech die Möglichkeit, Informationen und Dokumente online sicher zu übermitteln, wie es zum Beispiel die Online Beratung der Caritas zeigt. Solche Angebote reduzieren die Sorge vor unmittelbar entgegengebrachter Stigmatisierung bei den Rechtssuchenden.

Eine Machbarkeitsstudie des BMJV zum Thema „Entwicklung eines Chatbots für die maschinengestützte Aufnahme von Anträgen in den Rechtsantragstellen“ aus dem Jahr 2021 untersuchte die mögliche Umsetzung eines technisch autonomen Dialogsystems, welches Rechtssuchende in den Rechtsantragstellen der Gerichte effektiv unterstützen und die Geschäftsstellen entlasten könnte und erhielt positive Ergebnisse. Sie kam zu dem Ergebnis, dass ein großer Teil der Anzahl von Anfragen ohne persönliche Termine möglich sei. Legal Chatbots im gerichtlichen Kontext erweitern den Zugang durch jederzeitige und ortsunabhängige Verfügbarkeit. Denkbar für komplexere Anliegen könnte eine Antragsstellung mittels Videokonferenz sein.

Außerdem kann eine effektive Datenstrukturierung durch Legal Tech vor allem in Behörden zu einer Reduzierung fehlerhafter Bescheide führen, wodurch weniger Hürden für berechtigte Antragsteller existieren.

Kritisches

Sobald Legal Tech im Einsatz ist, stellt sich jedoch immer die berechtigte Frage, wie die jeweiligen Daten geschützt werden können. Datenschutz ist ein Aspekt, der kritisch betrachtet werden muss, zumal es sich bei den streitgegenständlichen Dokumenten um sensible und rechtliche Daten handelt. Den Anwendungen von Legal Tech liegen häufig Künstliche Intelligenz (KI) oder maschinelles Lernen zugrunde. Die Cybersicherheit des jeweiligen Systems kann hier z.B. von Datenlecks bedroht werden. Aber die Gefährdung kann auch schon viel früher eintreten, wenn vertrauliche Daten preisgegeben werden. Dies erinnert an die Problematik bei ChatGPT, wenn vertrauliche Daten eingegeben werden, vor allem durch Gebrauch von technisch nicht versierten Nutzern.

Mit Schwierigkeiten verbunden ist auch der vorherige Schritt, der Modellentwicklung, um z.B. diskriminierende Modellergebnisse zu vermeiden. Kombiniert mit dem stetigen Wandel von Innovation muss man sich also stets anpassen können.

Mit einem Blick nach Brüssel lässt sich diese Regulierungsbedürftigkeit auch bestätigen. Die Europäische Kommission hat im Dezember 2023 die politische Einigung zwischen dem Europäischen Parlament und dem Rat zur Regelung von KI mit dem AI Act begrüßt. Zweck ist hierbei die sichere Einsetzung künstlicher Intelligenz mit festgesetzten Regeln zur Art des Einsatzes von KI. Interessant ist an dieser Stelle den zukünftigen Einfluss von KI-Regulierung auf eine mögliche Hemmung des Rechtszugangs zu beobachten. Die zunehmende Regulierung kann vor allem auf Startups eine abschreckende Wirkung haben, die der Innovation entgegenwirkt. Gleichzeitig kann es auch von Vorteil sein klarere Anforderungen zu haben, um eine gewisse Transparenz zu erzielen.

Trotz der oben dargestellten Einsatzgebiete fällt auf, dass bestimmte Menschengruppen, Beratungsstellen und gemeinnützige Organisationen Legal Tech Anwendungen und ihre Potenziale nicht ausschöpfen können. Der sich aufdrängende Grund ist der finanzielle Aufwand, welche die Einsatzgebiete mit sich bringen.

Die meisten Legal Technologies – insbesondere klassische Konzepte für Verbraucher – sind nur für eindeutige Rechtslagen geeignet. Bei nicht geklärten Rechtsproblemen kommen die Konzepte an ihre Grenzen. Insbesondere bei Entscheidungen mit einem Ermessenspielraum spielt dies eine Rolle, die schwierig zu behandeln sind.

Zudem eignen sich kommerzielle Legal Tech Lösungen mit Erfolgshonoraren nur für spezifische Rechtsbereiche. Für Streitigkeiten im z.B. Sozialrecht sind sie weitestgehend ungeeignet, da hier selbst bei einem Gewinn wenig vom Rechtssuchenden abgetreten werden kann.

Auch bei der Konzeption eines Chatbots für Rechtsantragsstellen muss bedacht werden, dass komplexe Anliegen eine persönliche Beratung unerlässlich machen, damit die Fürsorgepflicht der Rechtspfleger gewahrt wird.

Auch rechtliche Hürden erschweren die Erweiterung des Rechtszuganges durch Legal Tech wie z.B. die Formvorschriften für den elektronischen Rechtsverkehr, welche die Möglichkeit der Einreichung eines Antrags mit der Hilfe eines Chatbots verhindern. 
Abschließend kann man sagen, dass Legal Tech bereits den Rechtszugang erleichtert und in diesem Bereich auch noch viel Potenzial hat. Es muss sich nur immer wieder gefragt werden, ob es sich bei etwas wirklich um Legal Tech handelt oder um digitale Kundenakquise. Hier sind insbesondere marginalisierte Gruppen von gefährdet.

Autor:innen: Helin Kayacan und Victoria Williams sind Studentinnen der Rechtswissenschaften und Mitglied bei dem Legal Tech Verein der Justus-Liebig-Universität Gießen JUST Legal Tech e.V..

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