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Jura studiert ohne Legal Tech – was bedeutet das für mich?

Der Beruf der Jurist:innen ist mit zunehmender Geschwindigkeit von einem Wandel betroffen. Bereits seit längerer Zeit schwirren Begriffe wie Legal Tech, Transformation, Legal Design, Digitalisierung und Automatisierung durch die Gazetten der juristischen Welt. Einige sprechen sogar davon, der Beruf der Richter:innen oder Rechtsanwält:innen würde verschwinden.

So dramatisch sieht die Lage nicht aus, dennoch ändert sich die innere Struktur der Kanzleien. Die klassische Kanzlei wird es in der Form nicht mehr geben, denn Kanzleien wandeln sich zu modernen Dienstleistungsunternehmen mit Fokus auf ihre Kund:innen.

Die Kanzleiwelt im Verbraucherrecht (B2C) verändert sich

In diesem Artikel beschäftigen wir uns ausschließlich mit dem Verbraucherrecht (B2C) bzw. den Kanzleien, die in diesem Marktsegment tätig sind. Mit rightmart gehören wir in diesem Markt zu den Vorreitern. Mit einer eigenen Kanzlei und einer Software- und Marketinggesellschaft bedienen wir sowohl Rechtsdienstleistungen im klassischen Sinne als auch das Thema Legal Tech.

Derzeit entstehen im Verbraucherrecht immer mehr B2C-Großkanzleien, die software- und datenbasiert hohe Stückzahlen standardisierter Fälle abwickeln und dabei immer mehr zu modernen Rechtsdienstleistern werden. Diese Kanzleien sind zumindest anhand der Umsätze und stellenweise auch des Automatisierungsgrades derzeit die eigentlichen Legal Tech-Champions, getrieben durch den Abgasskandal und andere Sonderfälle.

Es wäre aber ein Trugschluss, davon auszugehen, dass diese Kanzleien sich auf Massenschäden oder Standardfälle beschränken. Für die Aufbauphase passt dieses Cluster sehr gut, die Strukturen lassen sich allerdings für das gesamte Verbraucherrecht anwenden. Auch die Gesetzesänderung der BRAO bzgl. der Beteiligung von Anwalts-GmbHs an weiteren Kanzleien wird diese Entwicklung beschleunigen.

Der berufliche Wandel im Verbraucherrecht

Das Recht für Verbraucher:innen hat in Deutschland ein Marktvolumen von ca. 11 Mrd. EUR und damit um die 43 % des gesamten Rechtsmarkts. Ob Arbeitsrecht, Erbrecht, Familienrecht, Versicherungsrecht oder Verkehrsrecht – das Verbraucherrecht ist unglaublich vielschichtig und extrem fragmentiert. Es bestehen mindestens 25.000 Kanzleien, die größtenteils dem Modell einer klassischen Kanzlei entsprechen: 1 bis 5 Partner:innen; pro Partner:in 0,5 bis 1,5 Mitarbeiter:innen, lokale Mandatsakquise, teilweise auch für kleine und mittelständische Unternehmen tätig und pro Partner:in ca. 120.000 bis 250.000 EUR Umsatz.

Diese Kanzleien haben ein wirtschaftliches Dilemma: Für weiteres Wachstum oder kundenorientierte Innovationen wären Investitionen notwendig (Overhead), die der Markt in der Form nicht hergibt und die von den Inhaber:innen dieser Kanzleien häufig nicht in Betracht gezogen werden. Aufgrund dieser Tatsache entsteht eine kleine Verbraucherkanzlei nach der anderen; es gibt schlicht und ergreifend kaum Kanzleien, die in diesem Bereich eine Perspektive bieten.

Legal Tech Jobvarianten

Die Struktur einer modernen Kanzlei für Verbraucherrecht

Die aufstrebenden B2C-Großkanzleien, die durchaus auch als Netzwerk mehrerer B2C-Kanzleien agieren können, haben strukturell andere Anforderungen, die sich auch in den juristischen Rollenprofilen wiederfinden. Basis einer solchen Kanzlei ist immer eine Software-Plattform, auf der alle Prozesse stattfinden und die wiederum einen zentralen Datenspeicher (Data Warehouse) als Basis hat. Die strukturierten Daten und die Fähigkeit, auf Basis dieser Daten Prozesse zu automatisieren, erzeugen Skaleneffekte. Je mehr Daten verfügbar sind, desto besser werden die Prozesse und auch die dahinter liegenden Geschäftsmodelle.

Keine Angst, Automatisierung bedeutet nicht gleichzeitig, dass es keine attraktiven Jobs mehr gibt. Viel mehr lässt diese Struktur zu, dass die Jurist:innen sich besser spezialisieren – ob innerhalb einer Fallgruppe oder einer Rolle, die in dieser Struktur notwendig ist. Anders als in der klassischen Kanzleistruktur kann mit der Struktur und den Rollen, die ich gleich beschreibe, viel schneller auf juristisch relevante Entwicklungen reagiert werden. rightmart hat derzeit ca. 5 % der Klagen gegen EY im Wirecard-Skandal anhängig, weil wir damals schnell agiert haben als dieser Skandal bekannt wurde.

Welche Rollenprofile für Jurist:innen bieten diese neuen B2C-Kanzleien?

In diesen Legal Tech-Kanzleien gibt es Rollenprofile für alle juristischen Ausbildungen: Volljurist:innen, Diplom-Jurist:innen, Wirtschaftsjurist:innen, Rechtsfachwirt:innen, Rechtsanwalts- und/oder Notarfachangestellte oder auch Quereinsteiger:innen mit beruflicher Erfahrung. Es gibt hier weniger generalistische Rollen, aber gleichzeitig viel mehr Rollen, die nur einen Teil juristisches Verständnis benötigen wie z.B. in der Finanzabteilung, der Personalabteilung oder der Operations-Abteilung – alles Abteilungen, die zentral organisiert sind. Wir fokussieren uns hier allerdings auf die Rollenprofile mit juristischem Fokus.

Der/die “klassische” Rechtsanwält:in – der perfekte Weg zur Fachanwaltschaft

Besteht ein großes Interesse an der Sachbearbeitung und das Ziel, die Fachanwaltschaft in einem Rechtsgebiet anzustreben, bieten diese Kanzleien unterschiedliche Möglichkeiten. Jede Abteilung bearbeitet eine Fallgruppe bei rightmart, die wiederum (wie z.B. die Fallgruppe “Abgasskandal”) folgende Rollen für Rechtsanwält:innen beinhaltet:

Principal / Managing Advisor
– Rechtliche und wirtschaftliche Verantwortung der Fallgruppe

Teamlead Legal Advisor
– Personalverantwortung für Legal Advisor
– Sachbearbeitung
– keine Staatsexamen notwendig

Legal Advisor
– Sachbearbeitung als Junior, Senior oder Specialist
– keine Staatsexamen notwendig

Trainee Legal Advisor (Student:innen und Referendar:innen)
– Assistenz bei der Sachbearbeitung
– keine Staatsexamen notwendig

Typischerweise ist die Rolle des Legal Advisors unter der Aufsicht des Principals eine beliebte Rolle für Jurist:innen, die einen Bachelor oder Master of Law oder ein Diplom als Abschluss haben und nicht anstreben, die juristischen Staatsexamen dranzuhängen. Für juristisches Fachpersonal bestehen im gleichen Team ebenfalls Möglichkeiten, in unterschiedlichen Rollen direkt am Mandat zu arbeiten:

Teamlead – Legal Assistant
– Personalverantwortung für Legal Assistants
– Administrative Arbeit und Kundenkommunikation

Legal Assistant
– Administrative Arbeit und Kundenkommunikation

Technisch oder analytisch: Legal Engineer, Legal Analyst und vieles mehr

Zusätzlich zu den Rollen, die sich ausschließlich um die Sachbearbeitung kümmern, hat jede Abteilung auch einen zuständigen Legal Engineer, der die Anforderungen der Abteilung einerseits und die zentralen Anforderungen des Unternehmens andererseits in Prozesse umsetzt, mit dem Ziel, die beste Mandant:innen-Experience zu bieten.

Dabei geht es darum, dass die Abteilung schnell und in hoher Qualität rechtliche Expertise skalieren kann, indem strukturierte Daten in automatisierten Prozessen münden. So wird z.B. neue Rechtsprechung direkt vom Legal Engineer verarbeitet, wodurch die Qualität der Schriftsätze stetig steigt.

Legal Engineer
– zuständig für eine oder mehrere Rechtsabteilungen (Fallgruppen)
– kann und kennt die Sachbearbeitung
– keine Staatsexamen notwendig

Senior Legal Engineer (in Abteilung Operations)
– zuständig für unternehmensweite Architektur der Prozesse
– keine Staatsexamen notwendig

Data Analyst (in Abteilung Operations)
– zuständig für unternehmensweite Architektur der Datenstruktur
– stellt notwendige KPIs zur Verfügung
– keine Staatsexamen notwendig

Diese Rollen erfordern ein analytisches Denken und Spaß daran, rechtliche Vorgänge abstrakt zu betrachten. Wir können mittlerweile sehr schnell erkennen, welcher Charakter für diese Rollen geeignet ist.

Weitere Rollen, die gerne ohne juristischen Hintergrund besetzt werden

Obwohl wir in erster Linie Rechtsdienstleistungen an Verbraucher:innen erbringen, gibt es durchaus Rollenprofile, bei denen eine juristische Ausbildung weniger notwendig oder teilweise sogar nicht zuträglich ist:

Produktmanger:in – Customer Journey
– optimiert den NPS und die Conversionrate durch zentrale Anpassungen der Customer Journey

Kundenberater:in
– Hilft den Mandant:innen bei der Einordnung des Rechtsproblems und dem Onboarding

Key Account-Manager:in
– Handling der Kooperationspartner sowie Onboarding neuer Kooperationspartner

Projektleiter:in
– unterschiedliches

Fazit

Die neue Welt der Jurist:innen bietet unterschiedliche Rollen, die rechtliche oder andere fachliche Spezialisierungen ermöglichen. Aufgrund des zentralen Wissensmanagements auf einer Plattform bieten solche Kanzleien jederzeit die Möglichkeit, die Rolle oder Abteilung zu wechseln und sich dabei auszuprobieren. Neben den juristischen Berufen gibt es noch den ganzen “Overhead” wie Marketing, Finanzen, Personal, Business Development und das Management.

Die klare Empfehlung meinerseits: Schaut euch einmal diese neuen Kanzleien von Innen an und entscheidet dann für euch, welchen Weg ihr gehen wollt. Das bietet sich insbesondere im Referendariat oder Studium als Praktikum oder Nebenjob an. BTW: Die Work-Life-Balance ist ebenfalls ein echtes Asset dieser neuen Welt!

Autor: Marco Klock ist Co-Founder und CEO von rightmart, der Marke hinter der rightmart Group und der Verbraucherrechtskanzlei rightmart Rechtsanwaltsgesellschaft mbH. Seit 2015 verfolgt rightmart die Vision, den Zugang zum Recht für Verbraucher:innen nachhaltig zu verbessern. Kanzleien, Rechtsschutzversicherungen und weitere Partner:innen stärken uns dabei den Rücken. Wir wollen Transparenz für Verbraucher:innen schaffen und ihre Rechtsprobleme schnell und einfach lösen. Neben unseren starken Kooperationspartner:innen setzen wir dabei auf Software und Daten für die stetige Optimierung von Prozessen.

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