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Sturmwolken ziehen auf: Ausblick auf den US Legal Tech Markt 2022

Die Lage der amerikanischen Rechtstechnologiebranche ist gut, auch wenn 2022 ein schwieriges Jahr zu werden scheint. Der Umbruch, der mit der Modernisierung der Erbringung von Rechtsdienstleistungen begonnen hat, ist nicht aufzuhalten und hat in den Jahren 2020 und 2021 ein enormes Wachstum gezeigt.

Mehrere Trends werden in diesem Jahr zu einem Umfeld führen, in dem gut finanzierte Legal Tech Unternehmen florieren werden.

INVESTITIONEN

Ich wünschte, ich könnte sagen, dass meine Aussichten für Investitionen in den US-amerikanischen Legal Tech Sektor im Jahr 2022 so rosig sind, wie in den letzten Jahren. Aber… der Krieg mit Russland in der Ukraine, eine Börsenkorrektur, steigende Öl- und Gaspreise, die Inflation und die anhaltende Pandemie… all das führt zu Unsicherheit, und das macht sich bemerkbar.

Steven Lerner von Law360 twitterte am 7. März über die Finanzierung von Legal Tech:
“February 2021: $666.9 million
February 2022: $56.7 million
Big drop.”

Dies ist kein Scherz. Und diese Zahlen spiegeln ein Vorkriegsumfeld wider. Erst im Januar dieses Jahres warnten VCs vor einer Überbewertung des Finanzierungsumfelds für Start-ups. VC-Investitionen ziehen sich bei Marktabschwüngen zurück, und wir könnten den Beginn dieses Trends im Legal Tech Sektor sehen, nachdem wir 2020 und 2021 einen spektakulären Anstieg erlebt haben.

Rückblickend auf das Jahr 2021 hat die US-Legal-Tech-Branche einige wichtige Meilensteine erreicht.

3 IPOs:
LegalZoom (LZ), Intapp (INTA), und CS Disco (LAW)

2 Unicorns:
Clio (1,6 Milliarden USD Bewertung) und Everlaw (2+ Milliarden USD Bewertung)

Massive Investitionen eingeschlossen:

Die Serie-E-Finanzierungsrunde für die Praxismanagement-Software Clio in Höhe von 110 Millionen US-Dollar folgte rasch auf die vorherige Serie-D-Finanzierungsrunde in Höhe von 250 Millionen US-Dollar.
Der Online-Rechtsdienst Rocket Lawyer erhielt eine Finanzierung in Höhe von 223 Millionen US-Dollar.
Der CLM-Anbieter Ironclad nahm in einer Serie-D-Finanzierungsrunde 100 Millionen US-Dollar auf und verdoppelte damit seine Serie-C-Finanzierung.
Das Online-Notarisierungsunternehmen Notarize hat in seiner Serie D 130 Millionen US-Dollar aufgenommen.
Der CLM-Anbieter ContractPodAi hat eine Serie-C-Finanzierung in Höhe von 115 Millionen US-Dollar erhalten.
Ein weiteres CLM-Unternehmen, Ontra, früher bekannt als InCloudCounsel, sammelte im Oktober 2021 200 Millionen US-Dollar ein.
Das E-Discovery-Unternehmen Everlaw sammelte in seiner Serie-D-Finanzierungsrunde 202 Millionen US-Dollar ein.

Insgesamt gabe es 286 Kapitalerhöhungen für Legal-Tech-Unternehmen im Jahr 2021, sowie 153 Fusionen und Übernahmen in der Branche im Wert von 4,5 Milliarden US-Dollar in den USA und Kanada.

Dennoch glaube ich nicht, dass ein Investitionsrückgang von langer Dauer sein wird, wenn sich die wirtschaftliche Lage bessert. Die Modernisierung der Rechtsbranche hat begonnen, und es gibt viel zu gewinnen, wenn man diesen Wandel vorantreibt.

TRENDS

Folgende Trends sehe ich für das Jahr 2022:

Gewinne bei Rechtsdienstleistungen halten an

Anwaltskanzleien und Rechtsdienstleister haben sich in diesem Umfeld gut behauptet und werden dies wahrscheinlich auch weiterhin tun. Die führenden Anwaltskanzleien meldeten ein Umsatzwachstum von 14,4 %, das größtenteils auf die wieder anziehende Nachfrage zurückzuführen ist. Die Arbeit von zu Hause aus, der Verzicht auf Büroräume, und die Verkleinerung des Personals, sowie der Einsatz von Cloud-basierter Software und Automatisierung haben die Kanzleien effizienter und rentabler gemacht.

COVID-inspirierte Technologieeinführung wird fortgesetzt

Die von COVID angestoßene Technologieeinführung für Lösungen wie Online-Gerichtsverhandlungen und -Einreichungen, notarielle Beglaubigungen, Videokonferenzen, digitale Unterschriften und Cloud-basierte Dienste im Allgemeinen wird weiterhin genutzt werden. Zwei Jahre haben bewiesen, dass der Einsatz dieser Technologien in der Rechtsbranche nicht nur machbar, sondern sogar besser ist. Die Kombination aus Bequemlichkeit und Effizienz wird es schwer machen, zurückzugehen.

Reform der Rechtsvorschriften stockt

Die Gesetzesreformen in den US-Bundesstaaten Utah und Arizona sowie in den kanadischen Bundesstaaten British Columbia und Ontario haben es Nicht-Anwält:innen erleichtert, Rechtsdienstleistungen anzubieten. Rückschläge gab es jedoch im Bundesstaat Washington mit der Abschaffung der „Limited License Legal Technicians“ und in Kalifornien, wo sich Anwälte und Anwältinnen gegen die Reform wehrten.

Künstliche-Intelligenz-Ernüchterung

Wie ein überstrapaziertes Wort, das seine Bedeutung verloren hat, hat die Verwendung von KI bei der Vermarktung neuer Rechtstechnologien ihre Attraktivität und Wirkung verwässert. Das soll nicht heißen, dass künstliche Intelligenz im Rechtswesen keine Rolle spielen kann; das tut sie, und es gibt viele Unternehmen, die sie sinnvoll einsetzen. Es wird jedoch einige Zeit dauern, bis die Erwartungen der Käufer mit den Möglichkeiten der KI in Einklang gebracht werden können.

Cybersecurity – ein echtes Problem

Die letzten Jahre haben gezeigt, wie real die Bedrohungen für die Cybersicherheit sind: Social Engineering, da viele Menschen remote arbeiten, Deepfakes, Ransomware und Bedrohungen durch ausländische Geheimdienste. Insbesondere Ransomware und Datenlecks haben Anwaltskanzleien und Rechtsdienstleister Kapital und Ansehen gekostet.

Unternehmensmentalität erweitert sich

Legal Tech Firmen werden ihr Wertversprechen über den juristischen Sektor hinaus ausweiten. Diese Anziehungskraft auf Unternehmen vergrößert den gesamten adressierbaren Markt von Legal-Tech-Firmen und macht sie für VCs attraktiver. Dies ist auch aus praktischer Sicht sinnvoll, da die Technologie (z.B. contract lifecycle management) nicht nur von Anwält:innen und Kanzleien genutzt werden kann, sondern auch von anderen.

Fusionen und Akquisitionen

Der Trend, dass größere Unternehmen im Bereich der Rechtstechnologie kleinere Unternehmen aufkaufen, um ihr Angebot zu vervollständigen und Talente zu gewinnen, wird sich fortsetzen. Litera ist mit elf Übernahmen das Vorzeigebeispiel für diesen Trend. Die Finanzmittel, die in den Bereich Legal Tech geflossen sind, machen dies möglich und sind ein attraktiver Weg, um in einem schwierigen Jahr Wachstum zu demonstrieren.

ZUKUNFT

Die Zukunft der Rechtstechnologie für Anwaltskanzleien und Rechtsdienstleister wird darin bestehen, Daten und Wissen zu vereinheitlichen und auf praktische und nützliche Weise zugänglich zu machen, Risiken zu minimieren, den Umfang der weltweit angebotenen Dienstleistungen zu erweitern, reibungslose Erfahrungen zu schaffen und für beide Seiten vorteilhafte Beziehungen zu den Kunden zu fördern.

Ob die Technologie für diese Zukunft aus statischen Webformularen, Textnachrichten, Chatbots, digitalen Menschen in einem Metaversum oder etwas anderem bestehen wird, bleibt abzuwarten. Aber ich freue mich zu wissen, dass es nicht eine Frage des Ob, sondern des Wann sein wird.

Autor: Tom Martin ist ein Verfechter von Legal Tech, Anwalt, Autor und Speaker. Er ist CEO und Gründer von LawDroid Ltd. (eine No-Code Legal Automation Platform) und Mitbegründer der American Legal Technology Awards. Tom ist außerdem ein ABA Legal Rebel und Fastcase 50 Honoree und Mentor am Yale Tsai Center for Innovative Thinking. Geboren und aufgewachsen in Los Angeles, Kalifornien, lebt er heute mit seiner Frau und seinen beiden Töchtern in Los Angeles und Vancouver, Kanada.

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