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Legal Tech in Afrika – Innovation braucht kein Hightech

In Afrika hat sich in den letzten Jahren eine sehr lebendige Legal-Tech-Szene mit einer Vielzahl unterschiedlichster Angebote etabliert. Folgender Artikel kann nur auf Einzelnes eingehen, ohne die Vielfalt an Angeboten auch nur ansatzweise vollständig darzustellen.

Legal Tech in Afrika befasst sich vor Allem mit dem nutzerfreundlichen Zugang zu Rechtsinformationen, da die Durchführung von Massenverfahren oder die Rechtsdurchsetzung von Beträgen, welche unterhalb des rationalen Desinteresses liegen, praktisch kaum durchführbar ist. Schließlich sind viele Justizsysteme in Afrika dramatisch unterfinanziert, was zur Folge hat, dass in manchen Ländern nur 55% des benötigten Personals vorhanden ist. Dies bedeutet aber nicht, dass es keine afrikanischen Legal Tech Angebote gibt, die Massenverfahren durchführen könnten. Eine Konkurrenz zu deutschen Legal Tech Angeboten wie Flightright stellt das in Nigeria ansässige Unternehmen Africlaim dar. Dieses bietet seinen Kunden an, Ansprüche wegen Flugverspätungen, gegen eine Erfolgsprovision von 25% netto, sowohl nach europäischem Recht als auch nach nigerianischem Recht durchzusetzen. Im Folgenden wird kurz auf einzelne Angebote für Verbraucher (1) sowie für professionelle Rechtsanwender (2) eingegangen.

1. Legal Tech Angebote für Verbraucher

Chatbots sind eine häufig genutzte Möglichkeit, Rechtsinformationen nutzerfreundlich zu vermitteln.

Ein solcher Ansatz wird auch von dem ugandischen Start-up JusticeBot verfolgt. JusticeBot ist eine Seite auf Facebook, die man mithilfe des Messengers anschreiben kann. Einfache, häufig gestellte Fragen z.B. über den Kauf von Land oder das Beantragen eines Reisepasses werden mithilfe eines KI unterstützten Chatbots beantwortet. Wünscht der Rechtssuchende weitere Informationen, die nicht mehr mithilfe des Chatbots beantwortet werden können, schlägt ihm der Chatbot einen auf der Plattform registrierten Anwalt in der Nähe vor.

Diese Anwendungen sind aber nur für einen geringen Teil der Bevölkerung ein Angebot. So sind in Uganda nur 6,4% der Bevölkerung auf Facebook registriert. In Subsahara-Afrika nutzen nur 28% der Bevölkerung mobiles Internet. Kabelgebundenes Breitbandinternet spielt praktisch kaum eine Rolle, da knapp 300 Millionen Menschen mehr als 50 km von einer solchen Verbindung entfernt wohnen. Auch machen Smartphones nur 48% aller Verbindungen mit dem Mobilfunknetz aus. Dies bedeutet, dass ca. 700 Millionen Menschen durch rein internetbasierte Angebote nicht erreicht werden können. Allerdings sind 78% der Bevölkerung durch SIM-Karten mit dem Mobilfunknetz verbunden, was andere Ansätze ermöglicht.

Um möglichst viele Menschen erreichen zu können, ist folglich ein „low-tech“-Ansatz erforderlich. Exemplarisch bei der Nutzung dieses Ansatzes ist Sauti East Africa. Das Unternehmen stellt in Kenia, Ruanda, Uganda und Tansania kleinen und mittleren Unternehmen eine Informationsplattform, die den grenzüberschreitenden Handel erleichtern soll, zur Verfügung. So finden sich auf dieser Plattform Informationen über tagesaktuelle Marktpreise von 110 Gütern auf 77 Märkten in 8 ostafrikanischen Ländern, inklusive aktueller Wechselkurse und eine Berechnung der jeweils anfallenden Zölle. Zweck ist, dass Nutzer vorab berechnen können, ob es sich lohnt, ihre Güter auf einem bestimmten Markt in der Region anzubieten. Die notwendigen Rechtsinformationen, die für den grenzüberschreitenden Handel erforderlich sind wie Exportprozeduren, welche Güter nicht exportiert werden dürfen und welche Dokumente für den Export notwendig sind, werden ebenfalls angeboten. Auch findet man dort Informationen, wie man ein Geschäft gründet, welche Schritte für die Registrierung eines Geschäfts notwendig sind oder auch praktische Tipps, wie man ein Geschäft führt.

Abgerundet wird das Angebot mit Informationen über Menschenrechte, Gesundheit und wie man Korruption anzeigen kann. Eine Demo dieser Plattform kann auf der Website des Anbieters ausprobiert werden. Die Plattform kann über SMS, USSD-Codes oder via WhatsApp erreicht werden und steht somit auch Nutzern offen, die weder über ein Smartphone noch über einen Zugang zum Internet verfügen. Gegenüber einem internetbasierten Ansatz ermöglicht die Nutzung dieser „low-tech“ GSM-netzbasierten Lösung, in Subsahara-Afrika – rein technisch gesehen – bis zu 460 Mio Menschen zusätzlich zu erreichen.

Wirtschaftlich gesehen, sind die Auswirkungen dieser Plattform auf die Nutzer enorm. Müsste man diese Informationen manuell, durch Anrufe und Internetrecherchen selbst zusammensuchen, so würde dies durchschnittlich 13 Dollar pro Woche kosten. Aufgrund dieser kostenlosen Informationen haben 90% der Nutzer neue Märkte erschlossen, 68% der Nutzer haben ihr Angebot an Verkaufsgütern diversifiziert. Es gibt zudem auch sogenannte Poweruser, also Nutzer, die diese Plattform mehr als 1000-mal in vier Jahren genutzt haben. Welche deutsche Legal Tech Anwendung kann von sich behaupten, von einem einzelnen Kleinunternehmer mehr als 1000-mal genutzt worden zu seien?

2. Legal Tech Angebote für professionelle Rechtsanwender

Das Angebot, das sich an professionelle Rechtsanwender richtet, ist weiter fortgeschritten, da diese in der Regel über Computer, Internetverbindungen und die notwendige digital literacy verfügen. Es gibt afrikanische Anbieter von Dokumentenmanagement-, Kanzleimanagement-, e-Discovery-Software als auch Angebote im Bereich des Vertragsmanagements. Ansonsten wird auch auf außerhalb von Afrika stammende Angebote zurückgegriffen. Zuletzt gibt es auch afrikanische Tochterunternehmen internationaler Anbieter wie beispielsweise Wonder.Legal Nigeria. Im Folgenden soll nur auf einzelne, besonders interessante Angebote eingegangen werden.

Einer der führenden Anbieter juristischer Software in Nigeria ist LawPavilion. Diese Software nutzt predictive analysis, um die Stärken und Schwächen rechtlicher Argumentationen darzustellen. Hierbei versucht sie durch statistische Analyse, Auswertung historischer Daten und Bewertung der jeweiligen Argumentation entgegenstehender Urteile, die Stärken und Schwächen der jeweiligen Argumentation abzuschätzen. Auch bietet sie einen „Personalized Subject Matter Index“ für jeden Berufungsrichter an. Dieser stellt dar, wie konsistent ein Richter in einer bestimmten Rechtsfrage entscheidet. Eine Vorgehensweise, die unter dem Aspekt der richterlichen Unabhängigkeit nicht völlig unproblematisch ist. Schließlich könnte es dadurch zu einer vermeintlichen „Selbstbindung“ des Richters an seine vorherige Rechtsprechung kommen. Aus diesem Grund wurde z.B. in Frankreich die Analyse von Entscheidungen, um das Entscheidungsverhalten eines bestimmten Richters vorherzusagen, verboten.

LawPavilion verfügt auch über einen Chatbot, der „TIMI“ genannt wird. Dieser führt die Nutzer durch die nigerianische Zivilprozessordnung. Da sich die zivilprozessualen Regelungen zum Teil je nach Bundesstaat unterscheiden, sollen auf diesem Wege Verfahrensfehler vermieden werden, denn 48% aller Berufungen werden nicht mit der Verletzung materiellen Rechts, sondern mit Verfahrensfehlern begründet. LawPavilion wird nicht nur von vielen Anwälten, sondern auch vom obersten Gerichtshof Nigerias, 12 Berufungsgerichten sowie von 26 Justizministerien auf Bundesstaatsebene verwendet.

Legal Tech Angebote setzen aber auch beim Zugang zu Gesetzestexten und Rechtsprechung an. In vielen Ländern stehen professionellen Rechtsanwendern Rechtsquellen nicht oder nur in veralteter Fassung zur Verfügung. Teilweise ist die Einsichtnahme von Gerichtsentscheidungen nur persönlich bei Gericht möglich. Die Aktualisierung von Gesetzen erfolgt zum Teil noch durch händisches „Copy-Paste“, also durch Einkleben der Aktualisierung in einen bestehenden physischen Gesetzestext. Das Aktualisieren und zur Verfügung stellen von Gesetzestexten ist leider teuer und nicht jedes Land verfügt über die hierzu notwendigen Mittel. Besonders hervorzuheben ist in diesem Kontext das African Legal Information Institute (AfricanLII), welches an der University of Capetown angesiedelt ist. AfricanLII ist ein Dachverband von 16 lokalen Legal Information Instituten.

Neben Zugang zu Gesetzen und Rechtsprechung bietet AfricanLII eine Beta-Version eines African Law Citator an. Einen solchen Law Citator kennt man bereits aus anderen Common-Law-Systemen. Hierdurch kann graphisch dargestellt werden, welche anderen Urteile auf das ausgewählte Urteil verweisen. Es kann mit mehreren Ebenen gearbeitet werden, es können also auch weitere Urteile angezeigt werden, die selbst auf die verweisenden Entscheidungen verweisen. Die Urteile werden als Kreise dargestellt. Je häufiger auf ein Urteil verwiesen wird, umso größer ist auch dessen Kreis. So kann man bereits graphisch erkennen, welche Gerichtsentscheidungen besonders einflussreich sind. Durch den African Law Citator konnten auch Phänomene nachgewiesen werden, welche bislang in den Bereich anekdotischer Evidenz zu verorten waren. Während Kenia seine Urteile regelmäßig veröffentlicht hat, verfügte Uganda lange Zeit nicht über die Mittel, seine Gerichtsentscheidungen zu veröffentlichen. So konnte durch den African Law Citator die Tendenz mancher ugandischer Richter nachgewiesen werden, neben englischen auch aus kenianischen Urteilen zu zitieren, da Entscheidungen aus der eigenen Rechtsordnung nicht zur Verfügung standen.

Der African Law Citator erstellt mithilfe von machine learning zudem automatisch Flynotes, also Schlagworte, welche den Inhalt der Urteile wiedergeben wie z.B. „Straße“, „Versichert“, „Schaden“ und „Auto“. So erkennt man sofort, dass es sich um einen Verkehrsunfall handelt. Automatisch erstellt werden auch Key Sentences, also die Sätze, in denen die Flynotes vorkommen, um so ihren Kontext darzustellen.

Ein anderes Angebot ist Laws.Africa, eine vollständig maschinenlesbare Gesetzessammlung, die somit auch leichter analysiert und aktualisiert werden kann. Technisch umgesetzt wird das mit dem afrikanischen XML-Standard Akoma Ntoso, welcher unter anderem auch beim European Legislation Identifier (ELI) und beim European Case Law Identifier (ECLI) zum Einsatz kommt. Deutschland versucht technisch aufzuholen und arbeitet selbst an einem, auf Akoma Ntoso aufbauenden Standard, an der Maschinenlesbarkeit von Gesetzen (BT-Drucksache 19/25654).

3. Fazit

Die in Afrika und Deutschland unterschiedlichen rechtlichen Bedürfnisse der Menschen erklären die unterschiedliche Entwicklung der jeweiligen Legal Tech-Szene. Dabei stehen die afrikanischen Angebote von ihrer Innovativität her den Deutschen in nichts nach.

Autor: Benedikt Pax ist Volljurist und arbeitet als Berater im Regionalvorhaben „Förderung von Rechtsstaatlichkeit und Justiz in Afrika“ der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ). Dort berät er staatliche und nichtstaatliche Partnerorganisationen vor allem im Bereich des Zugangs zu Recht, der Digitalisierung sowie der außergerichtlichen Streitbeilegung. Zudem arbeitet er an dem in Entstehung befindlichen Online-Zertifikatslehrgang „E-Justice Kompetenz“ der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer mit.

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