Gansel Rechtsanwälte — Der gelungene Weg zum Legal Tech Unternehmen
Hier berichtet Philipp Caba, Rechtsanwalt und Vorstand der Gansel Rechtsanwälte Rechtsanwalts AG, über den Weg von einer normalen Kanzlei mit Papierakten hin zu einem modernen Rechtsdienstleister und Legal-Tech Unternehmen. Außerdem: Wie die Arbeit von Gansel Rechtsanwälte heute aussieht und welche drei Learnings er Brancheneinsteigern mit auf den Weg geben würde.
Der Weg zum Legal-Tech
Gansel Rechtsanwälte wurde vor über 15 Jahren als „klassische“ Rechtsanwaltskanzlei von Dr. Timo Gansel gegründet. Heute sind wir mit über 250 Mitarbeitenden eine der führenden Verbraucherschutzkanzleien Deutschlands. Anders als bei den meisten Legal-Techs, die in den letzten Jahren aufkamen, war es bei uns ein schrittweiser Weg. Heute sind wir ein digitaler Rechtsdienstleister, der Legal-Tech zur Optimierung des Kundenerlebnisses und der eigenen Wertschöpfungskette einsetzt.
Anfangs standen Tätigkeiten im Kapitalmarktrecht und fehlerhafte Kapitalanlageprodukte im Fokus, gefolgt vom Bankrecht und fehlerhaften Kreditverträgen. Ein Gamechanger im Einsatz innovativer Technologien für die juristische Fallbearbeitung war dabei die Ausrichtung der Kanzlei auf sogenannte Massenschadensfälle. Dazu gehören in erster Linie der Widerrufsjoker bei Verbraucherdarlehensverträgen und seit 2015 der Dieselskandal in der Automobilindustrie.
Dieser Betrug einer ganzen Industrie führte zu einem Um- und Aufbruch in der Rechtsdienstleistungsbranche. Und das bei allen Akteuren: den Gerichten, den Klägerkanzleien und natürlich auch bei den Anwälten der Autoindustrie. Es gab auf einmal eine enorme Menge an geschädigten Fahrzeugkäufern und durchzusetzenden Ansprüchen. Für alle Beteiligten der Branche war es daher schlicht notwendig aufzurüsten: Entweder im Personalbereich (z.B. mehr Richterstellen), in der Organisationsstruktur oder in Bezug auf technische Tools zur Unterstützung in der Fallbearbeitung.
Vor diesem Hintergrund beteiligten auch wir uns zunehmend daran, eigene und auf unsere Bedürfnisse maßgeschneiderte Softwarelösungen zu entwickeln.
Unsere Art der Arbeit
Vor allem den Bereich der Kundenkommunikation haben wir bei Gansel Rechtsanwälte anders als herkömmlich und innovativer aufgesetzt – inzwischen mit einem übersichtlichen Mandantencockpit und Formulareingaben für den unmittelbaren Erhalt strukturierter Fallinformationen. Technische Neuerungen innerhalb der Wertschöpfung führten im Laufe der Jahre dazu, dass deutlich mehr Mandate effektiv bearbeitet werden konnten, als es ohne den Einsatz von IT möglich gewesen wäre. Dies führte auch zu einer Steigerung der juristischen Qualität der Arbeit. Erfahrungswerte aus vielen Einzelverfahren können schnell und mit wenigen Klicks weiterverarbeitet werden, wovon wiederum alle Mandanten profitieren.
Eine wesentliche Herausforderung in unserer Arbeit war und ist die interdisziplinäre Zusammenarbeit. Sowohl Juristen als auch Techies neigen dazu, immer richtig liegen zu wollen. Das macht die Erarbeitung und Übersetzung gemeinsamer Lösungswege von der einen in die andere Expertensprache auf Augenhöhe bisweilen anspruchsvoll – aber auch reizvoll.
Letztendlich geht es weniger um die „perfekte“ Legal-Tech-Lösung als vielmehr um eine Vision, die richtigen Leute und das passende Mindset, welches den Mut für und die Lust auf Veränderung versprüht. Bei uns im Unternehmen lebt Dr. Timo Gansel genau diesen Spirit seit Jahren wie kein Zweiter vor.
Gerade für Unternehmen in der Rechtsdienstleistungsbranche ist es unserer Erfahrung nach nicht immer einfach, diesen Kurs zu halten: Anwälte sind gut darin, Dinge zu bewahren und nicht von bewährten Methoden abzuweichen. Alle Mitarbeitenden bei diesen sich ständig ändernden, digitaler werdenden Abläufen nicht nur mitzunehmen, sondern auch dafür zu begeistern, ist sicher die größte Herausforderung. Immerhin werden E-Mails und Verfahrensakten bei uns schon seit 2012 – was leider in einigen Kanzleien bis heute keine Seltenheit ist – nicht mehr ausgedruckt.
Gansel Rechtsanwälte versteht sich als moderner und innovativer Rechtsdienstleister. Wir nutzen Legal-Tech nicht so sehr als Aushängeschild, sondern begreifen es als Selbstverständlichkeit, um effektiv die Bedürfnisse unserer Kunden zu erfüllen.
Drei Learnings für Brancheneinsteiger
Man muss mit der Zeit gehen, sonst geht man mit der Zeit – dieses Sprichwort beschreibt nicht nur die Entwicklung von Gansel Rechtsanwälte treffend. Meine drei Kernbotschaften für Brancheneinsteiger und Legal-Tech-Enthusiasten lauten daher:
- Legal-Tech-Anwendungen sollten immer dem Produktgedanken und den Kundenbedürfnissen folgen und nicht umgekehrt. Legal-Tech sollte als das gesehen werden, was es ist: eine Arbeitserleichterung, kein Anwaltsersatz.
- Legal-Tech-Anwendungen sind nur dann wertvoll, wenn sie flexibel für mehrere Produkte nutzbar sind und ohne viel Entwicklungsaufwand – durch Legal-Engineering-Profile – angepasst werden können. Low-Code und No-Code-Plattformen haben meiner Erfahrung nach mehr Potenzial als hardkodierte Single-Produktlösungen. Je konfigurierbarer, desto besser.
- Man sollte aufpassen, nicht in „Tech-Exzesse“ zu verfallen. Diese Gefahr besteht, wenn das Unternehmen einen zu großen Gefallen daran findet, Arbeitsabläufe nicht für seine Kunden, sondern nur für seine Mitarbeitenden zu vereinfachen. Das gleiche gilt dann, wenn das Unternehmen dem technischen System dient und nicht umgekehrt. Die Kunst liegt darin, die richtige Balance zwischen der technisch möglichen, der technisch sinnvollen und einer pragmatischen – ggf. auch mal händischen – Lösung zu finden.
Fazit
Im Unterschied zur klassischen Rechtsanwaltstätigkeit steht bei uns die „Produktisierung“ von rechtlichen Interessen und Dienstleistungen im Fokus. Das heißt, wir bieten einen Service als Produkt an, der bestenfalls exakt an den Bedürfnissen unserer Zielgruppe ausgerichtet ist. Konkret verstehen wir unter dieser Produktisierung eine klare und verständliche Kundenansprache, eine digitale und bequeme Möglichkeit zur Beauftragung zu jeder Tages- und Nachtzeit und die permanente Verfügbarkeit relevanter Fallinformationen und Unterlagen auf einen Blick. Genauso wichtig ist es, unseren Mandantinnen und Mandanten die volle Kostentransparenz bei keinem oder einem überschaubaren Kostenrisiko zu ermöglichen. Der Einsatz von Legal-Tech ist vor allem bei diesen Themen für uns unverzichtbar.
Das Selbstverständnis ein moderner Rechtsdienstleister zu sein, setzt die Bereitschaft voraus, althergebrachte Wege zu verlassen und sich immer wieder auf Neues einzulassen. Auch wenn die Rechtsbranche zuweilen schwerfällig erscheinen mag, steckt hier enorm viel Potenzial – sowohl was die Themen als auch was den Drive jüngerer Generationen mit Visionen und echter Digitalisierungslust angeht.
Autor: Philipp Caba, Rechtsanwalt und Vorstand der Gansel Rechtsanwälte Rechtsanwalts AG