FachartikelLegal KI & ChatGPT

Lawyers – stay cool using ChatGPT

Egal, in welcher Runde oder Podiumsdiskussion man mit Juristen und Juristinnen in den letzten Wochen saß, es ging bei der Digitalisierung des Zugangs zum Recht immer auch um das neue Schreckgespenst ChatGTP4 und den damit aufziehenden Niedergang der Anwaltschaft.

Eine neue technische Revolution nach dem Smartphone wird in den Sternenhimmel gemalt, die so disruptiv sein soll, dass sogar ein Entwicklungs-Stopp nunmehr gefordert wird. Neben Elon Musk gehören auch Apple-Gründer Steve Wozniak, Universitätsprofessoren, AI-Unternehmer und führende Wissenschaftler zu den Unterzeichnern eines offenen Briefes. Sie betonen: “KI-Systeme mit einer dem Menschen ebenbürtigen Intelligenz können tiefgreifende Risiken für die Gesellschaft und die Menschheit darstellen.” Nach Meinung der fast 1.000 Unterzeichnern äußere sich das derzeit in einem „außer Kontrolle geratenen Wettlauf um die Entwicklung und den Einsatz immer leistungsfähigerer digitaler Köpfe“. Der Vorwurf: „Nicht einmal die Entwickler würden verstehen, was sie da gerade eigentlich tun.“ Das macht die Bedrohung durch Robo-Lawyer bzw. Robo-Judges für alle juristischen Berufe noch aktueller. Andere sehen hier auch eine riesige Marketingkampagne laufen und schaue ich in meinen Account, wer mir alles ChatGPT – Abos verkaufen möchte, scheint auch daran etwas zu sein.

Dass nicht der deutsche Datenschutz an vorderster Front gegenüber den neuen Datenkraken aus US agiert, ist bemerkenswert.  Italiens Datenschutzbehörde hat am 31.3.2023 den ChatGPT-Zugang mit sofortiger Wirkung gesperrt. OpenAI als Betreiber von ChatGPT werden Verletzungen der Datenschutz-Vorschriften vorgeworfen. In seiner Mitteilung erklärte die italienische Behörde, dass es bei ChatGPT am 20. März zu einer „Datenverletzung in Bezug auf die Gespräche der Nutzer und die Zahlungsinformationen der Abonnenten des kostenpflichtigen Dienstes“ gekommen sei. Die Entscheidung sorgt dafür, dass „die Verarbeitung der Daten italienischer Nutzer gegenüber OpenAI vorübergehend eingeschränkt wird“, so die Aufsichtsbehörde.

ChatGPT macht aktuell viele Schlagzeilen sowohl für seine beeindruckenden Fähigkeiten als auch für seine fehlerhaften Ausgaben. In einigen Fällen produziert der Chatbot „Halluzinationen“, scheinbar korrekte Antworten, die tatsächlich ungenau sind. Und ChatGPT zeigt, wie jede KI, eine beunruhigende Voreingenommenheit in den Algorithmen.

Glauben wir, dass ChatGPT Anwälte und Anwältinnen eliminieren wird?

Denken wir noch einmal darüber nach, oder frei nach Sina Dörr, lasst uns erst einmal die vielen Hausaufgaben im Dokumenten- und Workflowmanagement und unserem Mailsystemen machen, bevor wir über digitale und automatisierte Urteile und Robo-Judges philosophieren. ChatGPT hat auch die Rechtsbranche mit Spekulationen darüber in Aufruhr versetzt, wie sich diese leistungsstarke KI auf den Berufsstand der Juristen und Juristinnen in den weiteren Ausbaustufen auswirken wird.

Versicherer sehen ihre Kundenservice-Center mit der neuen Technik in einer neuen Liga, natürlich mit viel weniger Mitarbeitenden. Achtung an der Bahnsteigkante, gute Chatbots sind hochkomplex und müssen auch zum jeweiligen (personengebundenen) Vertriebsweg passen!

Viele Protagonisten aus Anwalts-Kammern und Wissenschaft sagen, dass Anwälte KI nicht einsetzen sollten, es gefährlich sei, was sich mit dem Aufruf zum Entwicklungsstopp von Versionen höher als ChatGPT4 sowie den ersten Bewertungen auch von Datenschutzbehörden zu bewahrheiten scheint. Noch apokalyptischer, die ChatGTP-Technologie werde die Notwendigkeit von Anwälten und Anwältinnen in der Zukunft beseitigen. Einige raten Anwälten sogar, „Angst zu haben“ und behaupten, dass sie durch die weiteren Ausbaustufen überflüssig würden und sich neue Jobs suchen sollten. Doch diese Befürchtungen sind größtenteils unbegründet. Tatsächlich könnte das Gegenteil der Fall sein und die verbesserte KI sogar ein Segen für die juristischen Berufe sein.

Der Zugang zum Recht wird mit KI unterstützt, nicht ersetzt!

Denken wir an den Zugang zum Recht für alle Bevölkerungsgruppen und nicht nur für die gut 45% versicherten Haushalte, die überwiegend auch nur Teilrisiken – wie den Verkehrs-Rechtsschutz – versichert haben. Wir brauchen daher nicht weniger Anwälte und Anwältinnen, sondern sie müssen bezahlbar für Verbraucher, Kleinunternehmer und Solo-Selbständige etc. sein.

Stellen wir uns einen Tag vor, der nicht mehr sehr weit entfernt zu sein scheint, an dem Juristen Zugang zu einem KI-Tool haben, das auf einem großen Sprachmodell wie dem hinter ChatGPT basiert, einem Produkt, das von Experten für Legal Tech geschult und überprüft wurde, um wirklich in der Lage zu sein, materiell-rechtliche Aufgaben zu bewältigen und damit gerade in den Standardmassenfällen betraut zu werden – Stichwort digital-strukturierter Parteivortrag.

Dieser so ausgestattete Jurist oder Juristin, auch der Rechtsschutzversicherer, könnten mehrere Fragen und Aufgaben an diese spezialisierte und trainierte KI delegieren, wie z.B. das Verfassen von Briefen an gegnerische Anwälte und Mandanten / Versicherte, das Überprüfen und Zusammenfassen von Dokumenten, Urteilen und sogar die Durchführung von Analysen und Recherchen in wenigen Minuten.

Was bleibt für die Anwälte und Anwältinnen dann noch zu tun?

Das ist einfach: Die Dutzenden und Dutzende von Dingen, die KI eben nicht tun kann: strategische und Verhandlungsentscheidungen treffen, Kunden beraten, an Gerichtsterminen teilnehmen und überzeugende Vorträge / Aussagen sowie Vergleiche zu machen, um nur einige zu nennen. Die Anwaltschaft und auch nicht die Schadenjuristen der Versicherer werden ersetzt – sie werden auch weiterhin an Problemen und Rechtsfällen arbeiten, die eine empathielose KI wird nicht lösen können. Während die KI in nur wenigen Minuten Tausende von Dokumenten überprüfen oder eine Vertragsklausel entwerfen kann, kann sie keine Entscheidungen darüber treffen, was mit diesem digitalen Ergebnis zu tun ist, sie kann sich nicht einmal entscheiden, diese Frage überhaupt zu stellen.

Zunächst werden die Kosten für Rechtsdienstleistungen sinken, Legal for Free ist ja auch nichts Neues im Internet-Rechtsmarkt und Rechtsberatungs-flatrates, schon lange Alltag bei den Rechtsschutzversicherern. Es erscheint paradox, dass der tatsächliche Wert und die Qualität dieser neuen Rechtsdienstleistungen für die Verbraucher und Verbraucherinnen aber steigen.

KI wird sich um die zeitaufwendigste Arbeit wie Recherche und Dokumentenerstellung kümmern und damit Anwälten und Anwältinnen die Zeit geben, sich mehr um Strategie, operative Exzellenz im Kanzleibetrieb, Empathie und insbesondere das Kanzlei-Marketing zu bemühen, eben menschliche Arbeit mit einer unternehmerischen Vision für eine Kanzlei auch außerhalb der Groß- und Wirtschaftskanzleiwelt.

Ein wertvolleres und erschwinglicheres Rechtsdienstleistungsprodukt, ich zähle Rechtsschutzpolicen der nächsten Generation dazu, bedeutet, dass mehr Menschen, die sich heute keinen Anwalt leisten können, dies zukünftig können, und zwar nicht nur, wenn ein Rechtsfall eingetreten ist, sondern auch im Vorwege, also im Bereich der Rechtsvorsorge. Diese erhöhte Nachfrage auch nach After-the-Event-Rechtsschutzlösungen führt letztendlich zu neuen Märkten und Marktplätzen – mit mehr und spannenden Arbeitsplätzen, z.B. des Legal Design Engineers.

Anwälte und Anwältinnen werden in einer verrechtlichten und sicherheitsorientierten deutschen Gesellschaft mehr denn je gebraucht, sie werden ihre Zeit mit wertvolleren, lohnenderen Arbeiten verbringen als heute. Juristen und Juristinnen sollten KI-Tools mit vollem Bewusstsein ihrer Stärken und Grenzen einsetzen und sich nicht darauf verlassen, dass sie für sie denken. Wie jede Arbeit, die beispielsweise heute von einem Assistenten in der Kanzlei ausgeführt wird, sollte die KI-Ausgabe sorgfältig auf Genauigkeit, Richtigkeit, Plausibilität und Angemessenheit überprüft werden.

Die KI ChatGPT wird sich nur weiter verbessern, das ist eigentlich eine gute Nachricht. Aber noch wichtiger ist es, sich daran zu erinnern, dass eine Maschine wie ChatGPT und deren Nachfolger Sprache zwar auf wirklich revolutionäre Weise versteht und mit ihr interagiert, aber immer noch ziemlich begrenzt ist. Das liegt daran, dass es nur sein eigenes Gedächtnis konsultieren kann, um Antworten auf Fragen zu erhalten. Es kann keine rechtlichen Recherchen durchführen, Rechtsfälle auf Basis von Sachverhalten überprüfen, Dokumente in ihren Rechtsfolgen überprüfen und dann die vielfältigen Fragen zur Mandatsführung auf der Grundlage dieser Informationen beantworten. Manchmal ist es ja auch sehr sinnvoll, der Gegenseite nicht viel zu schreiben und mit der eigenen Interpretation des Sachverhalts und rechtlichen Bewertung zuzuschütten, ein Vorwurf, die sich so manches Legal Tech in den Massenverfahren von Gerichten vorwerfen lassen müssen.

Die Ergebnisse der KI basieren nicht auf zuverlässigen Informationen, sondern Algorithmen und entsprechen daher nicht der Genauigkeit, die Juristen und Juristinnen heute und morgen benötigen.

ChatGPT ist ein Werkzeug, das die Arbeit in vielen Branchen verändern, erleichtern und besser machen wird, wie das Smartphone unsere Kommunikation und Interaktion (z.B. im Banking) verändert hat. Sehen wir sie als weiteren Evolutionsschritt in eine digitale Gesellschaft, für die es aber noch viele Grundlagen und Regelwerke zu schaffen gilt, bevor wir zum „Digital Court“ kommen, das als Bürger-Online-Gericht den Abstand der Bürger und Bürgerinnen zur Justiz auch deutlich verringern kann und keine Utopie mit Blick in andere Länder mehr ist. Ein bisschen „Private Digital Court“ haben wir schon heute und dieser Bereich wird sich massiv ausbauen, sollten die staatlichen Institutionen nicht nachziehen, was mit Blick auf einen funktionierenden und von der Bürgerschaft und den Unternehmen akzeptierten Rechtsstaat kein wünschenswerter Ausblick ist.

Daher wird es noch viele Plädoyers gegen die Angst vor einem digitalen und mit KI unterstützten Rechtsmarkt und der Justiz bedürfen, der den Zugang zum Recht und damit die Qualität und Akzeptanz des Rechtsstaates insgesamt verbessern wird.

Autor: Rechtsanwalt Andreas Heinsen begann als HGB84-Versicherungsvermittler, absolvierte nach seinem Jurastudium Stationen bei der Volksfürsorge, Hamburger Feuerkasse und Hamburg-Mannheimer Rechtsschutzversicherer.-AG. 1996 erfolgte Berufung zum Vorstand der ÖRAG Rechtsschutz AG, 2010 zum Vorstandsvorsitzenden der Deutsche Assistance Versicherung AG. 2021 schied er nach 25 Vorstandsdienstjahren aus seinen Ämtern aus und ist heute als beratender Rechtsanwalt und Dozent im Umfeld von Versicherern, Berufsverbänden, Maklerhäusern, Legal Techs und Fortbildungsakademien der Anwaltschaft sowie Versicherern tätig.

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