Legal Tech und anwaltliche Karrieren: Ein Impuls
Die Jobchancen für wissenschaftliche Mitarbeitende, Referendar:innen sowie Praktiker:innen sind in kleineren wie größeren Kanzleien weiterhin sehr gut. Sie treffen dabei auf eine zunehmend digitale Arbeitswelt. Im Folgenden erhalten Sie einen Überblick, welche Konzepte und Tools man im Blick haben sollte.
1. Fachkräftemangel bleibt
Auch 2022 haben Jurist:innen hervorragende Karrierechancen. Beobachtet man beispielsweise die über das individuelle Nutzerprofil auf LTO-Karriere versandten Bewerbungen, sieht man selbstbewusste Bewerber:innen, die auf vielseitig um den Nachwuchs bemühte Arbeitgeber:innen treffen. So steigt die Anzahl der Bewerbungen pro Bewerber:in, Angebote werden verglichen und der eigene Marktwert ausgelotet. Demgegenüber steht der Wirtschaftskanzleimarkt, welcher letztes Jahr nicht nur am Umsatz gemessen, sondern auch personell gewachsen ist, während die Anzahl der insgesamt zugelassenen Rechtsanwält:innen nach kontinuierlichem Wachstum in den Vorjahren rückläufig war. Neben sinkenden Notenanforderungen in Teilen der Kanzleiwelt sowie im Staatsdienst ist ebenso zu beobachten, dass sich der Blick für darüber hinausgehende Themen weitet: Persönliche Entwicklungsmöglichkeiten, Homeoffice, mobiles Arbeiten, Work-Life-Balance und viele weitere Benefits sind selbstverständliche Inhalte von Bewerbungsgesprächen geworden.
Vor diesem Hintergrund haben Berufseinsteiger:innen sowie Wechselwillige mit Berufserfahrung großartige Möglichkeiten, eigene Ideen einzubringen sowie die digitale Transformation der juristischen Welt mitzugestalten und voranzutreiben. Denn die Wahrscheinlichkeit, dass sie gehört werden, ist höher denn je.
2. Digitale Tools als fester Bestandteil des Arbeitsalltags
Legal Tech ist nicht nur in der Kanzleiwelt, sondern zunehmend auch in Verwaltung und Justiz angekommen. Letztere sollten auch aus Kanzleisicht stets mitgedacht werden, da es insoweit um die Perspektive des jeweiligen Gegenübers geht. Anwendungsfälle sind vielseitig: Sei es beispielsweise die Berechnung eines arbeitsrechtlichen Abfindungsanspruchs, die Höhe des angemessenen Schadensersatzes, der Einsatz von KI-basierter Software bei der Sichtung sensiblen Bildmaterials oder die Bearbeitung von Massenverfahren: Jurist:innen arbeiten zunehmend unterstützt durch digitale Tools und Helfer. Mancherorts entstehen diese Helfer in Eigenregie als Kanzleitool, das Mandant:innen zur Verfügung gestellt wird. Man hat den Eindruck, dass die Debatte um Robo-Lawyer und Robo-Judges den Hype-Cycle überschritten hat und das Tal der Ernüchterung – im positivsten Sinne – individuelle Lösungen für überschaubare Anwendungsfälle mit sich bringt, die in der Summe die juristische Arbeit erleichtern. Damit eröffnet sich mehr Raum für kernjuristische Tätigkeiten sowie das juristische Handwerkszeug, welches Tools nur bedingt ersetzen können und sollten. Man denke beispielsweise an eine sich womöglich über Wochen hinziehende Due Dilligence, die nunmehr innerhalb weniger Tage erledigt werden kann.
Überdies können diejenigen Jurist:innen, die nicht lediglich Anwender:innen der jeweiligen Tools sein und die Gestaltung selbiger vorantreiben möchten, auf ein großes, nur teilweise bestelltes Feld blicken. Hierbei dienen häufig führende Technologieunternehmen als Vorbilder für auf die juristische Arbeitswelt übertragbare Prozesse. So hört man aus dem Markt, dass erste Wirtschaftskanzleien dazu übergehen, ihr Automatisierungswissen in fachgruppenübergreifenden Automation-Teams zu bündeln. Dies hat nicht nur Auswirkungen auf die unmittelbare Mandatsbearbeitung durch Associates, sondern auch für den jeweiligen Partner Case in fortgeschrittenen Jahren. Denn während früher exzellente Fachkenntnisse und tiefgreifendes Industry Knowledge kombiniert mit ersten selbstgeknüpften Mandatsbeziehungen vielversprechend waren, kann in der zunehmend arbeitsgeteilten Kanzlei derjenige ebenso punkten, der das Mandat agil begleitet, zwischen technischen und juristischen Welten navigieren und Ergebnisse effizient in Workflowlösungen gießen kann.
3. Persönliche Handlungsempfehlungen
Falls Sie am Anfang Ihrer Karriere stehen, sollten Sie sich durch die Fülle des Examensmaterials sowie die vermeintliche Notwendigkeit, nun auch noch ein halbes Computer Science-Studium absolvieren zu müssen, nicht aus der Ruhe bringen lassen. Nicht jede:r muss (und sollte) Legal-Tech-Expert:in sein und es braucht für den sicheren Umgang mit Legal Tech-Tools kein eigenes Studium. Es scheint jedoch auch für weniger technologieaffine Jurist:innen ratsam, sich eine grundsätzliche Sprechfähigkeit in diesem Themenbereich anzueignen. Denken Sie in diesem Zusammenhang beispielsweise an ein ungeliebtes Rechtsgebiet, das Sie jedenfalls in Grundzügen für das mündliche Examen gelernt haben. Lesen Sie gelegentlich Online-Medien, auf Social-Media geteilte Artikel und informieren Sie sich vor einem Bewerbungsgespräch über das digitale Wirken Ihres Gegenübers. Ebenso empfehlenswert ist, im Berufsleben den Kontakt mit Freund:innen und ehemaligen Kommiliton:innen zu pflegen, um zu erfahren, was abseits der eigenen Kanzleiwände in Planung oder Umsetzung ist. So schärfen Sie Ihren Blick für das technisch Mögliche – und das bereits früh in Ihrer Karriere, beispielsweise dem Referendariat.
Technologieaffine Jurist:innen sollten sich neben den üblichen Marktteilnehmer:innen, die teils omnipräsent sind, mit Grundlagen des Programmierens sowie allgemeinen Themen rund um Automatisierungslösungen beschäftigen. Insoweit sollten zunächst grundlegende technische Möglichkeiten, Denkmuster sowie – zumindest in Ansätzen – eine Programmiersprache erlernt werden. Diese lassen sich im Anschluss auf den juristischen Arbeitsalltag übertragen. Es geht hierbei mehr darum, durch technisches Hintergrundwissen Möglichkeiten zur Vereinfachung und Automatisierung zu erkennen, als diese selber zu programmieren (was im Einzelfall natürlich auch geschieht und erfreulich ist). Regelmäßig wird zukünftig jedoch auf Programmierer:innen – sei es als externe Projektpartner:innen oder kanzleiintern – zurückgegriffen werden können. Themen, die sich für einen Einstieg eignen, sind beispielsweise das Zusammenspiel von Microsoft Excel und Word zur Schriftsatzautomatisierung, Regular Expressions zur Filterung und Sortierung von Textabschnitten und die Programmiersprache Python zur vielseitigen, teils automatisierbaren Arbeit mit Text.
Fortgeschrittene können sich mit den Themen OCR (Optical Character Recognition), Chatbots, sowie den technischen Grundlagen von Big Data sowie künstlicher Intelligenz auseinanderzusetzen. Letzteres ist vor allem hilfreich, um die tatsächlichen Einsatzmöglichkeiten sowie vorhandenen Limitierungen zu verstehen. Bei all diesen Themen müssen zum Einstieg keine Unsummen ausgegeben werden, da auf zahlreiche kostenfreie Videotutorials, Artikel, Online-Kurse und Bücher zurückgegriffen werden kann.
Erfreulich ist, dass diese Inhalte häufig so informativ und technisch gut produziert sind, dass Lernen mit ihnen Freude macht. Für diese Erfahrung sowie Ihren persönlichen Weg wünsche ich Ihnen alles Gute und viel Erfolg!
Autor: RA Marc Ohrendorf, LL.M. (UCL/Queen Mary) ist Senior Digital Product Manager bei Wolters Kluwer Deutschland. Dort verantwortet er neben LTO.de Deutschlands reichweitenstärkstes juristisches Stellen- und Karriereportal: LTO-Karriere.de. Er ist Host des Podcasts „Irgendwas mit Recht“ und veröffentlicht regelmäßig Beiträge zu Themen rund um die Zukunft juristischer Arbeit. Marc Ohrendorf ist Dozent für Legal Tech & Automation an der Universität zu Köln.