Fachartikel

Legal Tech als „Sofortlösung“? Die Idee des „Consumer Claims Purchasings“

Die Digitalisierung des Rechts schreitet voran, wenn auch häufig zu langsam. Die Coronakrise kann hier ein Beschleuniger ein. Schon jetzt gibt es allerdings viele unterschiedliche Lösungen im Markt – das „Consumer Claims Purchasing“ ist eine der Prominenten.

„Ich glaube der Virus hat uns an eine Zeitenwende gebracht. Beides ist jetzt möglich, das Strahlende und das Schreckliche.“, schreibt Ferdinand von Schirach in seinem zusammen mit Alexander Kluge veröffentlichten Buch „Trotzdem“ über die Coronakrise. Auch wenn dies auf den ersten Blick überraschen mag, hat die weltweite Covid19-Pandemie auch die Welt der Justiz an eine Zeitenwende gebracht: Die Digitalisierung des Rechts, die gemeinhin als LegalTech bezeichnet wird, nimmt immer weiter zu – von „online courts“ oder gar gänzlich automatisierten Gerichtsentscheidungen ist mittlerweile überall die Rede. Dies ist sehr erfreulich, ist hier ein Fortschritt doch schon lange überfällig. Wie so häufig, sind private Anbieter auch in diesem Bereich den staatlichen Strukturen in den vergangenen Jahren allerdings zuvorgekommen und entwickeln kontinuierlich Lösungen, um den Zugang zum Recht einfacher und vor allem digitaler zu machen. Das Beeindruckende daran: In diesem Bereich sind Deutschland und Europa tatsächlich einmal ganz vorne mit dabei – anders als in vielen anderen disruptiven Märkten. Wenn sich auch die Politik der LegalTech-Entwicklung nicht mehr verschließt, hat diese Zeitenwende also gewiss das „Strahlende“ gebracht.

Unterschiedliche Modelle im Markt

Aber fangen wir etwas weiter vorne an: Die angesprochenen privaten Anbieter – sog. LegalTech-Plattformen – bieten derzeit ganz unterschiedliche Services an. Diese reichen von einer Anwaltsvermittlung über digitale Kanzleien, digitale Inkassodienstleister (in diesem Bereich sind die meisten Anbieter tätig, damit befasste sich im Jahr 2019 u.a. auch der Bundesgerichtshof) bis hin zu einem Forderungskauf. Letzterer soll hier im Fokus stehen. Das Modell des Forderungskaufs – zivilrechtlich auch „Factoring“ genannt – ist in B2B-Beziehungen schon lange verbreitet. Häufig geht es dabei um Forderungen eines Unternehmens gegen Verbraucher, die ein anderes Unternehmen aufkauft und dann durchsetzt. Wie es für disruptive Geschäftsmodelle üblich ist, dreht LegalTech diese Struktur nun um. Im Rahmen des „Consumer Claims Purchasings“ kauft die LegalTech-Plattform Verbrauchern ihre Forderungen gegen Unternehmen ab und setzt diese dann im Anschluss durch. Das Erfreuliche für den Verbraucher daran ist, dass er sein Rechtsproblem sofort gelöst bekommt, indem das LegalTech-Unternehmen ihm das zustehende Geld (abzüglich eines entsprechenden Risikoabschlags, dazu sogleich) auszahlt. Das liegt genau im Trend: Dinge sofort digital zu erledigen und das am besten vom Sofa aus entspricht in Anbetracht von Online-Shopping, Online-Essensbestellung und Online-Lebensmittelkäufen dem Zeitgeist.

Consumer Claims Purchasing

Doch wie lässt sich dies auch in Rechtsfragen, konkret beim Kauf von Forderungen, umsetzen? Das Entscheidende ist die Risikoeinschätzung. Da das LegalTech-Unternehmen die Forderung auf seine eigene Bilanz übernimmt und somit das volle Ausfallrisiko trägt, muss es vorab – quasi als „Gatekeeper“ – ermitteln, welches Risiko mit der Durchsetzung des Anspruchs verbunden ist. Daran orientiert sich dann auch der jeweilige Risikoabschlag. Bei dieser Risikoprüfung kommt es zum einen auf die Bonität des Schuldners an. Zum anderen, und das ist das Besondere, aber natürlich auch auf die Dauer, Ort und Intensität der Rechtsdurchsetzung. So hat, als ein Beispiel, die LegalTech-Plattform des Verfassers dieser Zeilen über mehrere Jahre hinweg eine stetig aktualisierte Gerichtsdatenbank für Deutschland, Österreich und die Schweiz aufgebaut, anhand derer genauestens vorhergesagt werden kann, wie lange ein Verfahren an welchem Gericht und mit welcher Erfolgswahrscheinlichkeit geführt wird. Jüngste Auswertungen aus dieser Datenbank haben gezeigt, dass ein Gerichtsverfahren vor deutschen Gerichten im Durchschnitt 137 Tage dauerte – mit allerdings erheblichen Divergenzen zwischen einzelnen Gerichtstandorten. Die Gründe dafür mögen vielfältig sein, aus dem Blickwinkel der Plattform ist die Einschätzung dagegen klar: Je länger das Verfahren, desto höher die Kapitalkosten, die erforderlich sind, um die Auszahlung an den Kunden vorzufinanzieren, ergo: desto höher das Risiko, das mit dem Forderungsankauf verbunden ist. Aus der Sicht des Kunden ändert das kaum etwas: Der Auszahlungsbetrag sinkt minimal, das Geld bekommt er dennoch sofort und ist alle Risiken und Zeitprobleme los.

LegalTech-Regulierung auf Europäischer Ebene

In Anbetracht der breit gefächerten Diskussion um die LegalTech-Regulierung (vom Urteil des Bundesgerichtshofs aus November 2019 war schon die Rede; der neu gegründete Bundesverband LegalTech positioniert sich entsprechend mit weiteren Reformvorschlägen) ist die Frage berechtigt, wie denn das Consumer Claims Purchasing reguliert ist. Die Antwort ist einfach: gar nicht. Das Rechtsdienstleistungsgesetz greift nicht, da die Plattform im eigenen und nicht im fremden Interesse tätig wird. Möchte man eine rechtssichere und allumfassende Regulierung des digitalen Rechtsmarkts schaffen, wäre also auch das Consumer Claims Purchasing miteinzubeziehen. Eine solche Regulierung wäre sicherlich eher hilfreich als schädlich. Denn Innovation gedeiht am besten in einem rechtssicheren Umfeld und nicht in einem, das durch ständig abweichende Meinungen einzelner Gerichte von massiven Unsicherheiten geprägt ist (man schaue nur auf die Urteile aus Ingolstadt, München und Braunschweig in Sachen myRight). Zugleich ist der digitale Markt von seiner Natur aus grenzenlos. Eine echte LegalTech-Strategie, die diesen disruptiven Markt fördert, müsste also – das liegt insofern auf der Hand – auf europäischer Ebene entwickelt werden. Zu unterschiedlich sind nämlich die individuellen regulatorischen Anforderungen an Rechtsdienstleistungen. Die deutsche EU-Ratspräsidentschaft hat gleich zu ihrem Beginn eine Konferenz über die Digitalisierung der Justiz veranstaltet, was sehr erfreulich ist. Es bleibt nur zu hoffen, dass Worten hier auch Taten folgen und die Europäische Union in Sachen LegalTech voranschreitet.

Ergebnis

Für den Moment bleibt festzuhalten, dass der deutsche und europäische LegalTech-Markt sehr vielfältig ist und zugleich stark wächst. „Consumer Claims Purchasing“, wie es das Unternehmen des Verfassers in den Markt gebracht hat, ist eine der innovativen Lösungen privater Anbieter. Mit entsprechender Schützenhilfe von politischer Seite geht allerdings auch hier noch viel mehr – und es könnte wirklich etwas „Strahlendes“ entstehen. Zeit dafür wäre es allemal.

Autor: Dr. Benedikt M. Quarch, M.A., geboren 1993 in Aachen studierte Rechts- und Wirtschaftswissenschaften in Wiesbaden und Montréal. Für das 1. Staatsexamen wurde er von der Hessischen Ministerin der Justiz als Landesbester des Jahres 2016 ausgezeichnet. Ende 2016 schloss er den Master in Betriebswirtschaftslehre (EBS Business School) ab und war im Anschluss als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der EBS Law School tätig. 2019 promovierte er (Dr. iur.) dort (Thema: „Die Europäische Regulierung des Crowdlendings“). Benedikt Quarch ist seit 2017 Co-Founder und Geschäftsführer der RightNow Group, eines international agierenden LegalTech-Unternehmens aus Düsseldorf.

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