Legal Tech – Eine Momentaufnahme mit Fragen
Wenn Legal Tech auf dem Gartner Hype Cycle abgebildet wäre, wäre er die letzten Monate vermutlich ganz oben auf der Spitze gewesen; mittlerweile jedoch auf dem absteigenden Ast. 2018 ist Ernüchterung eingekehrt, schließlich dürften nun die Meisten gemerkt haben: künstliche Intelligenzen werden den Job des Juristen ab dem nächsten Jahrzehnt nicht übernehmen.
Gleichzeitig scheint aber auch eine neue Motivation entstanden zu sein. Weg vom Diskutieren, Philosophieren und sich stundenlang über Daseinsberechtigungsfragen „das Maul“ zu zerreißen. Ausgehend von der Konferenzlandschaft, dürfte nun der Wunsch entstanden sein etwas selber zu „machen“, etwas zu entwickeln und seinen eigenen Teil zur Digitalisierung beizutragen. Schließlich kann jeder ein Stück von der Torte abhaben; am Ende ist es egal, ob ein neuer Server, ein neuer Computer oder sogar nur ein Abo eines Digitalmediums zum besseren Verständnis und dadurch zu besseren Arbeitsmöglichkeiten beigetragen hat. Denn Legal Tech dient unter anderem einem Ziel – der Prozessveränderung – idealerweise Prozessverbesserung.
Mittlerweile dürften auch die Meisten erkannt und eingesehen haben, dass die Wunderlösungen aus den Fachzeitschriften oder die 10-Schritte-Pläne aus dem letzten Jahr zwar allgemeingültig und zutreffend, aber im einzelnen speziellen Fall nicht zielführend sein dürften. In welchen Bereichen auf welche Technologien man setzt, hängt von viel mehr Faktoren ab, als dass man diese in allgemeingültigen Schritten zusammenfassend darstellen könnte.
Umso erfreulicher ist, dass im Rahmen der Tagungen eine scheinbar neue Workshop-Kultur entstanden ist. Aufgaben und Themenbereiche, die von Jung bis Alt die meisten herausfordern dürften, vorausgesetzt man lässt sich auf diese ein und geht nicht mit der klassischen juristischen Hartköpfigkeit ran, frei nach dem Motto „das geht aber so nicht, das kann man nicht machen“. Schließlich haben sich die Lernpsychologen bereits vor Jahrzehnten darauf geeinigt, dass man das Meiste vom Neuerlernten am besten durch Selbermachen konservieren kann.
Was heißt es aber nun für die Zukunft?
Wir werden zu Machern, wir werden selber die eigene Digitalisierung in die Hand nehmen und mit der Unterstützung der Entwickler und Projektmanager die Produkte entwickeln, die wir und in welcher Form wir sie tatsächlich benötigen; sei es bezogen auf die inhaltliche oder auf die prozessuale Arbeit. Aber was ist genau unsere Aufgabe dabei? Brauchen wir den Diplomjuristen als Projektmanager für juristische Softwareentwicklung (Legal Engineer) oder soll der Fachanwalt 50% seiner Arbeitszeit mit kooperativen Aufgaben mit Entwicklern verbringen? Oder lagern wir unser Grundlagenwissen vollkommen aus und konzentrieren uns auf die speziellen Probleme?
Wir werden aber auch zunehmend kritischer – schließlich wächst mit der Anzahl der Veröffentlichungen zu digitalen und technischen Themen auch unser allgemeines Verständnis, sodass eine schicke Software zukünftig nicht mehr reichen wird, um an unsere Geldbeutel zu gelangen. Bis dahin ist der Weg jedoch lang, schließlich gilt Legal Tech in der Rechtsbranche wie ICOs unter den Wagniskapitalgebern: ein Erfolgsgarant, etwas was sehr teuer ist, etwas was das Leben verändert, etwas worin man investieren soll … auch wenn möglicherweise nicht viel hinter dem Produkt stecken wird. Dennoch wird oft eingekauft und oft nach einem einmaligen Test zur Seite gelegt, um bitter festzustellen, dass man erneut geblendet wurde. Aber wie kann ich der Gefahr entgegenwirken? Auf welche Quellen kann ich zurückgreifen und wie kann ich mich grundsätzlich weiterbilden?
Bitte nicht nur wegen der Innovation
Innovativ zu sein, nur wegen der Innovation selbst, funktioniert aber alleine nicht, dafür brauchen wir das bereits so oft erwähnte richtige Mindset. Hierfür müssen wir uns jedoch zukünftig folgende Fragen beantworten:
- Was müssen wir und was können wir vor allem ändern, um Hand in Hand mit der Computertechnologie unsere Arbeit zu verbessern und unser Leben zu erleichtern?
- Wie gehen wir mit Datenschutz um, insbesondere vor dem Hintergrund der jüngsten Gerichtsentscheidung. Wäre es nicht schon lange an der Zeit, unser Handwerkszeug und die Quelle des Wissens, die Entscheidungen der unterschiedlichen Instanzen digital und zwar für jeden zur Verfügung zu stellen?
- Wie sollen wir sonst an qualitativ hochwertige Daten, an die Quintessenz moderner Anwendungen rankommen, um diese zu verwerten?
- Wie sollen wir den Nachwuchs ausbilden? Wie können wir es gewährleisten, dass die aktuellen Studienanfänger des Jahres 2018 in 2025, wenn sie mit dem Studium fertig sind und in die Praxis entlassen werden, mit dieser zurechtkommen müssen?
- Schließlich sollen ab 2023 die Akten digital geführt werden; doch woher kommt die Infrastruktur dafür, wo soll der Umgang mit diesen gelehrt / erlernt werden? Reichen die derzeit noch vereinzelten, aber zunehmenden Angebote der Universitäten oder hat die Lehre den Absprung verschlafen und die Praxis ist nun an der Reihe?
Eine Diskussion über diese Fragen wäre zwar erwünscht, jedoch wäre es viel wichtiger einen Konsens herzustellen. Der erste Schritt ist jedoch getan; man befindet sich daher auf dem richtigen Weg.
„In der Juristerei gab es seit Jahrzehnten keine ernstzunehmenden Innovationen“, lautete jüngst die Kritik von Tamay Schimang (Anwalt, Gründer und Legal Designer). Dies könnte in der Zukunft anders sein. Innovationen kommen jedoch nicht aus dem Nichts und wir können uns nicht zurücklehnen und abwarten bis ein Nachwuchsjurist in seiner Studentenbude im deutschen Silicon Valley alles erfindet. Wir müssen alle etwas tun!
von Daniella Domokos – Bloggerin allaboutlegaltech.de, freie Journalistin, Women of Legal Tech 2018