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Interview zum Buch „Recht 2030“ mit Co-Herausgeberin Dr. Anette Schunder-Hartung

Interview mit Dr. Anette Schunder-Hartung, Co-Herausgeberin und Autorin des neuen Buches „Recht 2030 – Legal Management in der digitalen Transformation“. Dr. Schunder-Hartung äußert sich zu den Gewinnern und Verlieren der digitalen Transformation der Rechtsbranche, zu den Unterschieden des Buches zu Legal Tech Büchern, und wie sich die Rechtsberatungsbranche in Deutschland bis zum Jahr 2030 verändern wird.

LTV: Sehr geehrte Frau Dr. Schunder-Hartung, sie sind zusammen mit Prof. Dr. Martin Schulz Herausgeberin des kürzlich erschienenen Buches „Recht 2030 – Legal Management in der digitalen Transformation“. Was unterscheidet ihr Buch von bisher erschienen Büchern zum Thema Legal Tech?

Dr. Schunder-Hartung: Wir wollten bewusst nicht das nächste Tech-getriebene Werk auf den Markt bringen, uns geht es um etwas radikal anderes: nämlich die Werthaltigkeit von Rechtsdienstleistungen in Zeiten des Umbruchs. Wofür wird der Mandant – vielleicht heißt er künftig auch Kunde – in einigen Jahren noch zahlen wollen, wofür nicht? Inwieweit sind angesichts der fortschreitenden technischen Möglichkeiten Kooperationsstrategien nötig und sinnvoll? Aber auch: Wie schaffen es Juristen, sich vom „Kollegen Software“ nicht „die Butter vom Brot nehmen zu lassen“?

LTV: An wen richtet sich ihr Buch? Ist es eher für Rechtsanwälte/innen in kleinen Kanzleien, für Großkanzlei-Anwälte/innen oder für Unternehmensjuristen/innen geschrieben? Und welchen Wissensstand sollten diese Leser idealerweise bereits mitbringen? 

Dr. Schunder-Hartung: Unser Handbuch richtet sich an alle, die es besser machen wollen als der berüchtigte Kunde Karl Egal am Bankschalter: Der lässt sich vom Kassierer 1000 Euro in 50-Euro-Scheinen auszahlen. Nach dem 15. vorgezählten Schein sagt er, ist gut, es genügt, bis hierher war alles in Ordnung, dann wird es auch weiterhin stimmen. Nur weil etwas bis zu einem bestimmten Punkt gestimmt hat, heißt es aber noch lange nicht, dass das so weiter funktioniert. Es geht um die Zukunft aller Marktbeteiligten, die wir gemeinsam durchspielen müssen.

LTV: Häufig taucht im Buch der Begriff „Transformation“ auf. Wie weit ist ihrer Meinung nach aktuell die Transformation der Rechtsberatungsbranche in Deutschland vorangeschritten?

Dr. Schunder-Hartung: Hier wiederum machen einerseits fast alle Beteiligten Fortschritte – nicht nur beim Übergang von analog zu digital, der „Digitization“. Auch, dass man digitalisierte Informationen im Sinne einer „Digitalisation“ für sich arbeiten lässt, ist nicht mehr außergewöhnlich. Dass damit aber im Sinne einer echten „Digital Transformation“ komplett neue Geschäftskonzepte entwickelt werden, davon sind wir andererseits noch ziemlich weit entfernt. Das ist freilich kein Grund zum Ausruhen, wenn man nicht zurücktreiben will.

LTV: Wird es Gewinner und Verlierer bei dieser Transformation geben und wenn ja, wer wird dies speziell sein? Wird es dabei alle Rechtsgebiete und Berufsfelder gleichsam treffen?

Dr. Schunder-Hartung: Profitieren werden insgesamt diejenigen, die den richtigen Mix aus Kooperationsstrategien und Alleinstellungsmerkmalen finden werden. Die es also schaffen, sich einerseits technischer Lösungen zu bedienen, und die dies übrigens auch zum Anlass nehmen, ihre Vergütungsmodelle entsprechend anzupassen. Standard-Dienstleistungen werden an Wert verlieren. Damit mir der Kunde, der vielleicht nächstes Mal etwas Lukrativeres hat, bis dahin nicht stiften geht, ich aber auch nicht in die Insolvenz verfalle, muss ich mir als Rechtsdienstleister Alternativen zu RVG und Stundensatz ausdenken. Solche Modelle können budgetbasiert, leistungs- oder wertbasiert sein – im Beratungsgeschäft ist vieles möglich. Andererseits werden sich diejenigen durchsetzen, die glaubhaft machen können, dass sie über besondere „Skills“ verfügen, die ihnen so leicht nichts und niemand nachmachen kann.

LTV: Was sind ihrer Erfahrung nach die Gründe, warum sich Rechtsanwälte/innen mit der Digitalisierung generell schwer tun?

Dr. Schunder-Hartung: Die Ursachen sind vielfältig – sie beginnen mit einer besonderen Persönlichkeitsstruktur und enden bei Fremdbesitzverbot und Vergütungsmodellen. Als Persönlichkeiten sind viele Juristen eher strukturkonservativ; wären sie vom Naturell her Entrepreneure, hätten sie vielleicht gar nicht Jura studiert. Wagemutige Fremdkapitalgeber wiederum dürfen Anwaltskanzleien nicht an Bord nehmen, das ist standesrechtlich unzulässig. Die Sozietät gehört ihren Partnern – niemandem sonst. Die wiederum haben anders als Unternehmen im Übrigen auch kaum Anreize, Digitalisierungsrückstellungen zu bilden. Anstatt hier „Research and Development“ zu betreiben, wie es draußen im operativen Geschäft eigentlich selbstverständlich ist, wird prinzipiell akkumuliert – ausgeschüttet – akkumuliert – ausgeschüttet usw. Das sind insgesamt keine guten Voraussetzungen.

LTV: Ihr Buch trägt den Titel „Recht 2030“ – wie wird sich bis 2030 die Rechtsberatungsbranche in Deutschland verändert haben?

Dr. Schunder-Hartung: Sie wird erheblich vielfältiger geworden sein. Wir vermuten, dass es zahlreiche neue Akteure geben wird; die Lockerungen nach dem heutigen § 5 RDG sind da erst der Anfang. Während das Marktvolumen womöglich sowohl für Kanzleien als auch für Rechtsabteilungen sinken wird, steigt der Bedarf nach Brokern für Rechtsdienstleistungen. Durch die immer stärkere Fragmentierung bei der Vergabe von Rechtsdienstleistungen nimmt außerdem der Kooperationsaufwand zu. Dadurch wächst die Nachfrage nach Projektmanagement-Kompetenzen. Schließlich wird auch das, was heute noch gerne als „Soft Skills“ ein wenig belächelt wird, zu einem immer wichtigeren Erfolgsfaktor von Juristen werden. Hier schließt sich der Kreis zum oben Gesagten: Je schwerer durch Technologie zu kopieren, umso wertvoller.

LTV: Nun noch eine letzte Frage: Welches ist ihr Lieblingskapitel im Buch?

Dr. Schunder-Hartung: Ganz klar: Das Abschlusskapitel! Das ist nämlich ein Gesamtwerk unserer Autorengruppe. So unterschiedlich unsere Ansätze und Einsichten waren und sind – an dieser Stelle laufen alle unsere Fäden wieder zusammen. Was das für ein neues Legal Management als solches, aber auch in den zentralen Einzelbereichen bedeutet, das konnten wir uns an dieser Stelle noch einmal insgesamt vor Augen halten. Einerseits ist das ziemlich herausfordernd gewesen, andererseits hat es uns großen Spaß gemacht, diesen Abschnitt gemeinsam zu verfassen. Ohne zu viel verraten zu wollen: Der Austausch hat auch für unser großes Autorenteam eine Dynamik angenommen, die sich im Erscheinen des Buches nicht erschöpft.

LTV: Vielen Dank für das Interview.

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