FachartikelLegal KI & ChatGPT

Neue Chancen für Rechtsanwälte durch Large Language Models

Large Language Models können die Arbeitsweise von Juristen grundsätzlich verändern. Welche Chancen sie bieten und was es jetzt zu beachten gilt.

Die ganze Welt beschäftigt sich derzeit mit Künstlicher Intelligenz. Seit dem sensationellen Start von ChatGPT wird überall darüber diskutiert, was die Entwicklung von Large Language Models für die (Arbeits-)Welt bedeutet. Goldman Sachs geht in einer neuen Studie davon aus, dass 44 % aller juristischen Tätigkeiten in Zukunft automatisiert werden können. Dass LLMs in der Lage sind auch juristische Probleme zu lösen, ist spätestens bewiesen, seitdem ChatGPT das amerikanische Bar-Exam bestanden hat. In einer neuen Studie von Daniel Katz und Michael Bommaritto mit GPT-4.0 wurde das juristische Können von ChatGPT erneut demonstriert. ChatGPT hat dabei nicht „nur“ die Multiple Choice-Fragen gut beantwortet, sondern auch die nötigen Testteile in Form des Multistate Essay Exams und des Multistate Performance Tests. Die Ergebnisse von GPT-4 lagen durchschnittlich in den oberen 10 % aller Kandidaten. GPT-3,5 lag noch „nur“ in den unteren 10 %. Der Leistungssprung in weniger als einem Jahr ist beeindruckend.

Doch was bedeutet das für Juristen? Müssen wir nun alle um unsere Jobs fürchten? Nein – müssen wir nicht. Wir müssen aber (schnell) darüber nachdenken, was diese Änderungen für unsere Arbeit und unser Geschäftsmodell bedeuten und überlegen, wie sich die Nachfrage nach unseren Leistungen in Zukunft vielleicht verändern wird. Jede disruptive Veränderung bietet auch Chancen. Diese gilt es nun zu ergreifen.

A. Rahmenbedingungen für den Einsatz von KI im Rechtsdienstleistungssektor

Dabei sind folgende Punkte besonders zu beachten. Aus unserer Sicht spricht keiner dieser Punkte gegen den Einsatz von LLMs, sondern macht deutlich worüber man sich dabei besondere Gedanken machen muss.

1. Rechtsdienstleistungen sind kein 80/20 Business

Alle Arbeitsprodukte von Rechtsanwälten (und auch anderen Juristen) werden bestimmungsgemäß von Dritten auf Richtigkeit überprüft, seien es Richter, andere Anwälte oder Behörden. Fehler fallen also früher oder später auf und werden sanktioniert oder in einer Verhandlung ausgenutzt. Dies lässt keinen Raum für Fehler. Bei juristischen Arbeiten ist daher besondere Sorgfalt geboten und keine 80/20-Arbeit. Momentan tendieren LLMs noch zu Fehlern bei juristischen Fragestellungen, sei es aufgrund fehlender Informationen, falscher Gewichtungen oder Schlussfolgerungen oder den LLM-typischen „Halluzinationen“. Man muss sich gut überlegen, wie man mit dieser Fehlerquote umgeht und wie man beim Einsatz von LLMs Fehler gut erkennen kann. Diese Frage ist besonders wichtig, da fehlende Informationen oder Argumente nur schwer zu entdecken sind.

2. Mandanten wollen nicht nur Fragen beantwortet haben, sondern möchten juristische Komplexität bewältigen

Mandanten wollen nicht nur Antworten auf die Frage: „Wie ist die Rechtslage?“. In meiner Erfahrung haben Mandanten eine sehr genaue Vorstellung über das, was sie machen möchten und benötigen Unterstützung dabei, ihre Pläne umzusetzen. Das ist nicht das bloße Abarbeiten von Checklisten. Es geht um Verhandlungen (mit Geschäftspartnern, vor Gericht oder mit Behörden), „Händchen halten“ und Ideen, wie man die Rechtslage aktiv gestalten kann. Diese Bedürfnisse der Mandanten sollten im Fokus der Überlegungen stehen, wie man in Zukunft als Rechtsanwalt Mehrwert bieten kann.

3. Die Rechtsdienstleistungsindustrie ist sehr streng reguliert

Der Rechtsdienstleistungsmarkt ist in Deutschland sehr streng reguliert, in vielen Bereichen der Arbeit. Besonders relevant beim Einsatz von Technologie ist der Schutz des Mandantengeheimnisses. Das schränkt einen insbesondere bei der Nutzung externer Technologieanbieter ein und erfordert stets besondere Schutzmaßnahmen. Als Rechtsanwalt muss man sicherstellen, dass dieser Schutz gewährleistet ist. Nicht alle (vor allem amerikanischen) Technologieanbieter haben dafür das nötige Verständnis. Bisher gibt es keine GPT Server in Deutschland. Das gilt es zu berücksichtigen.

B. Anwendungsmöglichkeiten

Vor dem Hintergrund dieser Eckpunkte wird es auch in Zukunft gerade im Rechtsdienstleistungssektor wichtig sein, Menschen weiter in die Erbringung der Rechtsdienstleistungen einzubinden. OpenAI empfiehlt: „Keep the human in the loop“. LLM-Anwendungen werden vor allem zunächst Assistenzfunktionen übernehmen. Dabei können sie aber erheblichen Mehrwert leisten. Folgende Anwendungsgebiete sind kurz- oder mittelfristig besonders vielversprechend.

1. Übersetzungen

Übersetzungen können schon seit einiger Zeit sehr gut und vor allem sehr schnell mit Künstlicher Intelligenz erstellt werden. Es ist davon auszugehen, dass die Qualität dabei noch erhöht wird. Die Folge sind erhebliche Zeitersparungen und Kostenreduzierungen.

2. Erste Entwürfe für die Darstellung von Arbeitsergebnissen

LLMs sind in der Lage bereitgestellte Informationen in einer sehr gut verständlichen Form für Menschen aufzubereiten, sei es als Fließtexte, Präsentationen, Grafiken oder Videos. Diese Darstellungsformen können unter Bereitstellung der richtigen Informationen schnell erstellt werden. Zudem sind die Systeme in der Lage, die Darstellung, z.B. den Schreibstil, für ein ganzes Dokument anzupassen. Arbeitsergebnisse können dadurch noch besser und zielgerichteter präsentiert werden. Insbesondere für Dokumente, die nicht vom Mandantengeheimnisschutz betroffen sind, wie Marketingmaterialien oder Präsentationen, kann dies kurzfristig einen erheblichen Mehrwert bieten. Microsoft wird mit seinem gerade angekündigten Co-Piloten erheblich für die Verbreitung dieser Technologie sorgen.

3. (Juristische) Recherchen

Die Wissenssuche wird kurzfristig wahrscheinlich weniger durch das bloße Eintippen von Suchwörtern genutzt werden, sondern kann durch die richtigen Fragen an LLM-Systeme („Prompts“) deutlich genauer formuliert werden. Ergebnisse werden außerdem in einer besser verständlichen Form aufbereitet. Dies kann für verschiedene Fragen einen sehr guten Ausgangspunkt liefern. Es gibt verschiedene Anbieter, die solche Suchen für juristische Fragen konkretisieren. Die meisten Anbieter konzentrieren sich dabei auf die USA (z.B. der Caselaw Co-Counsel). Die Ergebnisse sind teilweise sehr gut und es ist damit zu rechnen, dass sie in naher Zukunft noch besser werden.

4. Co-Counsel für Juristen

Darüber hinaus wird es in der Zukunft Lösungen geben, die, ähnlich wie der GitHub Co-Pilot bei Programmierern, Juristen während der Texterstellung automatisch weitere Argumente oder passende Fundstellen vorschlagen werden. Es gibt bereits erste StartUps in diesem Bereich.

C. Nun ist es Zeit diese Chancen zu nutzen

Dies sind nur einige wenige erste Anwendungsfelder für den Einsatz von LLMs für Rechtsanwälte. Wir stehen noch ganz am Anfang, aber die Chancen für Juristen sind gerade besonders groß. Jeder Rechtsanwalt sollte nun eine Strategie zum Umgangen mit diesen disruptiven Veränderungen entwickeln und im Idealfall direkt loslegen.

Autor: Dr. Jan Wildhirth ist Geschäftsführer von Fieldfisher X und Partner der internationalen Großkanzlei Fieldfisher LLP. Dort entwickelt er mit seinem interdisziplinären Team skalierbare Rechtsdienstleistungen. Vor seiner Zeit bei Fieldfisher hat er als COO das Unternehmen „hy – the Axel Springer Consulting Group“ aufgebaut, war Geschäftsführer des KI-StartUps 12kResearch (später hyTechnologies), Gründer eines Legal Service Providers mit Fokus auf Massenklagen und berät im Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht.

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