Fachartikel

Unsere Kunden interessieren sich nicht für Legal Tech

Legal Tech ist im Rechtsbereich nun seit über einem Jahrzehnt in aller Munde und hat sich in den letzten Jahren von einem Nischenthema zu einem etablierten und stetig wachsenden Segment entwickelt. Immer mehr Tech-Lösungen unterstützen die tägliche Arbeit und die Mandatsbetreuung in Kanzleien. Dabei ist es schon lange nicht mehr die Frage, ob, sondern wie Legal Tech im jeweiligen Rechtsbereich unterstützen kann.

Als Folge stellt sich bei der Vermarktung der Rechtsdienstleistungen von Kanzleien ein neues Phänomen ein. Das Label “Legal Tech Kanzlei” wird als USP verwendet, der Teil des Kanzleiauftritts gegenüber potentiellen Mandant:innen ist. Doch kann der Einsatz von Technologie bei Kanzleien in der Kommunikation und in der Akquise neuer Mandant:innen wirklich als Alleinstellungsmerkmal dienen? Die Beantwortung der Frage beginnt ganz vorne. Wie kam Legal Tech in die Welt der Rechtsberatung?

Legal Tech als Enabler für Kanzleien

Der Rechtsbereich ist im Einsatz von technischen Lösungen eher Nachzügler als Vorreiter. Mittlerweile sind die Use Cases klar abgesteckt. Technische Lösungen schaffen Mehrwert in der Mandatsbearbeitung von Kanzleien, im Matter Management von Rechtsabteilungen in Unternehmen. Im Verbraucherbereich sind mit Portalen wie Flightright und wenigermiete.de völlig neue Geschäftsmodelle entstanden. Prozesse lassen sich durch automatisierte oder technisch unterstützte Workflows effizienter gestalten. Die Nutzung von Document Creation Tools und Wissensdatenbanken verhindern doppelte Arbeit, schaffen Wissenstransfer und ermöglichen Kollaboration. Durch die effizientere Bearbeitung von Mandaten entstehen gänzlich neue Beratungsmodelle, die eine Alternative zur „Billable Hour“ schaffen können oder Rechtsprobleme erst wirtschaftlich machen. Am Ende wird deutlich – Legal Tech Lösungen verändern die interne Kanzleiarbeit von Anwält:innen und Kanzleimitarbeiter:innen massiv. Der Rechtsdienstleistungsmarkt scheint angekommen im digitalen Zeitalter und der Einsatz von Legal Tech gehört dazu, wenn man den Anschluss nicht verpassen möchte.

Mandant:innen sehen sich mehr und mehr mit „Legal Tech“ konfrontiert

Wird dieser Trend von Mandant:innen wahrgenommen? Ja, auch Mandant:innen begegnen immer häufiger technischen Möglichkeiten, die ihnen von Kanzleien zur Verfügung gestellt werden. Auf der Webseite von Kanzleien bekommen Mandant:innen beispielsweise ein schnelles, erstes Feedback zu ihrem Rechtsproblem via Chatbots oder Schnellchecks. In ihrer digitalen Akte erhalten Mandant:innen Einblick in die Bearbeitung ihrer Rechtsprobleme. Und auch die Kommunikationsmöglichkeiten haben sich gerade in Zeiten von Corona mehr und mehr digitalisiert. Ist das Label „Wir nutzen Technologie“ daher nicht genau die Botschaft, die eine moderne Kanzlei im Markenauftritt explizit nach vorne stellen sollte? Die Antwort auf diese Frage mag überraschen: Nein.

Die Mandant:in sehnt sich danach, verstanden zu werden

An dieser Stelle zeigt sich ein Problem, das der Rechtsmarkt häufig offenbart: er dreht sich um sich selbst und verkennt, wer Adressat der Maßnahme ist, nämlich die Mandant:innen. Natürlich ist es eine grundlegend wichtige Neuerung, dass auch der Rechtsdienstleistungsmarkt sich nicht mehr vor dem Einsatz digitaler Lösungen und moderner Technologie scheut. Es handelt sich dabei auch um eine große Verbesserung für Mandant:innen selbst, denn erst durch diesen Einsatz werden Zugangsmöglichkeiten geschaffen oder Beratungsmodelle entstehen. Dies sind aber Faktoren, die nicht direkt und allein durch den Einsatz von Technologie entstehen. Tech ist kein Selbstzweck. Die Werbeaussage “Wir nutzen Technologie” hat für sich genommen keinerlei Aussagekraft, denn es bleibt völlig unklar, wofür Technologie eingesetzt wird und was Mandant:innen konkret davon haben sollten.

Mandant:innen wünschen sich vor allem eins, wenn sie Rechtsrat suchen: das sie verstanden werden und in der Kanzlei einen Partner finden, der sie unterstützt, ihre Probleme zu lösen, und auf ihre Bedürfnisse eingeht. Diese Bedürfnisse können vielfältig sein – Vertrauen, Sicherheit, Gewissheit, Planbarkeit. Gerade im Fall von Rechtsproblemen streben Mandant:innen danach sich angekommen zu fühlen, wenn sie mit einer Fragestellung oder einem Problem auf das Angebot einer Kanzlei treffen. Beim Aufbau der Arbeitsrechtskanzlei Chevalier, die Arbeitnehmer:innen deutschlandweit in arbeitsrechtlichen Themen insbesondere in der Kündigungssituation unterstützt, hatten wir schnell einen klaren Fokus: Eine modernen Kanzlei stellt die Bedürfnisse der Mandant:innen ins Zentrum der Serviceentwicklung. Was erwartet eine Mandant:in heute von einer modernen Kanzlei? Der Einsatz von Technik war hier in den Interviews während der ersten Kundenbefragungen nicht vordergründig. Im Gegenteil: Die Werbeaussage, wir seien eine “digitale Kanzlei” wirkte auf die Mandant:innen eher abschreckend.

Viel häufiger stand im Vordergrund, dass sie sich aufgehoben und betreut fühlen wollten; Bedürfnisse, die sie nicht unbedingt mit einem digitalen Service in Verbindung brachten, da dieser ihnen eher “weit weg” vorkam. Erfolgreiche Legal Tech Plattformen nutzen als Markenbotschaften Sätze wie „Schnell zu ihrem Recht“ oder „Erfahrung aus Tausenden von Fällen wie der Ihre“. Dass Technologie diese Botschaften zum Teil erst ermöglicht oder die treibende Kraft ist, wird hier nicht nach vorne gestellt. Sie haben im Rechtsmarkt vor allem verstanden, Mandant:innen für ihre Angebote zu gewinnen, und haben seit Beginn ihren digitalen Vorsprung nicht als Verkaufsargument genutzt. Es geht vielmehr darum, dem Mandant:innen das Gefühl zu geben, dass sie hier ihre Sorgen und Fragen abgeben und zwar an einen Partner, der ihnen auf Augenhöhe begegnet.

Das Bedürfnis der Mandant:innen im Zentrum des Auftritts der Kanzlei

Der viel entscheidendere Punkt ist, dass die Botschaft einer Kanzlei oder einer Rechtsberatung, auf die Bedürfnisse des Mandant:innen eingeht und ihn in seiner Situation abholt. Eine digitale Lösung wird zum Mittel, das Kundenproblem bestmöglich zu lösen. Sie stellt jedoch nicht den Kern dar. Wenn wir uns in eine gekündigte Person hineinversetzten: was würde sie in eine Suchmaschine eingeben? “Abfindung Kündigung wieviel” oder “Abfindungsrechner”? Nutzt man die digitale Lösung im Auftritt der Kanzlei als Kernbotschaft, wird sie immer an den Mandant:innen vorbeigehen. Die „Legal Tech Kanzlei“ ist für Mandant:innen kein Argument, den richtigen Anbieter gefunden zu haben, der in der jeweiligen Situation helfen kann.

Das Label „Einsatz von Technologie“ greift zu kurz

Die Nutzung von Legal Tech als USP sollte daher nicht im Zentrum des Kanzleiauftritts stehen. Mandant:innen müssen auf einen Blick erkennen, dass hier ihr Problem gelöst wird. Darüber hinaus sollte Sicherheit und Vertrauen vermittelt werden. Diese Botschaft kann man mit Zuhilfenahme von technischen Lösungen wie digitale Akteneinsicht, Chatbots und kleinen Self-Services transportieren, aber der Einsatz von Technik sollte nicht zum Label verkommen, das nur im Kern vor allem uns in unserer täglichen Arbeit im Rechtsbereich interessiert.

Autor: Marius Eßer arbeitet als Senior Manager bei der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PwC und berät Rechtsabteilungen internationaler Unternehmen im Aufbau effizienter Legal Operations und Legal Technologies. Zuvor war er beim Fluggastrechteportal Flightright als Manager im Bereich Corporate Development tätig und war 2018 Mitgründer von Chevalier.

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