Fachartikel

Kontrolliertes Scheitern als langfristiges Erfolgsrezept

Legal Tech stand bereits vor dem aktuellen Hype um dieses Thema auf der Agenda von KLIEMT.Arbeitsrecht – zum Glück. Schon früh haben wir das Potenzial entdeckt, das in der Digitalisierung der Rechtsbranche steckt, und eigene Systeme zum Kanzleimanagement und zur Entscheidungsautomatisierung entwickelt. Wir arbeiten täglich daran, interne und externe Prozesse zu verbessern. Eines der wichtigsten „Learnings“ der vergangenen Jahre: Im Zuge einer Transformation funktioniert selten alles von Anfang an fehlerfrei. Testen, Scheitern, Anwendungen überarbeiten – all das ist Teil des Prozesses. Einige Methoden erweisen sich erst langfristig als sinnvoll. Manche Anwendungen sind nicht ausreichend nutzer-fokussiert. Konstant den Prozess weiterzuverfolgen und möglichst viele unterschiedliche „Player“ zu involvieren, ist der Schlüssel zum Erfolg.

Mit diesem Beitrag möchten wir unsere Erfahrungen bei der Entwicklung von Legal Tech-Tools sowie deren Einführung und Nutzung in unserem Kanzleialltag teilen und Tipps geben, welche Fehler man besser nicht macht.

Wie war die Entwicklung von Legal Tech bei KLIEMT.Arbeitsrecht?

Die Kanzlei startete im Jahr 2016 ihre Legal Tech-Aktivitäten mit einem gründlichen Scan des Marktes nach geeigneten Anwendungsfällen. Schnell wurde klar, dass für KLIEMT.Arbeitsrecht das langfristige Ziel eine Plattform sein würde, über die auch komplexe Restrukturierungen mit allen (arbeits-)rechtlichen Facetten umgesetzt werden können. Dafür gründeten die Partner Dr. Till Heimann und Dr. Markus Janko ein eigenes Projektteam. Es stellte sich heraus, dass sich vor allem das Gebiet der Dokumenten- und Entscheidungsautomatisierung eignet, um die ersten Schritte mit Legal Tech zu gehen. Nach etwas schmerzhaften, aber lehrreichen Erfahrungen mit einer eigens entwickelten, rudimentären No-Code-Plattform wurde ein geeigneter Anbieter für solche Anwendungen gesucht und gefunden.

Der nächste Schritt: das „Roll-out“. Mit der Konzeptionierung und dem Ausrollen der Technik ist zwingend verknüpft, die KollegInnen außerhalb des Projektteams einzubeziehen und zu begeistern. Sie sind diejenigen, die die neuen Lösungen verstehen und anwenden müssen. Und im Idealfall entwickeln sie einen Blick dafür, welche neuen Anwendungsfälle den Einsatz von Legal Tech erfordern. Ein wichtiger Schritt war in der ersten Phase die Durchführung (inter-) nationaler Hackathons, in denen hauseigene Ideen programmiert werden konnten. Außerdem wurde 2020 die Plattform „Kiemt HRtools“ als Legal Tech-Oberfläche für (potentielle) MandantInnen gelauncht. Auf dieser Plattform können bereits entwickelte Tools zur Beantwortung wiederkehrender arbeitsrechtlicher Fragestelllungen (kostenlos) getestet oder die damit verknüpfte Expertise im Paket im Rahmen eines Mandatsverhältnisses genutzt werden. Zugleich wurde das Legal Tech-Team sukzessive erweitert, zunächst im Juli 2020 um einen Legal Tech Engineer / Projektmanager und im darauffolgenden Dezember um zwei weitere AnwältInnen.

Soweit so gut. Aber welche Schlüsse kann man daraus ziehen?

Unser Vorgehen ist natürlich nicht das Maß aller Dinge. Aber wir haben viele positive Erfahrungen mit unserem Ansatz gesammelt und können daraus einige Empfehlungen ableiten, wie eine erfolgreiche Implementierung von Legal Tech gelingen kann.

1. Voraussetzungen

Die Digitalisierung bei Rechtsdienstleistern voranzutreiben, ist vor allem dann schwer, wenn ExpertInnen aus den Bereichen IT oder Business Development und Marketing fehlen. AnwältInnen, die Legal Tech nebenbei vorantreiben wollen, arbeiten in einem Spannungsfeld zwischen der Mandatsarbeit und der Implementierung der neuen Lösungen sowie deren interner und externer Kommunikation. Legal Tech und der Marketing-Aspekt kommen bei diesem Wettkampf in der Regel zu kurz. Andererseits fehlt Teams, die nur aus „Kanzleiexoten“ wie ProgrammiererInnen bestehen, oftmals das notwendige Standing innerhalb der Sozietät (oder des Unternehmens). Deshalb ist es empfehlenswert, ein kleines Legal-Tech-Team zu schaffen, in das MitarbeiterInnen verschiedener Hierachieebenen und Fachrichtungen eingebunden werden

2. Akzeptanz und Transparenz

Vor der Umsetzung von Digitalisierungsprojekten ist es essenziell, sich der Unterstützung der EntscheidungsträgerInnen sicher zu sein. Dabei sollte das Ziel der Projekte ebenso eindeutig benannt werden wie die erwartete Unterstützung, sei es durch Budgets, Arbeitskraft oder die interne und externe Werbung für die Nutzung der Produkte. Um die Akzeptanz für Transformationsprozesse bei den KollegInnen zu vergrößern, ist es außerdem ratsam, sich frühzeitig in die Karten schauen zu lassen.

Wir nutzen hierfür verschiedene Formate, u.a. einen regelmäßigen „Legal Tech“-Lunch. Außerdem gestalten wir das Projektmanagement des Legal-Tech-Teams sehr transparent, machen unsere To-Dos öffentlich, versenden Newsletter und stehen jederzeit für Rückfragen zur Verfügung. So können sowohl die EntscheidungsträgerInnen als auch unsere KollegInnen verfolgen, an welchen Projekten KLIEMT.Arbeitsrecht im Bereich Legal Tech gerade arbeitet. Sie können sich außerdem mit eigenen Ideen einbringen.

3. Überblick

Aller Anfang ist schwer. Das erste Digitalisierungsprojekt wirkt oft wie eine unlösbare Aufgabe. Die Vorbereitung ist daher wesentlich. Im ersten Schritt sollte der eigene Anwendungsfall klar definiert werden, um gezielt sinnvolle Lösungen suchen zu können. Handelt es sich z.B. um eine Automatisierung von Dokumenten, sollte man sich beim ersten Projekt auf ein Dokument konzentrieren, das aufgrund weniger Entscheidungsebenen leicht umzusetzen ist. Die Frage, ob der Prozess durch unternehmenseigene Ressourcen umgesetzt wird, und/oder welche Schritte von externen Dienstleistern (z.B. ProgrammiererInnen und WebdesignerInnen) ausgeführt werden sollten, ist dabei essenziel. Vor allem der klaren Definition von Arbeitsschritten und Anforderungen kommt in der Zusammenarbeit mit externen Dienstleistern eine besondere Bedeutung zu.

4. Inkrementelles Arbeiten

Bei der Schaffung neuer Produkte muss das damit befasste Team schrittweise vorgehen. Es ist nicht möglich, sämtliche Funktionen des Endproduktes und alle denkbaren Szenarien bereits nach dem ersten Meeting abzubilden. Gerade bei komplexeren Sachverhalten ist es von Vorteil, sich das immer wieder vor Augen zu führen. Auch aus einer Lösung, die „nur“ 80 Prozent der Anwendungsfälle abdeckt, kann schon ein großer Nutzen gezogen werden.

Die kontinuierliche Verbesserung des Produktes wird in der Softwareentwicklung auch als „inkrementelles Arbeiten“ bezeichnet. Das heißt u.a., dass für die ersten Entwicklungsebenen durchaus einfachere Anwendungen herangezogen werden können, die mitunter einen beachtlichen Mehrwert entfalten. Nicht selten steht am Anfang eine vermeintlich simple Excel-Liste, die die notwendigen Grundfunktionen abbildet. Sie kann im Zuge der Entwicklung schrittweise ausgebaut und gegebenenfalls in ein programmiertes Webinterface eingebunden werden, wenn der Prozess an Komplexität gewinnt.

5. Klarer Entwicklungsprozess

Bei der Entwicklung von neuen Produkten orientieren wir uns außerdem an dem folgenden Vorgehen: Wenn eine neue Idee aufkommt, wird sie im Legal Tech-Team diskutiert, um zu ermitteln, mit welchen Tools die Idee umgesetzt werden kann und ob die Möglichkeit besteht, Synergieeffekte der bestehenden Tools zu nutzen. Innerhalb einer Brainstorming-Session entwickeln wir die notwendige Strategie für die Umsetzung und die Priorisierung der Funktionalitäten. Außerdem stellen wir das Projektteam auf, das sich mit der Realisierung im Einzelnen befasst. In der Umsetzungsphase bauen wir eine erste Version der Anwendung, ergänzen ggf. weitere Funktionen und testen die Anwendung auf mehreren Ebenen. Es folgt eine interne Veröffentlichung als weitere Testphase mit allen KollegInnen, auf die dann die externe Veröffentlichung folgt.

Wie sehen solche Lösungen in der Praxis aus?

Das Arbeitsrecht bietet viele Anwendungsfälle für Legal Tech. Mittels der Dokumentenautomatisierung können wir bspw. mit wenigen Angaben unserer MandantInnen schnell Arbeitsverträge und Zusatzvereinbarungen vorbereiten, die im Anschluss durch die damit befassten AnwältInnen lediglich auf ihre Vollständigkeit überprüft werden müssen. So ermöglichen wir unseren MandantInnen seit Kurzem auf unserer HRTools Website, mit wenigen Klicks eine Zusatzvereinbarung zum Arbeitsvertrag für rechtssicheres Home Office zu erstellen. Damit werden die Rahmenbedingungen für mobiles Arbeiten abgesichert und Fragen bezüglich Arbeitszeit, Datenschutz und Aufwandsentschädigung abschließend geklärt. Eine schnelle, effiziente Lösung mit transparenter Kostenstruktur.

Daneben bereiten wir natürlich auch klassische arbeitsrechtliche Fragestellungen auf, z.B. ob es sich bei einem Mitarbeiter um einen Leitenden Angestellten handelt oder welche arbeitsrechtlichen Schwellenwerte für Unternehmen relevant sind, die durch unsere Tools mittels einer Entscheidungsautomatisierung beantwortet werden. Für die Entwicklung der Entscheidungsautomatisierungen werten die RechtsanwältInnen von KLIEMT.Arbeitsrecht umfassend Rechtsprechung aus, sammeln die Erfahrungswerte der KollegInnen und berücksichtigen die Praxis der zuständigen Behörden, vor allem der Agenturen für Arbeit sowie der Behörden für Arbeitsschutz.

Aber auch beim Projektmanagement kann Legal Tech helfen. Wir stellen unseren MandantInnen daher eine Projektmanagement-Plattform zur Verfügung, durch die eine übersichtliche Kommunikation während der Projekte ermöglicht wird – ohne Tausende E-Mails mit endlosen Anhängen, dafür mit Funktionen für geteilte Dokumente, einem Tracking gemeinsamer To-Dos und Q&A-Modulen zu wiederkehrenden Fragen.

Was sind aktuelle Projekte und Ziele?

Aktuell arbeiten wir u.a. an einer Lösung für das Thema Sozialauswahl bei Restrukturierungen. Als ersten Schritt haben wir eine komplexe Excel-Lösung erstellt, die es uns ermöglicht, bestimmte Teilaufgaben (z.B. das Ermitteln der Sozialpunkteschemata) bei der Sozialauswahl zu automatisieren. Dabei haben wir schnell gemerkt, dass Benutzerfreundlichkeit und Handling hier noch nicht unseren Ansprüchen genügen, sodass wir nun eine selbstprogrammierte Alternative entwickeln. Ununterbrochen arbeiten wir auch an der Automatisierung weiterer arbeitsrechtlicher Dokumente, z.B. von Arbeitsverträgen, Abmahnungen, Berichts- und Fristverlängerungsvorlagen.

Die Arbeit in unserem Legal Tech-Team bei KLIEMT.Arbeitsrecht erfordert Ausdauer, Einsatz und Begeisterungsfähigkeit. Die Umsetzung der Großprojekte kostet viel Zeit und Kraft. Wir müssen uns an etwas gewöhnen, das JuristInnen noch zu selten verinnerlicht haben: Scheitern verspricht Wachstum. Testen ist Teil des Prozesses. Aus kleinen Fingerübungen werden große Anwendungen. Trotz der Herausforderungen sind wir entschlossen, im Arbeitsrecht unsere Stellung im Markt gerade auch im Bereich Legal Tech auszubauen und so den Fortschritt für die Kanzlei und unsere MandantInnen maßgeblich mitzugestalten.

Autorin: Laura Schmidt ist Anwältin bei KLIEMT.Arbeitsrecht in Hamburg und berät Unternehmen und Führungskräfte sowohl national als auch international zu allen arbeitsrechtlichen Fragestellungen. Als Teil des Legal Tech-Teams entwickelt sie technische Lösungen sowie innovative Ansätze für die täglichen arbeitsrechtlichen Fragestellungen.

Autor: Martin Kammandel ist Legal Tech Engineer und Projektmanager bei KLIEMT.Arbeitsrecht in Düsseldorf und entwickelt zusammen mit dem Legal Tech-Team technische Lösungen sowie innovative Ansätze für die täglichen arbeitsrechtlichen Fragestellungen.

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