Fachartikel

Rechtsschutzversicherer und Legal Tech – ein (fast) perfektes Paar?

Dass Legal Tech ein enabler für Veränderungen im Rechtsmarkt ist, dürften wohl selbst Kritiker nicht abstreiten – es ist vielmehr genau der Streitpunkt, über den leidenschaftlich diskutiert wird. Von der Erosion rechtsstaatlicher Mindeststandards durch deregulatorische Bestrebungen bis zur verfassungswidrigen Privilegierung des Anwaltsstandes reicht das Spektrum mehr oder minder zugespitzter Argumente.

Eine aus Sicht des Autors nur selten aufgegriffene Debatte ist die Entwicklung von Rechtsschutzversicherungen unter dem Eindruck und Einfluss von primär endkundenorientierten Legal Tech Angeboten.

Prozessfinanzierung vs. Versicherungsleistung – Der Erfolg macht‘s?

Der Versicherungsvertrag gewährt dem Versicherten – stark vereinfacht – die Freistellung von Kosten, die mit zukünftigen Rechtsstreitigkeiten entstehen, mit zeitlich-sachlichen Einschränkungen wie der Wartefrist oder den versicherten Rechtsbereichen. Doch auch der Rechtsschutzversicherer muss nicht sehenden Auges die Kosten eines zum Scheitern verurteilten Rechtsfall decken. Deshalb kann auch eine Prüfung der Erfolgsaussichten erfolgen, wobei die diesbezügliche Aufklärung des Mandanten – zunehmend – eine Frage des Regresses wird. Die Deckungszusage kann also auch mangels Erfolgsaussichten rechtmäßig verweigert werden. Rechtsschutzversicherer übernehmen gegenwärtig selbst bei Einbeziehung aller Legal-Tech-Marktakteure eine weitaus umfassendere Risikodeckung für den Versicherten, insbesondere in Rechtsbereichen, in denen sich kostendeckende Rechtsprodukte nur schwerfällig entwickeln lassen. Dies bedeutet jedoch keinesfalls, dass nicht dies nicht im Rahmen einer Prozessfinanzierung möglich wäre.

Legal Tech Anbieter, die die Kostenübernahme von Rechtsstreitigkeiten als integralen Bestandteil der eigenen Rechtsdienstleistung anbieten, erbringen keine erlaubnispflichtigen Versicherungsleistungen, sondern eine erlaubnisfreie, weil einzelfallbezogene Prozessfinanzierung, die aus ökonomischen Gründen eine hinreichend zuverlässige Antizipation der Erfolgsaussichten und ein Finanzierungsinstrument in Form einer Erfolgsbeteiligung erfordert.

Können Erfolgsaussichten im Vorfeld – insbesondere mithilfe von Daten automatisiert – abgeschätzt werden und bestehen hinreichende Erfolgsaussichten, so wird dem Kunden die integrale Prozessfinanzierung angeboten werden können. Dies – in Abgrenzung zu einem Rechtsschutzversicherungsvertrag – auch rückwirkend.

Können Erfolgsaussichten entweder nicht antizipiert werden oder sind diese nicht hinreichend gegeben, so wird eine Prozessfinanzierung eher ausscheiden. Um es deutlich zu machen: die Prozessfinanzierung übernimmt im Falle eines (teilweise) Unterliegens fallspezifisch die Kosten des Rechtsstreits. Dass dieser Fall eintritt bzw. eintreten kann, führt dazu, dass die Forderung eine Abwertung erfährt.

Deshalb verfängt der Einwand aus Sicht des Autors auch nicht, dass Erfolgsbeteiligungen die Rechtsdurchsetzung nicht verbessern, sondern vielmehr verschlechtern, weil dem Anspruchsinhaber eigentlich der vollständige Anspruch zustünde und er im Rahmen der erfolgsbasierten Prozessfinanzierung jedenfalls und unabhängig von den ggfs. hervorragenden Erfolgsaussichten nicht die vollständige Forderung erhalten wird.

Hierbei werden jedoch grundlegende, marktwirtschaftliche wie individuelle Risikoerwägungen unberücksichtigt gelassen. Im Übrigen besteht auch bei einem Rechtsschutzversicherungsvertrag regelmäßig durch die Selbstbeteiligung eine Verlustposition, die bei der Rechtsverfolgung zu berücksichtigen ist – und im Übrigen auch berücksichtigt wird.

Dass hier ggfs. auch irrationale, verlustaversierte Entscheidungsmomente von Legal Tech Anbietern bei der Prozessfinanzierung aufgegriffen werden, kann bei einem freien Willensentschluss des Anspruchsinhabers nicht dem Prozessfinanzierer vorgeworfen werden.

Konkurrenz oder Symbiose?

Schauen wir auf die Gemeinsamkeiten: In der Betrachtung sind Legal Tech Modelle ausgenommen, die im ganz überwiegenden Fall auf die Deckungszusage einer Rechtsschutzversicherung abstellen und nur höchst selten und vorrangig aus werblichen Gründen eine Prozessfinanzierung anbieten. Rechtsschutzversicherung wie Legal-Tech nehmen eine – wenn auch unterschiedlich strenge – Prüfung der Erfolgsaussichten vor, um die Kosten eines Rechtsstreits zu tragen.

Während es dem Legal Tech Anbieter als Prozessfinanzierer verwehrt ist, die Deckung für zukünftige, abstrakte Rechtsfälle als Versicherungsleistung ohne die erforderliche Erlaubnis zu erbringen – und hier erscheinen dem Autor neuerliche Angebote bedenklich nahe platziert zu sein -, ist es der Rechtsschutzversicherung im Hinblick auf § 4 RDG verwehrt, eigene Rechtsdienstleistungen zu erbringen. Unbenommen bleibt jedoch die öglichkeit, dem Versicherten Rechtsdienstleistungen als weiteres Angebot über eine versicherungsassoziierte Rechtsdienstleistungsgesellschaft anzubieten oder vergünstigte Anbieterempfehlungen auszusprechen.

Während es also eine gemeinsame Schnittmenge zwischen Rechtsschutzversicherer und einem prozessfinanzierenden Legal Tech-Anbieter gibt, bestehen daneben weitergehende, wechselseitig (regelmäßig) nicht zu vereinnahmende Tätigkeitsbereiche in Form einer abstrakt-zukünftigen Risikodeckung sowie der unmittelbaren Erbringung der Rechtsdienstleistung. Dies wird nach gegenwärtigem Kenntnisstand auch mit der beabsichtigten Änderung des Rechtsdienstleistungsgesetzes – in die eine wie in die andere Richtung – keine Veränderung erfahren.

Wie sich beide Risikodeckungskonzepte weiter annähern, sei an zwei Beispielen dargestellt: erste Rechtsschutzversicherer bieten einen rückwirkenden Rechtsschutz im Verkehrs- und Mietrecht für bereits entstandene Rechtsfälle an und nähern sich damit der Prozessfinanzierung weiter an. Umgekehrt gründen erste Legal Tech Anbieter Mietervereinigungen, die gem. § 7 RDG Rechtsdienstleistungen erbringen und die Risikodeckungskonzepte über Rechtsschutz-Gruppentarife des Deutschen Mieterbundes (DMB) als segmentiertes Risikokollektiv ergänzen können.

Der wechselseitiges Verhältnis dürfte damit ein – überwiegend – symbiotisches Verhältnis sein, denn natürlich können die Legal Tech-basierten Effizienzgewinne und automatisierten Einschätzungen der Erfolgsaussichten auch hervorragend zur Reduzierung der versicherungsvertraglichen Leistungen und Schadensfälle genutzt werden.

Die Zukunft hat begonnen

Als Zwischenstand lässt sich zwar ein überwiegend komplementär-symbiotisches Verhältnis bescheinigen, das sich jedoch auf beiden Seiten noch deutlich durch Annäherung verändern kann.

Wie im VW-Abgasskandal deutlich wurde, können auch Legal Techs durch Prozessfinanzierer wie Burford Capital Risiken, die aus der Geltendmachung von Ansprüchen in Milliardenhöhe resultieren, abdecken, sodass auch die hochgepriesene Skalierbarkeit in der Prozessfinanzierung möglich ist, die andernfalls nur von Versicherern erbracht werden kann. Durch die operative Tätigkeit der Legal Techs können Risikofaktoren und Erfolgsaussichten zunehmend präziser erkannt und bei der Bemessung der Prozessfinanzierung gewinnbringend eingesetzt werden. Zudem sollte nicht verkannt werden, dass sich das Konsumverhalten durch on-demand-Produkte verändert. Mehrjährige Versicherungsverträge – bestenfalls noch mit einjähriger Wartefrist – dürften in der jüngeren Generation schwieriger zu vermitteln sein, noch dazu wenn die erwartungsgerechte Prozessfinanzierung bequemer, weil integraler Bestandteil des eigentlichen Rechtsprodukts ist.

Umgekehrt sollte das Wissen und die Marktmacht der Rechtsschutzversicherer nicht verkannt werden. So investieren Rechtsschutzversicherer zunehmend in Legal Tech Anbieter zur Kostenreduktion und zur Entwicklung neuer Rechtsprodukte. Während die Erlaubnis zur Erbringung von Versicherungsleistungen an relativ hohe Voraussetzungen geknüpft ist und damit von Legal Tech Anbieter jedenfalls nicht in Fläche erfüllt werden können, ist es Rechtsschutzversicherungen ohne Weiteres möglich, eigene Rechtsberatungsgesellschaften zu betreiben, Risikodeckungsprodukte zu integrieren und zu ergänzen und Risiken bilanzoptimiert über Prozessfinanzierer zu diversifizieren. Dabei können die von Legal Tech Anbietern zur fallbezogenen Risikoprüfung gewonnenen Erkenntnisse durch den eigenen, signifikanten Mandatsstrom zügig adaptiert werden. Zudem dürften Rechtsschutzversicherer bessere Möglichkeiten zur Risikomodellierung haben, um neben klassischen Rechtsschutzverträgen neue Risikodeckungskonzepte im Rahmen der Prozessfinanzierung und dem rückwirkenden Rechtsschutz zu erarbeiten und in neue Rechtsprodukte zu integrieren. Entscheidend hierfür dürfte insbesondere die eigene Innovationskraft und die konzernpolitische Ausrichtung des jeweiligen Versicherers sein.

Damit dürfte deutlich werden: Rechtsschutzversicherer haben auch in Zeiten von Legal Tech noch lange nicht ausgedient und können spannende Veränderungen im Rechtsmarkt bewirken – wenn der Softwareunterbau und die Innovationskraft vorhanden ist.

Autor: Der Autor, Tim Platner, ist Jurist und Geschäftsführer der Legal Data Technology GmbH, die mit einem interdisziplinären Team aus Juristen und Informatikern Legal Tech Lösungen u.a. für Rechtsschutzversicherer und ZMB-Kanzleien entwickelt.

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