Was bringt der Gesetzentwurf vom 6.10.2020? Eine Analyse von Prof. Dr. Volker Römermann
Der Referentenentwurf eines Gesetzes „zur Förderung verbrauchergerechter Angebote im Rechtsdienstleistungsmarkt“ vom 6. Oktober 2020 bringt auf 47 Seiten erhebliche Veränderungen. Etwas mehr Freiheit für LegalTech-Inkassounternehmen, endlich – in gewissem Rahmen – das Erfolgshonorar für Anwälte. Das Ganze könnte schon Mitte 2021 in Kraft treten. Im Folgenden soll ein Blick auf den Bereich LegalTech geworfen werden.
Verbrauchergerecht: Das ist oft der Anspruch moderner Angebote im Rechtsdienstleistungssektor. Was ist verbrauchergerecht? Rechtsberatung soll leicht zugänglich sein, einfach, schnell, bequem, einen hohen Servicelevel bieten. Kostengünstig sein. Risiken, wenn es überhaupt welche geben muss, sollten in einem angemessenen Verhältnis zum Preis stehen. Alles Ansprüche, die Nachfrager auf dem Rechtsdienstleistungsmarkt heute stellen, die früher kaum beachtet und noch seltener erfüllt wurden. Niemand hörte schließlich hin, wenn Kunden nach Beratung fragten. Nur so ist es zu erklären, dass in der Juristerei noch immer von den „Rechtsuchenden“ gesprochen wird, wenn man den Kunden meint. Der sucht indes gar nicht das „Recht“, sondern er möchte eine Dienstleistung in Anspruch nehmen, die seinem Interesse gerecht wird, die ihn seinem Ziel näherbringt, mag es rechtlicher, wirtschaftlicher oder sonstiger Natur sein.
Der Verbraucher des 21. Jahrhunderts ist aufgeklärt, selbstbewusst, sich seiner starken Stellung am Markt durchaus bewusst. Er will sich nicht abfertigen lassen. Er will verstehen, was geschieht. Dem genügt kein hochmütiger Verweis auf Gesetze, sondern Information auf Augenhöhe. Dadurch in den Stand versetzt werden, selbst zu entscheiden. Das Rechtsdienstleistungsgesetz (RDG) trägt dem kaum, eigentlich gar nicht Rechnung. Es beruht auf dem „Verbotsmodell“ (näher Römermann: Überlegungen zu einer Fortentwicklung des Rechtsberatungsmarktes weg vom Verbotsmodell, AnwBl Online 2020, 518): Rechtsdienstleistungen zu erbringen, ist grundsätzlich verboten. Ausnahmen gelten für wenige, enumerativ aufgezählte Anbieter: Insbesondere Rechtsanwälte und Inhaber besonderer Erlaubnisse. Diejenigen, die früher dort als Inkassounternehmen registriert waren, hatten wenig Ambition. Sie boten an, Forderungen einzutreiben, juristisch simpel, copy-and-paste der Daten, die geliefert wurden. Diejenigen, die seit einigen Jahren an ihre Seite treten, haben mit ihnen außer der Registrierung als Inkassounternehmen wenig gemein. Sie wollen höher hinaus, schwierigen Fällen gegenüber sind sie aufgeschlossen, von B2B sind sie zu einem breiteren Spektrum gelangt, sie können auch B2C. Fallen sie überhaupt noch unter Inkassounternehmen im Sinne des RDG, wurde deshalb gefragt, oder ist ihnen dieses Terrain verschlossen?
Offene Fragen nach „LexFox I“ bald geklärt?
In seiner richtungsweisenden Entscheidung „LexFox I“ hatte der BGH am 27. November 2019 („Verbraucher und Recht“ (VuR) 2020, 42 mit Besprechungsaufsatz Römermann) das Tor zum Rechtsdienstleistungsmarkt für Anbieter geöffnet, die nicht mehr althergebrachten Standesgepflogenheiten frönen, sondern die Dienst am Kunden verrichten wollten. Einige der bis dahin heftig umkämpften Fragen wurden klar zugunsten der LegalTech-Unternehmen entschieden. Bei anderen zeigte sich der BGH offen für beide Sichtweisen: Die der LegalTechs und die der Verteidiger des Status Quo, insbesondere also einiger Anwaltskammern. Es sei „noch“ zulässig, wenn etwas wie im Modell „LexFox“ geschehe, heißt es dann. Damit ist weiter Raum für Meinungsverschiedenheiten und Verbote.
Einige dieser Streitfragen werden nun zugunsten der LegalTech-Anbieter geklärt. Dem § 4 RDG wird etwa der Satz angefügt, dass es keine Gefährdung darstelle, Rechtsdienstleistung in Verbindung mit Prozessfinanzierung anzubieten. Durch zahlreiche Informationspflichten in einem neuen § 13f RDG-E werden Phänomene anerkannt, deren Zulässigkeit immer noch umstritten ist: Etwa das Erfolgshonorar (einige Stimmen in der Literatur meinen nämlich immer noch, man müsse das anwaltliche Berufsrecht auf andere Rechtsdienstleister erweitern und damit gelte insoweit ein grundsätzliches Verbot), die Übernahme von Kostenrisiken, die parallele Verfolgung von Ansprüchen mehrerer Berechtigter (das LG München I hatte das wegen möglicher Interessengegensätze in Frage gezogen – dazu die Besprechung von Römermann, AnwBl Online 2020, 284).
Aussagekräftiger Registrierungsantrag
Einem Antrag auf Registrierung für den Bereich der Inkassodienstleistungen ist zukünftig eine Darstellung der beabsichtigten Tätigkeit beizufügen. Aus dieser muss sich insbesondere ergeben, (1.) auf welchen Rechtsgebieten die Tätigkeiten erbracht werden sollen und (2.) ob und gegebenenfalls welche weiteren Tätigkeiten als Nebenleistungen zur Forderungseinziehung erbracht werden sollen. Soweit bei Inkrafttreten der Neuerungen eine Registrierung bereits vorhanden ist, muss der Aufsichtsbehörde binnen einer bestimmten Frist danach eine Darstellung der konkret ausgeübten Inkassotätigkeit übermittelt werden.
Durch diese neuen Pflichten im Zusammenhang mit der Registrierung soll Rechtssicherheit geschaffen werden. Bislang ist es nämlich so, dass sich ein Unternehmen registrieren lässt, daraus aber keine Konsequenzen im Hinblick auf die Legalität des Geschäftsmodells abgeleitet werden. In Wissenschaft und Praxis ist umstritten, ob aus der Registrierung folgt, dass die im Rahmen der Zulassung getätigten Geschäfte per se nicht mehr in ihrer Wirksamkeit in Frage gestellt werden können (so etwa Römermann/Günther, NJW 2019, 551, 553), oder ob trotz Registrierung die darauf aufbauenden Verträge der Nichtigkeit anheimfallen, wenn ein Gericht das Geschäftsmodell als berufsrechtswidrig erachtet (so insbesondere der BGH in „LexFox I“). Die Möglichkeit, dass ein Geschäftsmodell trotz einschlägiger Registrierung doch noch als rechtswidrig eingestuft werden kann, stellt LegalTech-Anbieter vor erhebliche Probleme.
Doppelte Prüfung?
Die bisherige Rechtsprechung beruht nicht zuletzt auf dem Umstand, dass der Registrierung lediglich eine Grobprüfung einiger Angaben des Antragstellers, insbesondere hinsichtlich seiner juristischen Qualifikation, vorausgeht. Das beabsichtigte Geschäftsmodell wird bislang keiner näheren Prüfung unterworfen. Das soll daher, so die Grundsatzentscheidung des BGH, im Nachhinein erfolgen. Wenn zukünftig die Pflicht verschärft wird, die geschäftlichen Absichten im Registrierungsverfahren publik zu machen, ermöglicht das eine inhaltliche Rechtmäßigkeitskontrolle durch die Behörde. Das wiederum könnte eine spätere Nachschau weitgehend entbehrlich machen. Die Entwurfsverfasser schrecken insoweit vor einer klaren Lösung allerdings zurück und äußern nur die Hoffnung, im Rahmen des Möglichen möge Rechtsfrieden eintreten (Seite 19 der Entwurfsbegründung).
So könnte es geschehen, dass sich Aufwand und Risiken der LegalTech-Anbieter schlicht verdoppeln: Einmal im Registrierungsverfahren und später bei der Verteidigung des darauf basierenden Geschäftsmodells, wenn sich Kammern oder Wettbewerber zu Wort melden. Hinzu kommt, dass die Prüfung bei der Registrierung offenbar keine Auswirkungen auf das von der Zulassung erfasste Modell haben soll. Die Varianten der Registrierung verändern sich nämlich nicht. LegalTech-Unternehmen werden damit, wenn der Business Plan das hergibt, auch weiterhin als Inkassounternehmen erfasst.
Nachträgliche Planänderung
Zudem ist zu fragen, welche Auswirkungen es haben soll – wenn überhaupt -, falls sich Veränderungen des Geschäftsmodells ergeben. Streitigkeiten über die Zulassung von LegalTech-Unternehmen entzündeten und entschieden sich in der Vergangenheit oft an einzelnen Formulierungen im Dienstleistungsangebot, an einzelnen Klauseln in den AGB. Jedem Wort kann insoweit maßgebliche Bedeutung zukommen. Wird nun nach Registrierung eine AGB-Klausel geändert, was folgt daraus? Muss jede Modifizierung der Behörde mitgeteilt werden? Ist gar eine neue Registrierung vonnöten? Oder kommt es auf nachträgliche Änderungen gar nicht an und der Kandidat muss nur im Moment der Registrierung eine „weiße Weste“ überziehen, um Stunden später mit ganz neuen Modellen an den Markt heranzutreten? Dem Gesetz lässt sich zu alldem nichts entnehmen.
Fazit
Der Gesetzentwurf ist Teil eines umfassenden Reformpakets im anwaltlichen Berufsrecht, zu dem zwei weitere Entwürfe vom 29. Oktober und vom 18. November 2020 zu rechnen sind (umfassender Überblick bei Römermann, AnwBl Online 2020, 588). Mit seiner Realisierung ist kurzfristig zu rechnen, mit dem Inkrafttreten etwa ein halbes Jahr später. Für LegalTech-Unternehmen wird einiges leichter und Rechtssicherheit wird erhöht. Wenn man näher hinschaut, erweist sich aber auch, welche neuen Streitfragen durch das künftige Registrierungsmodell vorprogrammiert sind.
Autor: Prof. Dr. Volker Römermann ist Rechtsanwalt, Vorstand der Römermann Rechtsanwälte AG, Hamburg/Hannover/Berlin, und berät und vertritt seit 24 Jahren mit Schwerpunkt im anwaltlichen Berufsrecht. Er ist zudem Direktor des Forschungsinstituts für Anwaltsrecht der Humboldt-Universität zu Berlin.