Fachartikel

Legal Tech in der Schweiz. Es ist kompliziert.

Will man den Beziehungsstatus zwischen Legal Tech und der Schweiz umschreiben, kann man festhalten: Es ist kompliziert. Das kleine Land im Herzen Europas glänzt zwar mit Innovationskraft und belegt seit 2013 stets den ersten Platz im Global Innovation Index. Im Rechtsmarkt spiegelt sich diese Innovationskraft indessen nicht. Noch nicht.

Auch in der Schweiz hat der Begriff Legal Tech vor fünf Jahren einen regelrechten Hype erlebt. In der Presse war von Robo-Lawyers die Rede und es gab zahlreiche Veranstaltungen und Konferenzen, die sich dem Thema gewidmet haben. Nach einer Phase der Euphorie, setzten sich zunehmend nur noch besonderes progressive Juristinnen und Juristen sowie Legal Tech Enthusiasten mit der Thematik auseinander. Zwar anerkennt mittlerweile ein Grossteil der Schweizer Anwaltschaft, dass sich auch die Rechtsbranche im Wandel befindet. Doch vielen fällt es schwer, aus den gewohnten Schemata auszubrechen und die Art und Weise wie Rechtsdienstleistungen im 21. Jahrhundert erbracht werden könnten, neu zu denken. Insbesondere dann, wenn es darum geht, mehr Technologie dabei einzusetzen.

Wechselt man die Perspektive und betrachtet Legal Tech aus Sicht der Konsumentinnen und Konsumenten, muss man feststellen, dass das Thema in der Schweizer Bevölkerung noch gar nicht richtig angekommen ist. Zwar gibt es auch in der Schweiz einige gut gemachte Online-Plattformen, aber Rechtsberatung ist und bleibt vorerst ein «People Business». Aufschlussreich ist hierzu die länderübergreifende Ipsos Studie, die 2017 von der Internationalen Vereinigung der Rechtsschutzversicherungen (LPI) in Auftrag gegeben wurde. Demnach suchten nur 29% der befragten Personen in der Schweiz im Internet nach rechtlicher Unterstützung. Mehr als die Hälfte (55%) wendeten sich bevorzugt an eine Anwältin, einen Anwalt oder ihre Rechtsschutzversicherung. Vertrauen in die juristische Kompetenz und die Qualität von Online-Plattformen hatte nur ein Drittel der Befragten (36%). Ob die Corona-Pandemie zu einer Verhaltensänderung geführt hat, muss sich noch weisen.

Fragmentierte Gesetzeslage und drei Sprachregionen

Zur zurückhaltenden Nachfrage bei der Anwaltschaft sowie bei Konsumentinnen und Konsumenten, kommen weitere Faktoren hinzu, welche es den Anbietern erschweren skalierbare Legal Tech Lösungen zu etablieren. So kennt die Schweiz drei Sprachregionen, die berücksichtigt werden wollen und es gibt 26 Kantone, welche wiederum über eigene Rechtsordnungen verfügen, was zu einer fragmentierten Gesetzeslage führt. Mit 8,6 Millionen Einwohnern und rund 13.000 registrierten Anwältinnen und Anwälten ist der Markt zudem nicht sonderlich gross. Dazu kommt noch eine gewisse Grundskepsis gegenüber Neuem und Unbekanntem. Nicht nur unter den Anwältinnen und Anwälten. Disruptive Ideen haben es in der Schweiz eher schwer. Schon die Lancierung einer neuen Geschmacksrichtung des Nationalgetränks Rivella hat so seine Tücken.

Diesem rauen Wind stellen sich im Schweizer Rechtsmarkt trotzdem zahlreiche Legal Tech Unternehmen entgegen. Nationale sowie internationale. Und es kommen stetig neue hinzu. Die Swiss LegalTech Association (SLTA) listet in ihrem Mapping 27 Kategorien und über 300 Unternehmen, die in den verschiedenen Sparten tätig sind. Die SLTA fungiert dabei als Hub für die verschiedenen Marktteilnehmer und fühlt der Anwaltschaft regelmässig den Puls in Sachen Legal Tech. So auch in ihrer jüngsten Umfrage, die 2021/2022 gemeinsam mit dem schweizerischen Anwaltsverband (SAV) durchgeführt wurde.

Es kommt eben doch auf die Grösse an

Die Umfrage zeigt, dass das Thema Legal Tech bei den Anwältinnen und Anwälten nicht oberste Priorität geniesst, aber doch präsent ist. Entscheidend scheint dabei die Grösse der Kanzlei zu sein. Während bei Kanzleien mit mehr als 50 Anwälten 40% der Befragten der Überzeugung sind, dass Legal Tech den Rechtsmarkt verändern wird, vertreten bei den kleinen Kanzleien mit 1-10 Mitarbeiter lediglich 28% diese Auffassung. Dabei gilt es zu bedenken, dass rund drei Viertel aller Kanzleien in der Schweiz weniger als 10 Mitarbeitende haben.

Obwohl die Umfrage der SLTA zu Tage tritt, dass immerhin 39% der befragten Anwaltskanzleien zukünftig in Legal Tech Tools investieren wollen, um sich von der Konkurrenz abzuheben, sind es primär grössere Kanzleien, die sich das entsprechende Personal tatsächlich auch leisten. Lediglich 11% der befragten kleinen Kanzleien hegen solche Pläne. Je grösser die Kanzlei, desto grösser also die Wahrscheinlichkeit, dass in Legal Tech Software und entsprechende Fachkräfte investiert wird. Denn mit dem Kauf von Software alleine, ist noch nicht viel erreicht. Es braucht entsprechendes Know-how in der Kanzlei, um das Potenzial von Legal Tech Tools auch tatsächlich auszuschöpfen. Fusionen in der Schweizer Kanzleilandschaft zeigen derweil wohin die Reise führt. Weg von den kleinen Boutique-Kanzleien, hin zu grösseren Betrieben. Diese dürften dann über die Ressourcen verfügen, den gesellschaftlichen Veränderungen Rechnung zu tragen und ihre Angebote auf die neuen Kundenbedürfnisse auszurichten. Auch unter Miteinbezug neuer Technologien. Eine Studie der britischen Law Society sieht «Client Pressure» als wichtigsten Treiber für die Einführung von Legal Tech Tools in Kanzleien. Es sind die Klientinnen und Klienten, welche letztlich erwarten, dass neue Technologien auch zu ihren Gunsten eingesetzt werden. Ob die Anwaltschaft dies nun will oder nicht.

Bereits ein gutes Stück weiter sind derweil die Rechtsdienste von Unternehmen in der Schweiz. So verfügen gemäss dem Swiss Legal Benchmarking Report 2021 von KPMG immerhin 45% aller Unternehmen über Spezialisten im Bereich Digitalisierung und Legal Tech. Im globalen Durchschnitt haben dies lediglich 37%. Zudem planen 36% der Schweizer Unternehmensrechtsdienste entsprechendes Fachpersonal einzusetzen, was ebenfalls über dem globalen Durchschnitt liegt (24%). Auch wenn die Zahl derjenigen Spezialistinnen und Spezialisten, die sich ausschliesslich mit Legal Tech auseinandersetzen, sowohl global betrachtet wie auch in der Schweiz, erst bei 4% liegt, zeigt die Studie auf, dass sich bei den Schweizer Rechtdiensten in Sachen Digitalisierung einiges tut.

Mehr Zugang zum Recht

Zurück zu den Legal Tech Plattformen. Obwohl sich Konsumentinnen und Konsumenten in der Schweiz bisher noch nicht richtig mit ihnen anfreunden konnten, zeigen erfolgreiche Beispiele aus Deutschland, wie diejenigen der RightNow Group oder des Legal Tech Unternehmens CONNY, dass solche Plattformen einen wichtigen Beitrag für einen besseren Zugang zum Recht leisten können; gerade dann, wenn es darum geht, die Rechtsdurchsetzung einfacher und erschwinglicher zu machen.

Solange ein Grossteil der Bürgerinnen und Bürger bei Rechtsstreitigkeiten, aus Angst vor den Kosten, auf die Durchsetzung ihrer Rechte verzichtet, sollten deshalb progressive Juristinnen und Juristen sowie Legal Tech Enthusiasten weiter daran arbeiten, Legal Tech Plattformen zu etablieren. Auch wenn es in der Schweiz bisweilen – nun ja – kompliziert ist.

Autor: Ioannis Martinis ist Head of Legal Tech der Coop Rechtsschutz AG und verantwortet beim Rechtsdienstleister YLEX die Kommunikation. Er ist Vorstandsmitglied der Swiss LegalTech Association (SLTA) und Ambassador for Switzerland der European Legal Technology Association (ELTA). Im Frühling 2020 hat er den Legal Tech Think Tank «Ethorial» gegründet. Darüber hinaus ist Ioannis Martinis Dozent und Studiengangsleiter des CAS Legal Tech an der Hochschule für Wirtschaft Zürich (HWZ).

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