Fachartikel

Legal Tech – vom Schreckgespenst zum Hoffnungsschimmer

Die digitale, prozessintegriert arbeitende Kanzlei vergrößert den zeitlichen und gedanklichen Freiraum des Anwalts und eröffnet gleichzeitig Möglichkeiten zur digitalen Skalierbarkeit seiner Expertise. Richtig eingesetzt, generiert Legal Tech damit Mehrwerte, sowohl für die Mandanten als auch die Berater. Um auf dem Weg zur digitalen Kanzlei keinen Schiffbruch zu erleiden, muss den sirenengleichen Verheißungen der Digitalgurus jedoch widerstanden werden. Dazu sprachen wir mit Andreas Walter, Gründer der Kanzlei Yester & Morrow.

Herr Walter, wann haben Sie Legal Tech für sich als Thema entdeckt?

Es kommt darauf an, wie man Legal Tech definiert. Wenn man unter dem Begriff die autonome Bearbeitung von Massenverfahren mit IT-Systemen versteht, dann noch gar nicht, da dies nicht unserer Arbeitsweise entspricht. Subsumiert man unter dem Begriff die nachhaltige Steigerung der Effizienz und der Beratungsqualität durch die IT-gestützte Rechts- und Steuerberatung, dann schon seit Mitte der 2010er Jahre. Dies hat viel mit meinem beruflichen Lebensweg und meiner Leidenschaft zur präzisen juristischen Arbeit am konkreten Sachverhalt zu tun. Ich bin im Dezember 2004 auf Seiten der Finanzindustrie eingestiegen und habe dort schon früh eine Vielzahl an internationalen Strukturen rechtlich und steuerlich betreut. Seither ist all meinen beruflichen Stationen, sowohl in führenden europäischen Häusern der Finanzindustrie, als auch als Berater gemein, dass eine der größten Herausforderungen in der Deckungsgleichheit zwischen der rechtlichen und steuerrechtlichen Analyse und dem faktischen Lebenssachverhalts sowie der Aktualität der verfügbaren Daten besteht. Mich hat diese Tatsache immer frustriert, da die Aufbereitung sehr viel Zeit bindet und von der eigentlichen Fragestellung ablenkt.

Oder lassen Sie es mich anders formulieren. Der klassisch arbeitende Anwalt verbringt grob vereinfacht 60% seiner Zeit mit der Anbahnung des Mandats, der Ermittlung und Zusammenstellung des Sachverhalts und der Abstimmung mit dem Mandanten. Den ermittelten Sachverhalt überträgt er dann in ca. 25% seiner Zeit auf bestehende Vorlagen und – wenn es ein guter Berater ist – entwickelt in 15% eine individuelle Lösung für die spezifische Fragestellung des Mandanten.

Im Ergebnis verbringt der Anwalt klassisch einen Großteil seiner Zeit mit der Aufbereitung unstrukturierter Daten und nicht der rechtlichen Analyse. Das Traurige ist, das Ergebnis der (teuer erkauften) Aufbereitung und Analyse wird dem Mandanten in der klassischen Vorgehensweise erneut als Textdokument übergeben und steht somit für die weitergehenden Analysen im Lebenszyklus eines Geschäftsprozesses nicht mehr elektronisch weiterverwertbar zur Verfügung. Legal Tech kann dieses Missverhältnis sowohl für die Berater als auch die Mandanten deutlich reduzieren und einen Vorteil sowohl für die Mandanten als auch die Berater generieren.

Wann haben Sie die erste Legal Tech Software eingeführt und welcher gedankliche Prozess ging dem voraus? 

Yester & Morrow wurde mit dem Gedanken der IT gestützten Rechts- und Steuerberatung gegründet. Die erste Software, bzw. das erste „Tool“ haben wir 2019 somit zeitnah nach Gründung von Yester & Morrow eingeführt. Der vorangegangene Prozess war jedoch – rückblickend betrachtet – verbesserungsfähig. Das von uns genutzte und weiterentwickelte Tool ist eine Insellösung und hat ausschließlich digital einen Teilaspekt eines Prozesses in unserer Mandatsarbeit abgebildet. Damals stand das Tool und nicht der Prozess und die Datenbasis im Vordergrund. Daher haben wir nach fünfstelligen Entwicklungskosten zuzüglich der Personalkosten die Entwicklung nach ca. 7 Monaten eingestellt. Ein kostspieliger Fehler, vor dem ich jeden Kollegen nur warnen kann.

Welche Software nutzen oder nutzten Sie konkret für welche Zwecke? Ist dies „Software von der Stange“ oder sind darunter auch selbstentwickelte Lösungen?

Wir haben festgestellt, dass die Eigenentwicklung gemäß unserer Definition von Legal Tech eine kostspielige Sackgasse ist! Heute ist die Grundlage unserer gesamten IT-Architektur eine fortentwickelte Microsoft Cloud Lösung. Sowohl die Kanzleiverwaltung – basierend auf einem CRM-Tool – die Mandatsarbeit nebst Datenbank, als auch Automatisierungsprozesse in der Dokumentenerstellung, lassen sich – mit gewissen Anpassungen – hierin wesentlich besser abbilden, als es uns durch die bisher getesteten reinen Legal Tech Tools und den klassischen Kanzleisoftwareprodukten möglich war.

Und vor allem: Microsoft-basierte Lösungen fügen sich in die digitale Infra- und Sicherheitsstruktur der Mandanten ein und müssen nicht aufwendig bei jedem Mandanten neu zertifiziert werden. Darüber hinaus partizipiert man an der permanenten Weiterentwicklung, Skalierbarkeit und Integration der Systeme. Vor dem Hintergrund, dass das Ziel der prozessintegrierten Rechtsberatung die mit dem Mandanten vernetzte Nutzung strukturierter Daten – einer einheitlichen Datenquelle – entlang der Wertschöpfungskette des Mandanten ist, ein unschlagbarer Vorteil. Aus unserer Sicht ist das prozessgetriebene Customizing von Standardsoftware der Königsweg in der Digitalisierung des Rechtsmarktes.

Interessant. Wie lauten Ihre Erfahrungen nach mehreren Jahren des Einsatzes von Legal Tech? Wie hat sich Ihr Arbeitsalltag dadurch verändert bzw. verbessert?

Im Arbeitsalltag bedeutet dies für die Innenansicht der Kanzlei als Unternehmen: Weniger Zeit- und Abstimmungsbedarf bei administrativen Themen, signifikante Reduktion der Allgemeinkostenquote durch Reduktion von Overheadkosten und Verbesserung der Zusammenarbeit und Integration von Kollegen. Bei der Mandatsarbeit haben wir mehr Zeit, uns detailliert mit der Fragestellung des Mandanten zu befassen und diese auf Basis besserer Daten präziser und schneller zu beantworten.

Welche Tools würden Sie sich noch wünschen? Welche Arbeit innerhalb der Kanzlei könnte noch vereinfacht und eventuell automatisiert werden?

Wir arbeiten aktuell mit mehreren Kooperationspartnern an einer Plattform, um im B2B-Geschäft die Rechts- und Steuerberatung viel näher mit dem Geschäftsprozess des Mandanten zu verbinden. Unser Ziel ist es, den Geschäftsprozess des Mandanten in Einzelprozesse zu zerlegen und auf Basis einer einheitlichen Datengrundlage Beratungsleistungen für die einzelnen Prozessschritte anzubieten. Wichtig: Es endet nicht bei dem Einzelprozess, sondern das Ergebnis steht auch als Datensatz für spätere Geschäftsprozesse zur Verfügung.

Die Rechts- und Steuerberatung wird somit zum integrierten Teil des wirtschaftlichen Geschäftsprozesses des Mandanten und kann ihre zwei Kernfunktionen, i.e. die Umsetzung der wirtschaftlichen Zielsetzung im jeweiligen Rechtsrahmen und die Absicherung des wirtschaftlich gewollten Ergebnisses, viel besser wahrnehmen.

Ist Legal Tech Ihrer Meinung nach etwas für jede Art von Anwaltskanzleien oder betrifft es doch nur einige Rechtsgebiete mehr und andere gar nicht?

Kurz gesagt: Wenn Sie die juristische Arbeit lieben, einen erhöhten Mehrwert für Ihre Mandanten bieten und in 10 Jahren noch wettbewerbsfähig sein wollen, führt an einer digitalen Transformation der Kanzlei kein Weg vorbei. Das Gute hieran ist, dass die Digitalisierung den Ursprung unseres Berufstandes wieder stärkt. War es in der Vergangenheit häufig notwendig, sich großen Anwaltsfabriken anzuschließen, um auf die IT und die administrativen Ressourcen dieses Apparats zurückgreifen zu können, so ermöglicht eine konsequente Digitalisierung der Kanzleiinfrastruktur die nahtlose Kooperation über Rechtsgebiete und Standorte hinweg. So lassen sich zum Beispiel mit unserer Infrastruktur im Verbund von Berufsträgern große Mandate internationaler Mandanten bruchfrei und mit höchstmöglicher Qualität bearbeiten.

Wie sehr setzen Sie beim Service auf digitale Möglichkeiten? 

Die Beratung läuft bei uns weitgehend digital ab, die persönlichen Treffen mit den Mandanten dienen damit vor allem der sozialen Interaktion und Kommunikation. Die individuelle Rechts- und Steuerberatung, sowie grundsätzlich die Zusammenarbeit, setzt ein hohes Maß an Vertrauen voraus und ist damit immer auch eine Frage der persönlichen Interaktion. Die Basis dafür schafft man noch immer am besten bei einem guten Glas Wein und einem gemeinsamen Essen.

Und wie sieht es beim Thema Marketing aus?

Oh je, erinnern Sie mich nicht an unsere Homepage und unseren LinkedIn-Feed! Unser Marketing behandeln wir aktuell noch viel zu stiefmütterlich, da wir uns seit der Gründung vor allem auf den Aufbau der IT-Plattform und die individuelle Mandatsarbeit konzentriert haben. Insofern haben wir hier noch signifikanten Nachholbedarf und suchen aktuell nach Verstärkung in dem Bereich, da die Plattform nun stabil aufgesetzt ist und skaliert werden kann.

Noch eine abschließende Frage: Wie denken Sie wird Legal Tech den Rechtsmarkt in den nächsten 10 Jahren verändern?

Nachhaltig, und dies gleich in mehreren Aspekten. Lassen sie mich dies anhand von zwei Beispielen erläutern. Erstens wird sich die Abgrenzung zwischen inhouse- und externer Beratung einebnen, da Unternehmen zukünftig auf die integrierte, hochspezialisierte Expertise der externen Berater im Prozess zurückgreifen können. Zweitens: Der klassische Pyramidenaufbau in Kanzleistrukturen wird reduziert, da die Menge an Routinetätigkeiten und Analysen zurückgehen wird. Für die Nachhaltigkeit des Geschäftsmodells eines jeden Beraters bleibt es damit bei den folgenden Kernfragen:

  • Was ist meine Leistung?
  • Wo schaffe ich Mehrwert für meine Mandantschaft?
  • Wie reduziere ich zeitintensive, wiederkehrende Tätigkeiten die eher einen höheren Aufwand als einen Mehrwert bieten?

Im Ergebnis werden die gesteigerte Effizienz, optimierte Prozesse und mandantenseitig einzusetzende Software das Tempo im Markt erhöhen. Je mehr strukturierte Daten vorliegen, desto besser können IT-gestützte Systeme die Arbeit des Anwalts unterstützen. Ich bin mir sicher, dass diese Vorgehensweise ausgehend von der kautelarjuristischen Arbeit auch auf die Prozessführung übertragen wird. Wahrscheinlich werden wir dies aber eher im letzten Drittel des 10-Jahreszeitraums sehen.

Vielen Dank Herr Walter für dieses interessante Interview und weiterhin viel Erfolg mit Ihrer Kanzlei.

Über den Interviewten: Andreas Walter blickt als Gründer von Yester & Morrow auf eine langjährige Tätigkeit im Kapitalmarktrecht und Steuerrecht zurück. Nach über zehnjähriger Berufserfahrung in führenden Kapitalverwaltungsgesellschaften ist er seit über neun Jahren auf Partner-Ebene in der Rechtsberatung tätig. In den vergangenen Jahren begleitete er federführend die Konzeption und den Portfolioaufbau paneuropäischer Immobilienfonds sowie den aufsichtsrechtlichen Aufsatz von Kapitalverwaltungsgesellschaften und Portfolio Managern. Zu seinen Mandanten zählen sowohl Initiatoren als auch Investoren (Asset und Portfoliomanager, Banken und Finanzdienstleister, Versorgungswerke, Versicherungen, Industrieunternehmen, sowie Family Offices).

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