Mehr simple Lösungen für Nicht-Jurist:innen – Wie kann Legal Tech für alle funktionieren?
Legal Tech für Verbraucher:innen oder nicht-juristische Unternehmer:innen zu entwickeln wird immer wieder gefordert und nimmt zunehmend Fahrt auf. Der Startup-Gründer Elias Reiche beleuchtet im Folgenden die aus seiner Sicht notwendigen Denkweisen im Entwicklungsprozess nicht-juristischer Legal Tech Anwendungen am Beispiel der Kreativindustrie.
Mehr Künstler:innen, weniger Jurist:innen
Digitale Lösungen an Jurist:innen zu verkaufen ist schwer. Eine Gruppe von Menschen, die darauf trainiert ist, Fehler und Schwächen zu finden. Software, die ohne große Sprachmodelle Schwierigkeiten hat, juristische Sprache sinnvoll zu verwerten. Eine Haltung vieler Anwält:innen, dass man fast alles automatisieren könnte, nur leider nicht die eigene Arbeit. Das Billable-Modell, das zur Langsamkeit anregt. Wenn man diese Gemengelage durchdrungen hat, ermöglicht Legal Tech häufig Jurist:innen, ihre juristische Arbeit schneller auszuüben. Andere digitale Bewegungen wie das Internet of Things, Fintech, Blockchain und künstliche Intelligenz treten an, die Gesellschaft herauszufordern. Legal Tech will zu häufig lediglich etablierte Prozesse beschleunigen. Juristische Arbeit von Menschenhand wird aus verschiedensten Gründen lange notwendig bleiben. Aber gibt es nicht bereits genug standardisierte Fälle, in denen menschliche juristische Arbeit ersetzt werden könnte und sich Legal Tech daher an Nicht-Jurist:innen richten müsste? Wie wäre es mit einer Personengruppe, die mittels Legal Tech die eigene Arbeit rechtssicher ausüben könnte? Einer Gruppe, die abhängig ist von präzisen schriftlichen Einigungen. Einer Gruppe, die informell, kreativ und digital arbeitet. Einer Gruppe, die sich selten eine Anwält:in leistet, sondern die Rechtsunsicherheit meist schlicht hinnimmt. Wie wäre es zum Beispiel mit Künstlerinnen und Künstlern? Wenn diese Personengruppe von Legal Tech überzeugt werden kann, wäre die Bewegung hin zu einer breiten digitalen Veränderung einen guten Schritt weiter. Was sind denkbare Ansätze, um Künstler:innen und andere nicht-juristische Kundengruppen anzusprechen?
Minimalistische Sprache
Auch eine gesamtgesellschaftliche Bewegung muss zunächst die Sprache einer Zielgruppe sprechen. Viele erfolgreiche Anwendungen haben damit begonnen, spezifische Probleme für kleinste Untergruppen zu lösen. Einfache Lösungen für komplexe Probleme kann der Ansatz vieler Legal Tech Lösungen sein. Dafür müssen sie radikal nutzerzentriert konzipiert sein und juristische Inhalte simpel aufbereiten. Viele juristische Prozesse dürften dann auch ohne Vorwissen für Nicht-Jurist:innen greifbar sein, durch zielgruppengerechte Sprache und vertraute Interfaces. Mut zum Minimalismus ist dafür erforderlich. Wie viele Wörter in einem juristischen Schriftstück müssen im Nutzerfokus stehen? Die Legal-Design-Bewegung hat erfolgreich gezeigt, dass piktographische Darstellungen genügen, um wesentliche Vertragsinhalte zu kommunizieren. Volltexte sind das „Backend“ hinter dem Handschlag und dürfen getrost am Ende und nicht im Zentrum eines juristischen Prozesses stehen. Wenn 40 % liegen gelassen werden, ist den restlichen 60 % besser geholfen. Wenn die wesentlichen Inhalte nutzbar und verständlich gemacht werden, dürfte auch der Rechtssicherheit in vielen Fällen mehr geholfen sein als durch das nicht gelesene lange Dokument. Der Export darf sich daher nicht im PDF erschöpfen, sondern muss im Kalender, in Briefings, Zusammenfassungen und Social-Media wieder ausgespielt werden. Im B2B sind das die Schnittstellen zum CRM-System, Datev und Outlook. So kann per Klick das Schriftstück ausgefüllt sein bevor das erste Mal die Tastatur genutzt wird, die Ankündigung über den neuen Deal auf LinkedIn wird automatisch ausgespielt und die Deadline wird auch nicht übersehen. Schnittstellen könnten die Antwort auf Implementierungsprobleme und lange Entwicklungszyklen sein. Wenn Lösungen ihre Informationen integriert ziehen und ausspielen, können juristische Teilprobleme effektiver und günstiger gelöst werden. In der Kreativindustrie, die stark von Freelancern geprägt ist, gibt es viele Lösungen für Projektplanung und Netzwerke. Eine vertikale Lösung für rechtliche Probleme fehlte bisher.
Mobile Interfaces
92 % des Internetverkehrs geschieht auf dem Handy. Wie viele Legal Tech Lösungen gibt es, die nativ auf dem Handy funktionieren? Mit Mut zum Minimalismus kann auch Komplexes auf der geringen Fläche dargestellt werden. Die Kreativszene ist jung und arbeitet digital. Dementsprechend müssen sich Lösungen in diesem Bereich an bekannten Apps wie Tinder und Instagram orientieren anstelle eines Designs und einer Menüführung von B2B Lösungen. Die Orientierung an existierenden Verbraucher-Apps steigert die Benutzerfreundlichkeit und Vertrautheit in der Nutzung. Zudem zwingt die Oberfläche zum Vereinfachen, was in der Balance zur juristischen Vollständigkeit nutzerfreundliche Lösungen erzeugen dürfte. Selbstverständlich geschieht viel geschäftlicher Verkehr weiterhin auf dem Desktop, wo die erzeugten Informationen im Zusammenspiel mit der mobilen App funktionieren müssen. Dennoch kann es dem Entwicklungsprozess enorm helfen, wenn alle Funktionen auch mobil vorhanden sein müssen. Barrierefreies Legal Tech setzt Einsetzbarkeit auf allen genutzten Geräten voraus.
Transparentes Pricing
Der erste Schritt der Implementierung ist der Kauf und sollte nach demselben Prinzip transparent, unkompliziert und vertraut sein. Um eine echte Konkurrenz zum etablierten Prozess zu sein, braucht es ein schnelles Einkaufserlebnis. Wenn wenige simple Abo-Pakete mit kostenlosen Testmonaten kombiniert werden, steigert dies die Abschlussrate und senkt die Dauer des Sales Zyklus. Komplexität, nur dort wo sie notwendig ist, bedeutet auch ein Enterprise Pricing nur im Notfall anzubieten und die Kundenbindung erst im Support und nicht im Sales Prozess zu erzeugen. Auf ein „Massengeschäft“ fokussierte Legal Tech Lösungen wie bspw. Rightnow und die Rightmart Group haben auf dem deutschen Markt bereits bewiesen, dass dies häufig der umsatzstärkere Ansatz ist. Auch aus dieser Perspektive könnte es sich lohnen, unabhängig von den wenigen kaufkräftigen Wirtschaftskanzleien und großen Rechtsabteilungen zu denken. Eine Eigenart des Kreativmarkts sind die ungleichen Bedürfnisse und Kaufkraft zwischen den Rechtekäufer:innen (wie Agenturen und Labels) und den freischaffenden Künstler:innen. Dies erfordert Flexibilität im Pricing und Reduzierung auf das wirklich Benötigte. Auf dem Rechtsmarkt liegt diese Kluft zwischen den großen Kanzleien und der einzelnen Privatperson, die aus Vogelperspektive zunächst beide mit einem juristischen Problem konfrontiert sind.
Fazit
Es gibt einfache und effektive Lösungen auf dem deutschen Legal Tech Markt. In zumindest ähnlicher Quantität gibt es extrem komplexe „Plattformen“, die in langen Sales Zyklen und Implementierungsprozessen hoch spezialisierten Jurist:innen die Arbeit erleichtern. Diese generalistischen Lösungen sind ohne Zweifel wichtig und werden immer wichtiger. Jedoch sehen wir derzeit keinen breiten Einsatz von innovativen Legal Tech Lösungen in der Gesellschaft, wie es aus anderen Industriezweigen heraus bereits Alltag ist. Mit einem „Action Bias“ hin zu Verbraucher:innen und vielen minimalistischen Testballons, könnte die Gesellschaft befähigt werden, ohne Beratung rechtssicher zu arbeiten. Ein Ansatz ist die App FEATRme des Autors und seines Mitgründers, die nach dem Prinzip von Dating-Apps Verträge in der Kreativindustrie verhandelbar macht. Die simple Oberfläche bildet dabei nicht jeden hoch komplexen Einzelfall ab, ist aber ohne juristische Kenntnisse sofort einsetzbar. Die Software ist als native iPhone-App entwickelt worden. Das Ergebnis ist eine App, mit der Verträge ohne Vorwissen in unter einer Minute verhandelt, erstellt und unterschrieben werden können.
Autor: Elias Reiche ist Mit-Gründer des Start-Ups FEATRme, das Vertragsverhandlungen in der Kreativindustrie erleichtert. Die gleichnamige App ist im iPhone App-Store verfügbar. Das Startup arbeitet unter anderem mit dem Legal Tech Colab, der Kanzlei Nordemann und dem Bundesverband Influencer Marketing zusammen. Neben seiner unternehmerischen Tätigkeit war der Autor bis Ende 2023 bei der Venture Capital Kanzlei YPOG beschäftigt und im Vorstand bei eLegal e.V., einer studentischen Legal Tech Initiative.