Fachartikel

Juristische Wissensarbeit und Recherche in Zeiten von LLMs

Hat das Format „Buch“ ausgedient oder ist das Gegenteil der Fall? LTV Herausgeber Patrick Prior sprach mit dem Gründer-Team von LeReTo, Veronika Haberler und Peter Melicharek, über juristische Recherche, die Entwicklung von BOOKSCREENER, und warum man sie demnächst auf der Frankfurter Buchmesse antreffen kann.

Patrick Prior: Wie kommt ein Legal Tech Unternehmen dazu, sich mit der Content-Branche zu befassen?

Veronika Haberler: Das tun wir bei LeReTo genaugenommen schon seit 2014. Wir haben uns schon immer mit dem Zugang zu Fachinformation und hybrider Wissensarbeit beschäftigt. Und da sind wir ja auch nicht die einzigen. Viele Kolleginnen und Kollegen der Legal Tech Community sind angetreten, um die digitale Recherche für Juristinnen und Juristen zu vereinfachen – oder überhaupt erst zu ermöglichen, Stichwort Open Data. Das technische Framework, auf dem nun unsere Data Science-Engine für BOOKSCREENER aufbaut, hatten wir ursprünglich für die juristische Arbeit entwickelt.

Peter Melicharek: Dabei handelt es sich um eine digitale Volltextsuche für Publikationen in Print oder digital, die die Qualität einer Highend-Datenbank-Suche hat und daher auch für die Profi-Recherche taugt. 

Patrick Prior: Und in Kürze seid ihr auch auf der Frankfurter Buchmesse zu sehen. Wie kam es dazu?

Veronika Haberler: Wir haben bei dem Innovationsprogramm der deutschen Buchbranche CONTENTshift eingereicht und es bis ins Finale geschafft. Über den Sommer haben wir mit unseren Coaches, Mentoren und Mentorinnen an der Positionierung, neuen Produktfeatures und den verschiedenen Einsatzmöglichkeiten gearbeitet. Was uns ganz besonders gefreut hat, war, dass zu unserem Team das Top-Management von Schweitzer Fachinformationen und Lehmanns Media zählten! Sie haben uns mit ihrem Know-how und kritischem Feedback wirklich weitergeholfen.

Peter Melicharek: Im Oktober werden wir auf der Buchmesse unser Produkt vor Fachpublikum präsentieren. Technologie, die dir erlaubt, einfach über dein ganzes Bücherregal hinweg eine Volltextsuche zu starten! Mit unserem Partner und Pilotkunden, dem Universitätsverlag facultas, haben wir das erstmals möglich gemacht.

Veronika Haberler: Genau! Eine Datenbank, die auch das analoge Bücherregal für die Recherche erschließt.

Patrick Prior: Wie seid ihr denn an das Thema Recherche in Publikationen herangegangen und wie löst ihr das?

Peter Melicharek: Mit BOOKSCREENER wollten wir die Vorteile und den Komfort einer High-End-Suchengine mit dem Seitenformat des Buches zusammenbringen. Unsere Ergebnisse werden immer direkt als Markierung auf der Trefferseite live gerendert. Damit das klappt, haben wir eine eigene Data Science Pipeline gebaut, die Verlagscontent im PDF-Format für die wissenschaftliche Recherche aufbereitet. Was die Suche mit BOOKSCREENER weiters besonders macht, ist das interaktive Sunburst-Menü. Die Visualisierung der Daten im Sunburst zeigt dabei immer statistisch korrekt die Verteilung der gesuchten Treffer im gesamten Buchbestand an.

Veronika Haberler: Unsere Vision von Wissensarbeit verfolgt einen hybriden Ansatz. Wir finden, „Print“ und „digital“ schließen einander nicht aus. Das gedruckte Buch hat trotz aller Negativ-Prognosen noch immer seine Berechtigung und seinen Platz im professionellen Fachbuch-Alltag. Und wir sind überzeugt, dass das auch noch in Zeiten von Large Language Models so bleiben wird.  

Patrick Prior: Braucht man denn in Zeiten von LLMs wie GPT-4 oder BARD überhaupt noch Such-Engines?

Peter Melicharek: Generative AI-Apps wie Chat-GPT sind spätestens seit Dezember 2022 wirklich in aller Munde. Aber noch ist vieles unklar – insbesondere, was Urheberrechte, Vergütung und Haftungsfragen betrifft. In manchen europäischen Ländern wird die standes- und berufsrechtliche Zulässigkeit solcher Tools sehr kontrovers diskutiert. Auch die Handhabung und User Journey ist jedenfalls noch nicht ganz überzeugend.

Veronika Haberler: Außerdem wollen viele gar nicht prompten, und auch keinen generierten Text als Antwort (inklusive „Halluzinationen“ von nicht existenten Urteilen und Normen). Sie wollen einfach das lesen und verstehend nachvollziehen können, was gesucht wurde! Von menschlichen Expertinnen und Experten geschrieben, die man zitieren kann, und deren Argumentationslogik überzeugt.

Patrick Prior: Wurde das Buch denn von Datenbanken nicht schon längst verdrängt?

Veronika Haberler: Es mag überraschen, aber das Buch ist als Medium nach wie vor quicklebendig. Es vergeht ja kaum eine Woche, in der auf LinkedIn glückliche Autorinnen und Autoren ihre frisch gedruckten Werke nicht stolz zur Schau stellen. Und viele Verlagshäuser haben noch gar nicht die Datenqualität, die es für das Training von LLMs braucht. Oder sie müssen die Fragen nach der Monetarisierung, Honorierung und auch des IP-Schutzes klären.

Peter Melicharek: Allerdings braucht es ein Update für das Format Buch. Das, was das Buch so unwiderstehlich macht, wollen wir erhalten und digital aufwerten. Den Innovationsbedarf und auch den Wunsch nach mehr Kooperationen und vernetzten Produkten wie Meta-Suchen hat eine Studie der Bucerius Law School eindrücklich aufgezeigt…

Veronika Haberler: …im März 2023 wurde sie veröffentlicht. Übrigens eine Studie, die im Auftrag von Schweitzer Fachinformationen sowie von Wolters Kluwer Deutschland, dem Verlag C.H. Beck, dem NWB Verlag, Haufe-Lexware sowie der Verlagsgruppe Hüthig Jehle Rehm erstellt wurde. Das Arbeiten mit Fachwissen sollte nie nur im eigenen Silo erfolgen – und das macht eine Recherchelösung wie unser Produkt auch so spannend. Multidisziplinäres Arbeiten wird immer wichtiger – jede Disziplin sollte regelmäßig auch über den eigenen fachlichen Tellerrand blicken, auch oder gerade die Juristerei. Das leisten herkömmliche Datenbanken bisher auch nur beschränkt.

Patrick Prior: Vielen Dank Veronika und Peter für das interessante Interview und weiterhin viel Erfolg mit BOOKSCREENER.

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