Matter Management statt CLM: DAS neue Must-have Strukturelement in deutschen Rechtsabteilungen?
Zeichnet sich ein neuer Trend bezüglich des Legal Operations Top-Themas ab? Nachdem in den letzten Jahren nach wohl einhelliger Meinung das Thema Vertragsmanagement (=Contract Lifecycle Management, CLM) dominiert hat, sind Anzeichen dafür wahrnehmbar, dass die Arbeitssteuerung (=Matter Management) in den nächsten Quartalen noch größere Bedeutung erlangen könnte.
Die Bedeutung eines performanten Vertragsmanagements für Unternehmen kann kaum überbewertet werden. Dennoch mehren sich die Anzeichen, dass ein anderes Thema aktuell möglicherweise noch stärker in den Vordergrund rückt.
Legal Operations: bisherige Dominanz des Themas Vertragsmanagement (CLM)
Was in den letzten Jahren zunehmend unter dem Begriff „Vertragslebenszyklusmanagement“ oder „Contract Lifecycle Management (CLM)“ zusammengefasst wurde, ist nichts weniger als die Fähigkeit, in kürzester Zeit Transparenz über Vertragsportfolios zu erhalten und mit hoher Effizienz und Effektivität umfassende Maßnahmen zur Realisierung identifizierter Optimierungspotenziale einzuleiten. Egal ob Compliance, Finance, Sales, Lizenzmanagement oder Procurement – diverse Unternehmensbereiche arbeiten tagtäglich mit Verträgen und Vertragsdaten. Sie alle profitieren von einem potenten, digitalen Vertragsmanagement mit Steuerungsfeatures. Die Systeme helfen jedoch nicht nur bei bereits unterzeichneten Verträgen, sie bieten auch und insbesondere in den Phasen vor der Unterzeichnung enormes Potenzial zur Ressourcenoptimierung – durch Standardisierung, Digitalisierung und Automatisierung. Für eine Vielzahl von Standardverträgen (die oft mehr als 50-70% aller Verträge im Portfolio eines Unternehmens ausmachen), können die Aufwände für die Mitarbeiter in Rechtsabteilungen erheblich reduziert werden, so dass diese sich auf strategisch bedeutsamere und anspruchsvollere Arbeiten fokussieren können. Möglich wird dies durch die Verwendung von interaktiven Vertragstemplate-Generatoren, die intelligent auf umfassende Klausel-Datenbanken zugreifen und dafür sorgen, dass im Vertragsentwurf die passenden Klauseln an der richtigen Stelle platziert werden. Auch während der Verhandlungsphase können digitale CLM-Lösungen unterstützen und z.B. entsprechend eines vorab entwickelten individuellen Playbooks automatisiert Fallback-Klauseln vorschlagen. So steigt die Konsistenz der Vertragsinhalte im gesamten Portfolio. Die Verhandlungsergebnisse, also die Vertragspositionen selbst, die erreicht werden, sind im Durchschnitt über das gesamte Portfolio deutlich besser als es ohne eine CLM-Unterstützung der Fall wäre. Dies, gepaart mit einem effektiveren Claim und Obligation Management führt regelmäßig dazu, dass Unternehmen Profitabilitätssprünge von mehreren Prozentpunkten realisieren[1].
Kurzum: die Einführung einer effektiven digitalen Vertragsmanagementlösung steht aus guten Gründen seit Jahren weit oben auf der Agenda jedes Verantwortlichen für die Abläufe in Rechtsabteilungen.
Legal Matter Management als neues Top-Thema im Bereich Legal Operations?
So wichtig die Bedeutung des Themas Vertragsmanagement auch ist, in den letzten Quartalen mehren sich die Anzeichen, dass diesem Thema der Rang abgelaufen wird. Die Arbeitssteuerung, beziehungsweise genauer gesagt: die Fähigkeit, juristische Geschäftsvorgänge proaktiv zu steuern, bevor, während und nachdem sie Rechtsabteilungen beschäftigen, scheint zunehmend noch höher priorisiert zu werden.
Deutlichstes Signal: selbst bei Unternehmen, bei denen ein Contract Lifecycle Management bisher nur rudimentär oder fragmentiert vorhanden ist, tendiert man dazu, das Thema Legal Matter Management aktiv anzugehen. Mehrmals in den letzten Monaten wurde uns in unserer Beratungstätigkeit signalisiert, dass Matter Management als transparenzschaffendes Werkzeug als das A und O für die Transformation der Rechtsfunktion gesehen wird. Ferner wird die Funktion „Legal Front Door“ auch als Möglichkeit gesehen, Anfragen von internen Kunden direkt auf besser geeignete Serviceangebote umzulenken, die schneller und unabhängig von der zeitlichen ad-hoc Verfügbarkeit von Spezialisten die notwendigen Informationen bereitstellen können.
Esther Kremer, Senior Legal Counsel und Global Head of Legal Operations bei Grünenthal, sagt in diesem Kontext: „Zwar haben wir vor einiger Zeit mit der Einführung einer CLM-Lösung begonnen. Mit dem Wissen von heute hätte ich aber anders entschieden. Im Vergleich hätte ich mit relativ geringem Aufwand einen Quick Win erzielt.“
Legal Matter Management: Vorteile und Herausforderungen bei der Einführung
Matter Management Lösungen bieten vor allem Transparenz und damit Planungsgrundlage für zukünftige Ressourcendiskussionen, sowie die Möglichkeit, Anfragen direkt dort, wo sie ansonsten zur Rechtsabteilung gelangen würden, umzuleiten auf besser geeignete Serviceangebote.
Ein weiterer, ganz wesentlicher Vorteil von führenden Matter Management Lösungen liegt darin, dass Wissen aus vorigen Anfragen zur Beantwortung zukünftiger Anfragen in strukturierter Form verfügbar gemacht wird. Nicht selten wird daher ein Legal Matter Management auch als wesentlicher Bestandteil eines Legal Knowledge Management gesehen.
Wichtig ist sicherlich auch, dass durch die in einem Matter Management System hinterlegbare Unterstütung von Prozessen und Workflows einerseits „überflüssige“ Kommunikation eliminiert und Barrieren zwischen Stakeholdergruppen aufgehoben werden können. Eine funktionierende Matter Management Lösung hilft also einerseits, unnötige Kommunikation zu reduzieren und erwünschte, Wert stiftende Kommunikation zu fördern, indem die Interaktion zwischen den tatsächlich zu beteiligenden Stakeholdern durch das System ausgelöst wird, während Missverständnisse und damit verbundene wertfreie Kommunikation verhindert werden.
Eine der wesentlichsten Herausforderungen bei der Einführung eines Matter Managements, dürfte die Tatsache sein, dass sich typischerweise die Interaktion zwischen internen Mandanten und Ansprechpartnern in der Rechtsabteilung ändert. Die bringt gravierende Implikationen (Kommunikations)Kultur und Change Management mit sich. Denn die strukturierte Aufnahme der wesentlichen Merkmale eines Legal Matter (=Geschäftsvorgangs) bedingt, dass Anfragen bei der Rechtsabteilung nicht wie früher gewohnt als gesprochener oder geschriebener Freitext dort ankommen und vom Mitarbeiter ad-hoc gewürdigt werden, sondern in aller Regel vorab in digitaler Form strukturiert aufgenommen und einer Segmentierungslogik entsprechend klassifiziert dem jeweiligen Bearbeitungspfad zugeleitet werden. Dies kann, insbesondere in der Anfangsphase, zu erheblichen Verwerfungen führen.
[1] Studie von World Commerce & Contracting, 29. April 2020, abrufbar unter: https://www.worldcc.com/Resources/Content-Hub/View/ArticleId/9773/Poor-Contract-Management-Continues-To-Costs-Companies-9-Of-Their-Bottom-Line
Autor: Dr. Matthias Schwenke, LL.M. ist Rechtsanwalt und Unternehmensberater. Nach seiner Promotion im Verfassungsrecht war er zunächst fünf Jahre als Strategieberater bei BCG tätig. Danach wechselte er zur Deutschen Telekom, wo er im Wholesale-Vertrieb Glasfaser-Deals mit Telefonica und Vodafone i.H.v. mehr als 600 Mio. Euro strukturierte und verhandelte. Seit inzwischen fünf Jahren konzentriert er sich vollständig auf das Thema Legal Operations: zunächst baute er als Geschäftsführer das Deutschland-Geschäft von Axiom Law auf. Seit Anfang 2019 verantwortet er bei PwC Deutschland den Aufbau des Geschäftsfeldes NewLaw.