Legal Design: Innovation mit Methode
Astrid Kohlmeier ist Rechtsanwältin und Legal Designerin. Sie berät sowohl Rechtsabteilungen als auch Kanzleien wie Clifford Chance, Linklaters, Airbus, SAP, NetApp und viele mehr. Astrid Kohlmeier ist Mitglied und Dozentin der Executive Faculty am Bucerius Center on the Legal Profession, Mitbegründerin des Liquid Legal Institute e.V. , Referentin auf einschlägigen Konferenzen weltweit und arbeitet mit einem globalen Netzwerk von Legal Designerinnen. Sie engagiert sich an der Schnittstelle von Ausbildung und Methodenentwicklung, um den Beruf des Legal Designers weiter zu etablieren.
Frau Kohlmeier, Sie haben zusammen mit Meera Klemola das „Legal Design Buch“ geschrieben. Was ist denn überhaupt „Legal Design“?
Unter Legal Design versteht man kurz gesagt einen nutzerzentrierten Ansatz für Problemlösungen und Innovationen im Recht. Juristisches Fachwissen wird mit der Denkweise und den Methoden des Designs verbunden. Die Bedürfnisse und auch Gewohnheiten des Rechtsuchenden stehen in diesem Prozess im Vordergrund. Wenn es um technische Lösungen geht, hilft die Methode dabei, die richtige technische Infrastruktur (Backend) zu schaffen und gleichzeitig ein intuitives “User Interface“ (Frontend) zu gestalten. Das Ziel ist stets, nützliche, anwendbare, verständliche und ansprechende Resultate zu schaffen, die ein echtes Problem lösen. Das gilt für juristische Produkte, Dienstleistungen, Arbeitsschritte, Systeme, Geschäftsstrategien, Ökosysteme und Nutzererfahrungen.
Welche Probleme können mit Legal Design adressiert werden?
Immer mehr Organisationen nutzen Legal Design als Methode, um ihre Herangehensweise an die heutigen Herausforderungen im Rechtsmarkt zu verändern. Das sind zum einen ein erhöhter Kostendruck auf Rechtsabteilungen und Kanzleien (Stichwort: more for less), die grundlegenden Probleme bei der Umsetzung der eigenen Digitalisierung, aber auch wachsende Anzahl an Regulierungen und damit eine steigende Komplexität. Auch hier sind Konzepte und neue Lösungen gefragt – damit wir nicht alle gemeinsam in der Regelungsflut untergehen und uns orientieren können.
Nicht zuletzt ist aber auch die veränderte Erwartungshaltung von Konsumentinnen bzw. Mandanten zu nennen: Rechtliche Inhalte müssen kürzer und verständlicher und einfacher aufbereitet sein.
Ein weiteres, großes Thema für Legal Design ist „Access to Justice“. Mithilfe von Legal Design können wir herausfinden, welche Bedarfe es bei Bürgerinnen und Bürgern gibt, damit sie nicht nur Zugang zu rechtlichen Informationen und Beratung kriegen, sondern ihr Recht auch effizient und bürgerzentriert wahrnehmen können. Wie kann beispielsweise die Gesetzgebung vereinfacht werden, Gerichte digitaler werden und wie kann es uns überhaupt gelingen, jedem Menschen in gleichem und fairem Maße zu ermöglichen, sein Recht wahrzunehmen und auszuüben.
Es ist also ein ganzer Blumenstrauß an Themen, die sich mit der Methode Legal Design bearbeiten und verbessern lassen.
Wie fängt man denn an, um in der eigenen Organisation Legal Design zu nutzen?
Der Startpunkt gestaltet sich unterschiedlich, je nachdem, ob eine Organisation bereits Innovationsinitiativen und -strukturen besitzt oder nicht. Bei Legal Design geht es immer auch um Innovation und darum, den Ist-Zustand zu verändern. Grundlage dafür ist am besten eine unternehmens- oder kanzleiweite Innovationsstrategie. Doch selbst wenn Unternehmen diese haben, macht sie doch allzu oft bei der Rechtsabteilung Halt. Das Unternehmen ist in allen Bereichen Innovativ, aber wenn es zu rechtlichen Angelegenheiten kommt, herrscht Tradition und eben gerade keine Veränderung.
Oft startet Legal Design mit einem Menschen in der Organisation, der den Antrieb oder den Druck verspürt, etwas zu verändern. Dann hilft es, Gleichgesinnte zu finden und sich mit anderen zu verbinden, die ähnlich denken, die innovieren und verändern wollen, die neu denken. Das ist ein guter Startpunkt. Anschließend sollte man viel und häufig mit Kolleginnen und Kollegen und vor allem mit Kundinnen/Kunden bzw. Mandantinnen/Mandanten sprechen: Was sind die Probleme, was wollt Ihr, was müssen wir verändern? Klingt einfach, aber viele Juristinnen und Juristen haben Angst davor, genau diese einfachen Fragen zu stellen. Dabei kann der innovative Ansatz zu einem massiven USP eines Rechtsanbieters beitragen.
Das Feedback auf solche Fragen hilft dabei, einen Startpunkt zu identifizieren. Am besten fängt man klein an, mit einem tangiblen Problem, z.B. ein Vertrag. Ein solcher Pilot bringt wichtige Erkenntnisse und ist oft der erste Schritt, um weitere Menschen in der Organisation von der Methode zu überzeugen.
Und dazu inspiriert Ihr Buch?
Zunächst mal haben meine Co-Autorin Meera Klemola und ich festgestellt, dass wir ständig Anfragen kriegen, wo und wie man Informationen über Legal Design erhält. Es gab bislang kein Buch dazu, nur jede Menge einzelner Artikel und wissenschaftlicher Quellen auf der ganzen Welt. Wir wollten also einen „One Stop Shop“ schaffen für Menschen, die mit Legal Design loslegen möchten – einen Zugang zu Legal Design. Deswegen sind wir so froh, dieses Buch jetzt herausgebracht zu haben.
Mit dem „Legal Design Buch“ erklären wir genau, was Legal Design ist, wie man damit arbeitet und was man verändern kann, wie Legal Design die Arbeitsweise juristischer Teams verändern kann. Wir klären nicht nur die wichtigsten Fragen rund um Legal Design und zeigen konkrete Praxisbeispiele. Wir gehen noch großes Stück weiter: Wir liefern ein praktisches Legal Design Toolkit, mit dem sich Rechtsinhalte und typische Arbeitsabläufe vereinfachen lassen.
Wer sollte das Buch denn lesen?
Im Grunde sollte es jeder lesen, der neugierig ist und sich für Legal Design interessiert. Nicht nur Jurist:innen, alle Menschen in Kanzleien und Rechtsabteilungen, Professor:innen, Student:innen, aber eben auch Innovation Manager, Legal Operations Manager, Legal Tech Verantwortliche bis zu Management und HR-Abteilungen in Unternehmen, denn auch sie haben Schnittpunkte zu juristischen Themen wie z.B. Verträgen und können Stein des Anstoßes in einer Organisation sein. Kurz: jeder, der im juristischen Bereich tätig ist, aber auch weit darüber hinaus.
Unser Buch liefert Antworten darauf, wie man wirklich nützliche und intuitive juristische Dienstleistungen und Produkte entwickelt, wie man die „richtigen“ Probleme identifiziert, wie man juristische Angebot in intuitive Erlebnisse verwandelt und letztlich wie sich die traditionelle Arbeitswelt in Organisationen modernisieren lässt, um die digitale Transformation erfolgreich zu meistern.
Was wünschen Sie sich in Bezug auf Legal Design für die kommenden Jahren?
Unsere Vision, auch beim Schreiben des Buches, ist, dass sich rechtliche Angelegenheiten künftig ohne Hürden in unsere täglichen beruflichen wie privaten Herausforderungen einfügen. Legal Design ist der Schlüssel dazu, reibungslose und angenehme Kundenerlebnisse im Kontext Recht zu schaffen. Recht wird hier nicht mehr nur als gesonderte Expertise, sondern als eingebetteter Teil von Produkten, Dienstleistungen und Prozessen betrachtet. Recht sollte nach unserer Meinung intuitiv in unsere täglichen Routinen einfließen und damit ein natürlicher Bestandteil all unserer neuen Systeme und technischen Entwicklungen werden.
Das geht sicher nicht von heute auf morgen. Um die einzelnen Ökosysteme schrittweise anzupassen, brauchen wir zunächst ein offenes Mindset für neue Lösungen. Unser Re-Design-Ansatz hat aber langfristig das Potenzial, ein transparentes Rechtssystem zu schaffen, in dem Recht nicht behindert, sondern befähigt.
Mit Legal Design können wir die Art und Weise verändern, wie Menschen die Notwendigkeit von Recht erleben. Wir wünschen uns, dass Recht ein passender Mosaikstein wird, der auch in der digitalen Transformation eine wichtige Rolle spielt.
Vielen Dank für das Interview!
Das „Legal Design Buch“ ist bei Wolters Kluwer Deutschland erschienen und kann hier bestellt werden.