Fachartikel

Legal Geek Conference 2018 – Legal Tech, quo vadis?

Am 17.10.2018 traf sich die internationale Legal Tech Szene in London auf der Legal Geek Konferenz. Mit über 2.000 Besuchern, 100 Referenten sowie 40 Unternehmen und Startups war die Veranstaltung schon zahlenmäßig mehr als doppelt so groß wie im Jahr zuvor. Dies unterstreicht die zunehmende Bedeutung von Legal Tech für die Rechtsbranche.

Dass die Legal Geek Konferenz als wichtiger Gradmesser für Legal Tech gesehen werden kann, zeigt bereits ein Blick auf die Hauptsponsoren: Freshfields, Thomson Reuters, Century Link und The University of Law. Damit hat sich nicht nur ein internationales Kanzleischwergewicht Legal Tech auf die Fahnen geschrieben. Sondern mit Thomson Reuters ist auch ein führender Wissens- und Softwareanbieter (u.a. Westlaw und Elite 3E), mit Century Link ein technischer Infrastruktur-Gigant, schließlich mit The University of Law auch der zahlenmäßig größte Ausbilder von Juristen in England vertreten.

Wenn man dann noch sieht, dass fast die gesamte Riege der führenden Anbieter KI-gestützter Anwendungen und Automatisierungstools wie Axiom, Kira, Luminance, Neota Logic oder Tessian vertreten war, wird auch klar, dass kaum ein Thema, das mit Legal Tech in Verbindung steht, nicht angesprochen wurde: Cloud-Dienstleistungen, Cybersichterheit, Blockchain und Smart Contracts, automatisierte Dokumentenüberprüfung, Legal Design Thinking …

Veränderung von (fast) überall


Es scheint, als habe Legal Tech für fast jeden Aspekt der juristischen Tätigkeit wesentliche Veränderungen in Petto. Dass dies auf die zig Startups zutrifft, welche auf der Konferenz ihre Softwareprodukte vorstellten, versteht sich von selbst. Viele von ihnen waren durch das Ziel verbunden, den Zugang zum Recht für Rechtssuchende zu verbessern: Legal chat bots oder Q&A Masken für häufig wiederkehrende Fälle sollen teure (und langsamere) anwaltliche Beratung ersetzen. Bei der deutschen Anwaltschaft führt der Gedanke daran wohl (noch) nicht zu Schweißausbrüchen oder schlaflosen Nächten, weil das Rechtsdienstleistungsgesetz bislang schützend vor der Branche steht. Aber in anderen Ländern wie den USA, England oder Russland, kommen solche Anwendungen bereits vielfach zum Einsatz. Allerdings muss hier gesehen werden, dass durch diese Programme häufig neue Geschäftsbereiche erschlossen werden, die bis dato kaum Gegenstand anwaltlicher Rechtsberatung waren.

Deutliche Impulse kommen aber auch von etablierten internationalen Wirtschaftssozietäten. So fördert Freshfields unter der Bezeichnung „Legal intrapreneurship“ die Bildung Startup-artiger Strukturen innerhalb der Sozietät. Die Kanzlei ermöglicht ihren Anwälten innovativ Arbeitsprozesse neu zu denken und zu verbessern. Beispielsweise wird derzeit eine neue Plattform für die Mandatsverwaltung entwickelt. Ein anderes Beispiel ist Fuse von Allen & Overy, ein Legal Tech Innovationsraum, in dem externe Tech-Unternehmen und Developer mit Anwälten von Allen & Overy neue technologiegetriebene Geschäftsmodelle entwickeln.

Thomson Reuters Legal Tech Zukunft bewegt sich in die Richtung, eine Plattform für zunehmend integrierte Softwareanwendungen für Juristen zu entwickeln. Die bislang eher in Silos operierenden Programme des Unternehmens sollen mit Schnittstellen zu dieser Plattform verbunden werden. Dadurch können weite Teile des juristischen Arbeitsprozesses nahtlos ineinander übergreifen. Die besondere Stärke des Ansatzes liegt darin, dass Thomson Reuters nicht nur Prozessoptimierung betreiben, sondern insbesondere über die entsprechenden juristischen Wissensressourcen (Westlaw) verfügt, um den Prozess auch inhaltlich zu begleiten.

Bemerkenswert ist zudem, dass auch von staatlicher Seite Initiativen ersichtlich sind. Die Regierung von Singapur hat sich vorgenommen, den reichen Stadtstaat zum weltweiten Legal Tech Zentrum auszubauen. Damit wird die digitale Transformation der Rechtsbranche zum Staatsziel erklärt. Diese Entscheidung hat auch internationale Auswirkungen: Einerseits ist Singapur natürlich das südostasiatische Finanzzentrum. Andererseits hat die Regierung es auch in der Vergangenheit verstanden, mit den erheblichen Staatsmitteln Innovation zu fördern. Schließlich basiert die dortige Rechtstradition auf dem britischen Common Law, das auch eine strukturelle Anbindung an andere Common Law Jurisdiktionen verspricht.

Einzig die britische Solicitors Regulation Authority, eine ferne Verwandte der deutschen Justizprüfungsämter, schien etwas rat- und initiativlos. Auf großer Bühne wurde erkannt, dass Legal Tech ein immens wichtiges Zukunftsthema ist, allerdings wolle man konkrete Projekte mit Ausbildungsbezug anderen überlassen. Argument: es täte sich so viel in der Branche, dass man gar nicht hinterherkäme – Strategie Stillstand also. Der naheliegende Gedanke, aufgrund dieser Erkenntnis auch aktiv Freiräume für Legal Tech im Rahmen der Juristenausbildung einzuräumen, kam nicht.

no code und low code Anwendungen für Juristen


Es versteht sich von selbst, dass Juristen die besseren Juristen bleiben sollen und nicht erwartet wird, dass sie noch zusätzlich Programmierer werden. Zumal gelten Juristen ohnehin als nicht sonderlich technikaffin. Auf Grundlage dieser Annahme scheinen auch viele Legal Tech Unternehmen zu operieren, deren Kundschaft aus Juristen besteht. Die Strategie lautet: no code oder low code Anwendungen für Juristen.

No code Anwendungen lassen sich als Legobaukasten für juristische Anwendungen vorstellen. Der Gedanke ist Legal Tech für alle. Allerdings ist auch klar, dass das Anwendungsspektrum auf bestimmte Module beschränkt sein wird, sodass Kompromisse in Sachen Funktionalität, aber auch Performance nicht zu vermeiden sind. Insbesondere wenn man sieht, dass no code Baukästen für Internetseiten viele Jahre Entwicklung durch große Unternehmen gebraucht haben, um hinreichend komfortabel bedienbar zu sein, lässt sich vermuten, dass der Weg zu praktisch vielfältig einsatzfähigen no code Tools noch ein langer sein wird. Etablierte Unternehmen, wie Neota Logic, die diese Strategie verfolgen, mögen diese Einschätzung verzeihen.

low code Anwendungen scheinen dagegen auch kurzfristig Potenzial entfalten zu können. Dabei wird das Bedeutungsspektrum von „low“ ziemlich breit gefächert sein. Der Vorteil besteht natürlich darin, dass der Code zumindest teilweise an das verfolgte Ziel angepasst werden kann. Der Nachteil ist: ein Jurist allein, der nur Jurist ist, ist dafür nicht genug. Die Zusammenarbeit mit Programmierern wird unerlässlich. Es wird sich zeigen, welche Unternehmen sich das Etikett low code umhängen. An sich funktioniert die Programmierwelt bereits heute so, dass möglichst auf vorhandene Programmierbibliotheken zurückgegriffen und möglichst nicht wieder und wieder das Rad neu erfunden wird.

Kein Legal Tech ohne interdisziplinäre Kollaboration


Um das gesamte Potenzial von Legal Tech zu heben, führt kein Weg daran vorbei, dass Juristen, Programmierer und Designer gemeinsam kreativ und innovativ tätig werden. Hierfür ist zwingend erforderlich, ein gewisses Grundverständnis für den jeweils anderen zu entwickeln. Nimmt man das Paar Jurist und Programmierer prallen häufig unterschiedliche Welten aufeinander. Exemplarisch: Der in natürlicher Sprache kommunizierende Jurist kommt mit vielen und schnellen Ideen, Gedanken und Argumenten daher, während für den eher seriell und granular denkenden Programmierer bereits ein einziges fehlendes Komma zwischen zehntausenden Zeilen Code das gesamte Programm laufunfähig macht. Währenddessen hilft es wenig, wenn z.B. der Jurist bereits mit der nächsten Idee um die Ecke kommt.

Bei aller Euphorie für Tech gerät häufig aus dem Blick, dass zwar stets Code ausgeführt wird, der Veränderungstreiber hinter dem Code aber immer die Menschen sind. Deshalb war der Ruf nach mehr interdisziplinärem Verständnis auf der Legal Geek Konferenz vielfach zu hören. Es ist immens wichtig, dass Juristen zumindest ein Grundgespür für Technik gewinnen, um eine realistische Erwartungshaltung entwickeln zu können.

Für die Zusammenarbeit über Disziplingrenzen hinweg, ist die Herstellung von Kommunikationsfähigkeit von entscheidender Bedeutung. Im Softwarebereich sind APIs (application programming interface, Programmierschnittstelle) essentiell, damit überhaupt Programme modular entwickelt werden können, die fehlerfrei miteinander kommunizieren und interagieren. Im Bereich Legal Tech liegt eine wichtige offene Baustelle bei der Schaffung einer solchen auf die Menschen bezogene API. Das ist keine einfache Aufgabe. Es wäre zu wünschen, wenn sich insbesondere die an der Ausbildung von Juristen beteiligten Institutionen strukturiert Gedanken darüber machen würden. Denn bislang sind es auch in Deutschland nur einzelne Initiativen, die die Zeichen der Zeit erkannt haben.

LegalGeek London 2018

von Tianyu Yuan – wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Heidelberg und Gründer und Geschäftsführer des Legal Tech Startups LEX superior.

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