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Nach der Reform ist vor der Reform – Was bringt das neue Legal Tech-Inkasso-Gesetz?

Am Ende musste alles ganz schnell gehen. Nun ist es also durch, das sog. Legal Tech Inkasso-Gesetz, das der Bundestag in einer Nachtsitzung am 11.06.2021 beschlossen und am 25.06.2021 auch den Bundesrat passiert hat. Damit kann das Gesetz zur Förderung verbrauchergerechter Angebote im Rechtsdienstleistungsmarkt (so die offizielle Bezeichnung des Gesetzes) in der vom Rechtsausschuss empfohlenen Fassung wie geplant am 01.10.2021 in Kraft treten. Bis zuletzt wurde in der Koalition um einen Kompromiss gerungen und noch kleinere Änderungen vorgenommen. Dabei stand das Vorhaben nach der Sachverständigenanhörung im Rechtsausschuss am 05.05.2021 zeitweise auf der Kippe. Zu unterschiedlich waren die Positionen sowohl in Grundsatz- als auch in Detailfragen.

Eine erste Bewertung fällt – vorsichtig formuliert – differenziert aus. Der Erwartung in der Legal Tech-Szene, Rechtssicherheit zu schaffen, wird das neue Gesetz kaum gerecht. Die wichtigsten Streitfragen bleiben ungelöst und werden voraussichtlich weiterhin von den Gerichten entschieden werden. Immerhin: Für die Anwaltschaft bedeutet die Reform etwas mehr Freiheit.

Ziel des Gesetzes ist im Wesentlichen, für Legal Tech-Inkassodienstleister einen rechtssicheren Rahmen zu schaffen und für gleiche und faire Wettbewerbsbedingungen mit anwaltlichen Dienstleistungen durch Anpassungen im RDG, in der BRAO und im RVG zu sorgen. Der Gesetzgeber hat dabei einen vermittelnden Weg eingeschlagen, indem er die Ausweitung der Inkassolizenz nach § 2 II RDG durch die „wenigermiete.de“-Rechtsprechung des BGH absegnet, dafür aber die Inkassodienstleister einer stärkeren Regulierung unterwirft.

1. Was nicht passt, wird passend gemacht – Die wichtigsten Änderungen im RDG

Zur Regulierung des Legal Tech-Inkasso wurden im RDG zahlreiche Änderungen vorgenommen. Die Inkassobefugnis nach § 2 II RDG wurde dahingehend ergänzt, dass die auf die Einziehung von Forderungen bezogene Prüfung und Beratung nunmehr ausdrücklich mit umfasst ist. Darüberhinausgehende Leistungen sollen künftig als Nebenleistung nach § 5 RDG zulässig sein. Zu diesem Zweck wurde § 5 I RDG ebenfalls ergänzt, dass Hauptleistung auch eine andere Rechtsdienstleistung sein kann. Abgesehen von der Frage, ob die Inkassobefugnis nach § 2 II RDG für Legal Tech-Anbieter als Erlaubnisnorm überhaupt geeignet ist, werfen die Änderungen mehr Fragen auf, als sie eigentlich lösen sollen. Durch die Ergänzung in § 2 II RDG ist nicht viel gewonnen. Bereits 2002 hat das BVerfG entschieden, dass die Inkassobefugnis auch die auf die Einziehung von Forderungen gerichtete rechtliche Prüfung und Beratung erfasst. Dies wurde nun ausdrücklich in § 2 II RDG ergänzt. Mehr nicht. Die eigentliche Streitfrage, ob es sich dabei um bereits bestehende Forderungen handeln muss oder auch Maßnahmen erfasst, die eine Forderung erst zum Entstehen bringen, lässt die gesetzliche Ergänzung im Wortlaut offen. Nach wie vor bleibt unklar, was die Inkassolizenz eigentlich umfasst. Der Streit wird zusätzlich in § 5 RDG verlagert, weil die angebliche Klarstellung in § 5 RDG ebenfalls offenlässt, was noch als zulässige Rechtsdienstnebenleistung zur Inkassodienstleistung zählt. Zudem ist die Änderung, Hauptleistung könne auch eine andere Rechtsdienstleistung sein, dogmatisch fragwürdig. Bisher war Konsens, dass Hauptleistung eine primär nicht-juristische, meist wirtschaftlich geprägte Hauptleistung ist. Dies hat zuletzt auch der BGH in seiner Entscheidung vom 11.02.2021 (I ZR 227/19) – Rechtsberatung durch Architektin – bestätigt. Sinn und Zweck von § 5 RDG ist, allgemeinen Berufen, die typischerweise auch mit rechtlicher Beratung verbunden sind, Rechtsdienstleistungen als Nebenleistung zu erlauben. Davon profitieren z.B. Unternehmensberater, Architekten oder Versicherungsmakler. Dieser Zweck wird zumindest aufgeweicht, wenn Hauptleistung auch eine – beliebige – Rechtsdienstleistung sein kann. Zudem fragt sich, welchen Sinn es (noch) macht, Haupt- und Nebenleistung voneinander abzugrenzen, wenn beides Rechtsdienstleistung sind.

Auch für die vorwiegend auf gerichtliche Tätigkeit ausgerichteten Modelle der gebündelten Geltendmachung von Ansprüchen für Unternehmer wie insbesondere in den Dieselgate- und Kartellrechtsfällen (faktisch Sammelklagen) bringt das Gesetz keine Klarheit. Die Änderung in § 2 II RDG spart dieses Problem komplett aus. In der Gesetzesbegründung klingt zwar an, diese Modelle als umfasst anzusehen. Im Wortlaut des § 2 RDG findet das jedoch keinen – weiterhin – Anklang. Es bleibt somit abzuwarten, wie die Gerichte das sehen. Geht man davon aus, dass das RDG nur die außergerichtliche Rechtsdienstleistung reguliert, ändert sich an den Streitpunkten in den Dieselskandal-, LKW- und Zuckerkartellverfahren, wie u.a. von den Landgerichten München, Augsburg und Hannover seit Anfang 2020 festgestellt, durch die Reform relativ wenig.

Durch eine Ergänzung in § 4 RDG, der Interessenkonflikte für Rechtsdienstleister verhindern will, soll künftig die Zusammenarbeit zwischen einem Inkassodienstleister und einer Prozessfinanzierungsgesellschaft unbedenklich sein, wenn daraus (lediglich?) Berichtspflichten entstehen. Auch diese Änderung ist verfehlt. Sie löst das Problem der Interessenkollision nicht. Es wird lediglich toleriert. Das Problem kann auch nicht dadurch gelöst werden, wenn die Verbraucher entsprechend § 13b RDG n.F. darüber informiert werden, weil § 4 RDG – wie auch das für die Anwaltschaft geltende Verbot der Vertretung widerstreitender Interessen – nicht zur Disposition steht. Sie können also nicht wirksam einwilligen.

Inkassoanbieter müssen künftig gemäß § 13 RDG n.F. schon im Registrierungsverfahren alle Karten offenlegen, um die Aufsichtsbehörden in die Lage zu versetzen, die Geschäftsmodelle zu überprüfen. Schwerpunkt der Regulierung sind auch umfangreiche Informationspflichten der Inkassodienstleister zum Schutz der Verbraucher in § 13b RDG n.F. und eine Stärkung der aufsichtsrechtlichen Befugnisse. Das ist im Grundsatz zu begrüßen. Bemerkenswert ist dabei, dass der Gesetzgeber bei der Ausweitung der Informationspflichten Elemente des ursprünglich bei Inkrafttreten des RDG noch abgelehnten sog. Informationsmodells zu übernehmen scheint. Das RDG ist an sich als Verbotsgesetz mit Erlaubnisvorbehalt konzipiert, so dass sich die Frage stellt, ob sich hier ein Systemwandel andeutet. Bei der Aufsicht bleibt man leider auf halbem Wege stehen, weil die bestehenden Strukturen nicht wesentlich geändert werden. Hier sind weitere Reformen für eine effizientere und besser organsierte Aufsicht erforderlich.

Zum Schluss wurden noch kleinere, aber durchaus sinnvolle Änderungen aufgenommen. Anbieter sind künftig gemäß § 13g RDG n.F. verpflichtet, Fremdgeld unverzüglich an die Verbraucher weiterzuleiten oder auf einem Anderkonto zu verwahren. Sie ziehen damit mit der Anwaltschaft gleich. Dadurch können Verbraucher besser vor einer Insolvenz der Anbieter geschützt werden. Bislang war dies lediglich als Soll-Auflage durch die Registrierungsbehörden vorgesehen. Zudem wurde mit § 13c RDG n.F. eine eigene Vorschrift für Vergütungsvereinbarungen ähnlich wie die für die Anwaltschaft eingefügt.

2. Was bringt die Reform für die Anwaltschaft?

Für die Anwaltschaft eröffnen Änderungen in der BRAO und im RVG die Möglichkeit, bei Inkassodienstleistungen (der Höhe nach sogar unbegrenzt) und bei (neu: nur pfändbaren) Geldforderungen bis zu 2.000,- € Erfolgshonorare zu vereinbaren. Das ist ein begrüßenswerter Kompromiss, weil er künftig auch Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten die Freiheit gibt, Legal Tech-basierte Standardfälle auf Erfolgshonorarbasis anbieten zu können und in diesem Bereich mit Legal Tech-Inkasso-Anbietern gleichzuziehen. Man hätte allerdings konsequenterweise auch bei Inkassodienstleistungen eine Obergrenze von 2.000,- € ziehen müssen.

Ob Erfolgshonorare mit einer Prozessfinanzierung gekoppelt werden dürfen, war bis zuletzt ebenfalls sehr umstritten. Der Gesetzgeber hat sich auch hier kurz vor Verabschiedung zu einem Kompromiss durchgerungen und erlaubt künftig die Übernahme von Fremdkosten nur bei Inkassodienstleistungen nach § 4a I Nr. 2 RVG n.F., nicht in gerichtlichen Verfahren. Der Regierungsentwurf vom 20.01.2021 sah hier noch eine weitergehende Liberalisierung vor, was aber zu Recht auf heftige Kritik stieß. Aber auch die Kompromisslösung ist bedenklich, da Erfolgshonorare auch ohne Prozessfinanzierung angeboten werden können. Kostenrisiken können separat durch Prozessfinanzierungsgesellschaften abgedeckt werden. Die Übernahme von Fremdkosten stellt für die Anwaltschaft ein Fremdkörper dar. Sie ist eine gewerbliche Tätigkeit und führt zu Interessenkonflikten. In diesem Punkt ist der Gesetzgeber daher zu weit gegangen.

Ende gut, alles gut?

Das im Eiltempo durchgepeitschte Gesetz ist schon vor Inkrafttreten reparaturbedürftig. Das hat der Gesetzgeber selbst erkannt, indem ein Entschließungsantrag mit verabschiedet wurde. Der künftigen Bundesregierung wurde neben weiteren klärungsbedürftigen Punkten als wichtigste Hausaufgabe der Prüfungsauftrag erteilt, die Kohärenz zwischen den berufsrechtlichen Anforderungen an die Rechtsanwaltschaft einerseits und an andere Rechtsdienstleister andererseits zu überprüfen und erforderlichenfalls Korrekturen vornehmen. Insgesamt ist es dem Gesetzgeber somit nicht gelungen, mit dem neuen Legal Tech-Inkasso-Gesetz ein in sich stimmiges und damit kohärentes System der Regulierung von Anwaltschaft und Legal Tech-Anbieter zu schaffen. Dies dürfte auch weiterhin für lebhafte Diskussionen sorgen.

Autor: Der Autor Dr. Frank Remmertz ist Rechtsanwalt in München. Er berät Unternehmen und Investoren u.a. im Rechtsdienstleistungsrecht, insbesondere mit Bezug zu Legal Tech. Mehr unter www.remmertz.legal

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