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Interview mit „This is Legal Design“: „Juristen können oft nicht aufhören, Juristen zu sein.“

Die „This is Legal Design“ GbR wurde 2018 von Alisha Andert, Lina Krawietz, Ann-Sophie Mante und Joaquin Santuber als Think Tank, Plattform und Kreativagentur gegründet. Sie möchten andere inspirieren, mit Hilfe von Legal Design, im juristischen Bereich Innovationen zu schaffen. Im Gespräch mit Alisha Andert und Lina Krawietz hat Jolanda Rose für das Legal Tech Verzeichnis mehr über ihre Arbeit und Vision erfahren.

Jolanda:​ Wie würdet ihr eure Tätigkeit in zwei Sätzen beschreiben?

Lina:​ Wir helfen Kanzleien, Rechtsabteilungen und Juristen Nutzerbedürfnisse zu erkennen und mit Hilfe von Legal Design bzw. Design Thinking Methoden in Produkte, Dienstleistungen, Umwelten und Systeme zu übersetzen.

Jolanda:​ Wie kamt ihr zum Thema Legal Tech bzw. Legal Design?

Alisha:​ Unsere Wege waren sehr verschieden – wir waren zunächst gemeinsam an der Uni. Danach hat Lina erstmal am Hasso-Plattner-Institut Design Thinking studiert und bei SAP Design angefangen. Damit hat sie vermeintlich einen neuen Weg eingeschlagen. Ich bin bei Jura geblieben und habe mit dem LL.M. weitergemacht. Zum Referendariat sind wir wieder zusammengekommen. In der Zwischenzeit hatte Lina ihre Design Thinking Fähigkeiten ausgebaut und bei mir war das Gefühl entstanden, dass die juristische Ausbildung in Deutschland sehr innovationsbedürftig ist. Auch die Hoffnung, dass es diese Probleme nur in der Ausbildung gäbe, wurde in der Praxis sofort enttäuscht. Im Referendariat habe ich erfahren, dass zwar alles irgendwie funktioniert – prinzipiell haben wir ein funktionierendes Rechtssystem – allerdings gibt es überall sehr viel Potential für Innovation und Verbesserung. Legal Tech steht für eine Form von Innovation im Rechtsbereich und war zu dem Zeitpunkt schon recht präsent. Für den Weg hin zu solchen Innovationen ist jedoch Legal Design nötig. Damit wollen wir Innovationsprozessen einen Rahmen geben und diese begleiten. Wir sind beide derzeit im Legal-Tech-Bereich tätig, weil die Innovationsfreudigkeit in dieser Branche viel größer ist als in den anderen Rechtsbereichen.

Lina:​ Das ist der Bereich, der wohl am ehesten bereit ist, neue Wege zu gehen und andere Methoden auszuprobieren und anzuwenden, um Veränderungen herbeizuführen.

Jolanda:​ Bedeutet das, dass ihr bisher mit eurem Unternehmen noch nicht in Kanzleien, sondern nur in Legal-Tech-Unternehmen unterwegs wart? Gibt es diese Offenheit auch in anderen juristischen Bereichen?

Alisha:​ Doch, wir werden auch von Kanzleien angefragt, aber die Legal-Tech-Branche ist tatsächlich offener. Das sind sozusagen die Liberalen unter den Juristen. Dennoch haben wir This is Legal Design nicht nur für den Legal-Tech-Bereich gegründet.

Jolanda:​ Was überrascht euch dabei am meisten in dem juristischen Bereich?

Lina:​ Wie langsam der Fortschritt tatsächlich stattfindet. Selbst in den Bereichen, die sich vermeintlich intensiv mit Legal Tech auseinandersetzen. Dass viel darüber gesprochen wird, das Thema groß nach außen getragen wird, die Umsetzung am Ende aber sehr schleppend stattfindet. Kanzleien und Unternehmen stoßen bei der Implementierung häufig auf internen Widerstand. Vor allem dann, wenn die Nutzer nicht richtig in den Implementierungsprozess mit einbezogen wurden. Unternehmen stehen in dieser Hinsicht noch etwas besser da, weil sie es gewohnt sind, regelmäßig neue Software zu implementieren. Da sind Innovationsprozesse einfach schon gängiger, als in größeren Kanzleien.

Alisha:​ Selbst dann, wenn Ressourcen da sind, dauert es lange. Selbst, wenn die Erkenntnis da ist, dass es so nicht gemacht werden kann, geht die Entwicklung noch sehr langsam voran. Ich war über die Verhältnisse beim Staat am meisten schockiert. Davor war ich der Annahme, dass der Staat die Mittel für Investitionen hat. Eigentlich sollte da das Interesse groß sein, am Zahn der Zeit zu bleiben. In Deutschland wollen wir doch Vorreiter in der Digitalisierung sein. Die Mitarbeiter dort haben zwar teilweise schon festgestellt, dass es so nicht funktioniert, aber es passiert einfach überhaupt gar nichts.

Lina:​ Und wenn dann doch investiert wird, soll alles sofort funktionieren. Dann ist die Frustrationsschwelle sehr gering. Man denkt, dass sich eine so große und wesentliche Entwicklung für wenig Geld und wenig Zeit irgendwie nebenher verwirklichen lässt. Das ist aber so nicht zu realisieren.

Jolanda:​ Wo seht ihr die Rechtsbranche in Zukunft? Glaubt ihr, dass die Justiz mit der Bearbeitung der Klagen irgendwann nicht mehr hinterherkommt? Wird die Politik erst dann handeln? Was wird eurer Meinung nach in den Kanzleien passieren?

Lina:​ Ich glaube, dass der Staat für eine zeitgemäßere Justiz und Verwaltung bereit sein muss angemessene Investitionen zu tätigen. Die Umsetzung sollte gemeinsam mit Legal-Tech-Unternehmen anstatt mit großen Unternehmensberatungen erfolgen. Dieses dürfte einiges kosten, würde jedoch langfristig einen besonders verantwortungsvollen Umgang mit Steuergeldern bedeuten. Ich habe den Eindruck, dass unser System teilweise nur funktioniert, solange alles normal läuft. Sobald die Belastung etwas ansteigt, werden die Schwachstellen klar. In den Bereichen, die viel zu bürokratisch, kompliziert und aufwendig sind, muss sich etwas verändern. Der Staat trägt seinen Bürgern gegenüber die Verantwortung, sich in Hinblick auf ein zugänglicheres Rechtssystem, effizientere Prozesse, Ausbildung des juristischen Nachwuchses etc. mit der Digitalisierung auseinander zu setzen.

Alisha:​ Dafür sind die Steuern ja auch da, die Mittel sinnvoll einzusetzen. In anderen Ländern, wie z.B. in den Niederlanden, funktioniert das viel besser.

Jolanda:​ Jetzt habt ihr die politische Dimension des Themas schon angesprochen. Denkt ihr das Rechtsdienstleistungsgesetz müsste geändert werden?

Alisha:​ Ich bin natürlich total voreingenommen, weil Flightright sich gerade dafür einsetzt, dass das Rechtsdienstleistungsgesetz geändert wird. Die Anwaltschaft hat große Angst, dass durch Legal-Tech-Unternehmen eine große Konkurrenz entsteht. Es ist nicht völlig abwegig, dass es diese Angst gibt. Aber eine Marktwirtschaft funktioniert auch nur, wenn Konkurrenz hergestellt wird. Wenn sich ein Bereich auf Grund besserer Dienstleistung schneller entwickelt, ist es nicht gerechtfertigt, den Anwalt, der mit großem Risiko für Verbraucher arbeitet, zu schützen. Dann richtet sich der Anwaltsbereich halt wieder anders aus. Anwälte haben genauso die Möglichkeit, ihre Fähigkeiten weiterzuentwickeln. Verbraucher und Kunden haben einfach mehr davon, wenn sie bessere und schnellere Arbeit bekommen.

Jolanda:​ Letztes Jahr habt ihr This is Legal Design gegründet. Wie seht ihr die Zukunft eurer Arbeit? Möchtet ihr Legal Designerinnen sein? Oder strebt ihr in Verbindung damit eine klassische Anwaltskarriere an?

Lina:​ Also ich strebe derzeit keine klassische Anwaltskarriere an und bleibe dem Legal Design und der Legal-Tech-Branche treu. Solange ich das Gefühl habe, in der Rolle der Anwältin als Ressource verschwendet zu werden – z.B. weil ich als Associate redundanten Tätigkeiten nachgehen müsste, von denen ich weiß, dass sie sich ohne weiteres automatisieren ließen, kann ich mir diesen Job einfach nicht vorstellen. Zum zweiten Teil der Frage: Aus meiner Sicht ist jeder Jurist automatisch auch Legal Designer. Design ist jede Form von Planung und Gestaltung. Und wir Juristen gestalten stets die Dienstleistungen und Produkte, die wir erbringen, die Prozesse nach denen wir Arbeiten und die Umgebung in der wir tätig sind. Die Frage ist dann, ob diese gut gestaltet werden. ​Design Thinking ist daher kein Selbstzweck, sondern eine Herangehensweise, die gutes, das heißt ganzheitliches, mensch-zentriertes Design ermöglicht. Als Juristin werde ich daher immer Legal Designerin sein und mich stets fragen, wie sich die Dinge noch besser gestalten lassen.

Alisha:​ Ich fange am Montag fest bei Flightright an zu arbeiten, als Head of Legal Innovation. ​Dort werde ich Legal Design praktizieren. Ich werde mit Hilfe der Methode, die Optimierung der Prozesse im Unternehmen, besonders im Legal Department, verantworten.

Jolanda:​ Wollt ihr This is Legal Design dann nebenbei als Agentur oder Workshopkonzept weiterführen?

Lina:​ Wir wollen beides sein – ein Think Tank und eine Plattform, die Legal Designer und Interessierte an diesem Thema zusammenbringt. Wir werden Legal Design als Methode durch den Austausch als Gemeinschaft weiterentwickeln. Auf der anderen Seite bringen wir unsere Erfahrung und unser Wissen mit Hilfe von Workshops und individueller Projektbegleitung in die Praxis. Wir glauben, dass immer der Kontakt nach außen, d.h. zur Praxis bestehen muss.

Alisha:​ Für mich ist es total gut, dass ich das, was wir uns in der Theorie überlegen, sofort in einem Unternehmen ausprobieren kann. Hoffentlich wissen dann in Zukunft mehr Leute nicht nur, was Legal Tech ist, sondern auch was Legal Design ausmacht.

Jolanda:​ Lina, du hast es vorhin schon angesprochen. Erfüllt Volljurist zu sein, vor allem den Zweck, von anderen Juristen Ernst genommen zu werden oder bringt es euch auch andere Vorteile mit sich? Haltet ihr Ausbildung im zweiten Staatsexamen für sinnvoll?

Lina:​ Ich finde es schade, dass man erst im zweiten Staatsexamen Einblicke in die Praxis bekommt. Im Nachhinein betrachtet, möchte ich keine dieser Erfahrungen missen. Ich habe sehr viel kennengelernt und Dinge verstanden, die ich, obwohl ich ja vorher schon das erste Staatsexamen gemacht hatte, ohne die Praxiserfahrung nie hätte erfassen können. Ich hoffe einfach, dass man in Zukunft viel früher dazu die Gelegenheit kriegen wird, in diese Bereiche auch praktisch reinzuschauen.

Alisha:​ Natürlich kann man immer viel kritisieren, aber das Referendariat ist durch die Einblicke, die man bekommt, eine der sinnvollsten Dinge in der juristischen Ausbildung überhaupt. Dadurch habe ich verstanden, warum bestimmte Sachen sind, wie sie sind. Erst durch diese Erfahrungen erkennt man außerdem das Potenzial für Veränderung. Um überhaupt Innovation anzustreben, ist es absolut notwendig den Prozess an sich zu verstehen.

Jolanda:​ Klassischer Jurist sein und innovativ sein. Geht das zusammen?

Lina:​ Wir als Juristen sind ja darauf gepolt, ein gewünschtes Ergebnis für unseren Mandanten zu erzielen. Das Ziel steht für uns schon fest und dann überlegen wir, wie wir dieses erreichen können. Das ist eine innovationsfeindliche Art zu denken, wenn man diese Denkweise auf Kanzleiprozesse überträgt. An die Gestaltung dieser Prozesse muss man ergebnisoffen rangehen. Wir dürfen nie nur von dem ausgehen, was wir uns vorstellen können. Die Kunst liegt darin, die juristische Herangehensweise nicht auf sämtliche Bereiche seines Agierens zu übertragen. Das ist auch der Grund, warum viele Menschen mit Juristen privat nichts zu tun haben wollen. Juristen können oft nicht aufhören, Juristen zu sein. Um innovativ arbeiten zu können, müssen Juristen lernen, verschiedene Denkweisen und Methoden flexibel anzuwenden.

Jolanda:​ Gibt es noch etwas abschließend, das ihr den Lesern mit auf den Weg geben wollt?

Lina:​ Gerade jetzt in unserem digitalisierten Zeitalter haben wir ganz andere als nur die klassischen Möglichkeiten unseren eigenen Weg zu gestalten. Das Netzwerk an Menschen, mit dem wir uns austauschen und zusammenarbeiten können, ist viel größer geworden. Wir sind nie alleine mit dem, was wir uns für die Zukunft vorstellen. Werdet kreativ und vernetzt euch mit Gleichgesinnten, die euch auf diesem neuen Weg begleiten. Probiert euch aus, bleibt neugierig, pflegt eure Hobbies und Interessen. So habt ihr später eine gute Basis aus Erfahrung und Inspiration, die es euch ermöglichen in neue Richtungen zu denken.

Jolanda:​ Vielen Dank für das Interview.

Weitere Informationen zum Geschäftsmodell und „This is Legal Design“ Team finden Sie unter https://thisislegaldesign.com.

Das Interview führte Jolanda Rose. Sie ist Legal Tech Bloggerin bei lawtechrose.com und Jurastudentin an der FU Berlin. Außerdem ist sie Prozessmanagerin im Legal Tech Team der Humboldt Consumer Law Clinic in Berlin.

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