Fachartikel

Entwicklung eines Legal Tech-Tools – Ergebnisse eines innovativen Kurses an der Humboldt Uni zu Berlin

Die Digitalisierung schreitet voran und macht auch vor Jurist:innen nicht halt, wie nicht zuletzt der Name dieser Online-Publikation zum Ausdruck bringt. Das Schlagwort „Legal Tech“ bedeutet für Jurist:innen vor allem, ein Gespür dafür zu entwickeln, wie juristische Arbeitsprozesse digital neu gedacht werden können. Um die Ausprägung dieses Gespürs schon im Studium zu verankern, bot der Autor im Sommersemester 2023 an der Humboldt-Universität zu Berlin den Schlüsselqualifikationskurs „Entwicklung eines Legal Tech-Tools“ an. Die Studierenden entwickelten dabei begleitet durch den Kursleiter und zahlreiche Gäste aus der Praxis eigene Legal Tech-Tools zu selbstgewählten Themengebieten. Der folgende Beitrag stellt das Kurskonzept und sowie die von den Studierenden erzielten Ergebnisse vor.

Kurskonzept

Angelegt als Schlüsselqualifikation ermöglichte es der Kurs den Studierenden, im geschützten universitären Umfeld ohne Umsatzdruck erste Erfahrungen zu sammeln, wie digitale Anwendungen gestaltet werden können, um definierte juristische Problemstellungen zu lösen. Die Ausbildung von juristischer Expertise war hingegen nicht Schwerpunkt des Kurses, sodass viele Rechtsthemen nur angeschnitten wurden.

Im ersten Teil des Kurses mussten die Studierenden eine Idee generieren, welches Thema sie mit ihrem Legal Tech-Tool bearbeiten wollen. Thematisch waren dabei keine Grenzen gesetzt; Anforderung war allein, eine rechtlich geprägte Kommunikation zwischen mehreren Beteiligten abzubilden. Praktische Umsetzbarkeit war hingegen kein Erfordernis, sodass insbesondere kein vollständiger Business Case entworfen werden musste, wenn auch manche Gruppen sich trotzdem Gedanken zu möglichen Geschäftsmodellen machten.

Aufgeteilt in vier Arbeitsgruppen mit je drei bis vier Mitgliedern entwickelten die Studierenden zwei Vertragsgeneratoren für die Gesellschaftsgründung (getauft auf die Namen „Launch Legal“ und „Werner“), ein Tool für die Rüge von Baumängeln (mit Namen „Gaudi“) und ein Tool zur Verwaltung von Arbeitsverträgen (ohne Namen).

Damit die Ideen nicht ausschließlich theoretische Konzepte blieben, übersetzten die Studierenden ihre Ideen im zweiten Teil des Kurses mit der No Code-Automatisierungssoftware BRYTER in eine funktionale Anwendung. Mit dem Drag & Drop-Editor von BRYTER lassen sich ohne Programmierkenntnisse Wenn-Dann-Logiken erzeugen, um damit juristischen Output wie Verträge, Emails oder sonstige Dokumente zu erstellen. Als Frontend erstellt BRYTER dabei einen Fragebogen für die Nutzer, mit dem die notwendigen Angaben erfasst werden können. Durch den Einsatz von Datenbanken und dem Einsatz abgegrenzter Module lassen sich dabei auch vergleichsweise komplexe Anwendungen erstellen.

Abgerundet wurde der Kurs mit einer öffentlichen Abschlusspräsentation, bei der die Studierenden ihre Entwicklungen einer breiteren Öffentlichkeit vorstellten. Eingerahmt von einer Keynote und einer Paneldiskussion stellten die Studierenden mit durchweg sehr gelungenen Präsentationen die Ergebnisse des Semesters der Öffentlichkeit vor.

Die Ergebnisse der Studierenden

I. Launch Legal: Online-Gründung

Inspiriert vom Ziel der Ampel-Koalition, Deutschland zur Online-Gründungsnation zu machen, zielte eine erste Arbeitsgruppe mit ihrem Tool „Launch Legal“ darauf ab, die Zusammenarbeit von Gründenden und Notariaten bei der Gesellschaftsgründung zu verbessern.

Die Arbeitsgruppe identifizierte dabei vier relevante Teilschritte, die mit dem Tool adressiert werden sollen: (1) Die Ermittlung einer geeigneten Gesellschaftsform, (2) die Gestaltung des Gesellschaftsvertrags, (3) Unterstützung bei der Terminabstimmung mit den Notariaten sowie (4) die Begleitung der Gründenden bei der Errichtung der Gesellschaft.

Die Gründenden beantworten dazu zunächst einige Fragen, um eine passende Gesellschaftsform auszuwählen. Dabei können auch als persönlich besonders wichtig empfundene Themen höher gewichtet werden, um so eigenen Präferenzen besonderen Nachdruck zu verleihen. Ist die Gesellschaftsform gefunden, werden Fragen zum Gesellschaftsvertrag beantwortet, den die Software schließlich mit Hilfe von Textbausteinen entwirft.

Das Tool übermittelt die Antworten sowie den Entwurf sodann an eine Notar:in, damit diese noch einmal prüft, ob der Entwurf in seiner Gesamtheit zu den in den Antworten zum Ausdruck kommenden Präferenzen passt. Über das Tool können dabei konkrete Rückfragen gestellt werden. Sobald der Entwurf geprüft ist, Rückfragen beantwortet und die Gründenden zufrieden sind, wird über das Tool ein Beurkundungstermin vereinbart. Im Anschluss an die Beurkundung sollte auch die Kommunikation mit dem Handelsregister über das Tool erfolgen, wobei dies im Rahmen des Kurses nicht implementiert werden konnte.

II. Werner: Gründung einer Unternehmergesellschaft

Auch eine zweite Arbeitsgruppe nahm sich mit ihrem auf „Werner“ getauften Tool der Gesellschaftsgründung an, wobei sie sich auf die Unternehmergesellschaft fokussierte. Das Tool verfolgt dabei drei Kernanliegen: (1) Den Informationsüberfluss für Gründende komprimieren; (2) „Bürokratie“ bewältigen und (3) die Einigung zwischen Gründenden fördern.

Für die ersten beiden Punkte hat es sich „Werner“ zum Ziel gesetzt, die Gründenden über die wesentlichen Themen bei der UG-Gründung zu informieren, um anschließend eine individuelle Satzung basierend auf der Benutzereingabe zu entwickeln. Von „Launch Legal“ hebt sich „Werner“ durch den integrierten Einigungsprozess ab. So sollten nicht alle Gründenden gemeinsam einen Fragebogen ausfüllen, sondern jede Gründende einen eigenen Fragebogen. Die Software überprüft, ob die Ergebnisse übereinstimmen. Abweichungen werden den Gründenden mitgeteilt, damit sich diese einigen können. Das Tool soll dabei die notwendigen objektiven Informationen liefern, um eine fundierte Entscheidung zu treffen. Perspektivisch wäre zudem denkbar, den Kontakt zu Anwält:innen oder Notar:innen herzustellen.

Haben sich die Gründenden auf einen Vertrag geeinigt, soll „Werner“ – im Kurs allerdings nicht mehr umgesetzt – ebenfalls den Kontakt zum Notariat für die weitere Umsetzung herstellen. Perspektivisch wäre zudem eine Erweiterung auf andere Gesellschaftsformen denkbar.

III. Gaudi: Ein Tool für Baumängel

Eine dritte Gruppe nahm sich unter dem Namen „Gaudi“ den Problemen privater Bauherr:innen an, die mit Baumängeln konfrontiert werden. Das Tool bietet dazu eine intuitive Benutzeroberfläche, prüft mögliche Ansprüche und generiert automatisch Mängelrügen. Perspektivisch angedacht war zudem, die Kommunikation mit Bauunternehmen zu strukturieren, um so den Nutzenden zu helfen, ihre Interessen effektiv durchzusetzen.

Mit Hilfe eines Fragenkatalogs, der typische Sachverhaltskonstellationen abfragt, wird zunächst geklärt, ob überhaupt ein Mangel im Rechtssinne vorliegt. Ist dies der Fall, werden im Anschluss mögliche Ansprüche gegen das Bauunternehmen geprüft.

Die Studierenden erkannten jedoch recht schnell, dass die Abfrage von Standardkonstellationen häufig nicht zu eindeutigen Ergebnissen führt. Um dem Rechnung zu tragen, entschieden sie sich, dass „Gaudi“ keine festen Ja/Nein-Ergebnisse ausgibt, sondern angibt, ob Mangel und Ansprüche mit geringer, mittlerer oder hoher Wahrscheinlichkeit vorliegen. Für die Ermittlung der Wahrscheinlichkeit wurden den einzelnen Fragen unterschiedlich viele Punkte zugewiesen, sodass aus der Summe der Punkte die Wahrscheinlichkeit abgeleitet werden kann. Die Angabe von Wahrscheinlichkeiten soll den Nutzenden dabei helfen, eine eigene Entscheidung zu treffen.

Bei der Anspruchsprüfung wird nicht allein eine rechtliche Bewertung vorgenommen, sondern auch die Interessen der Nutzenden werden abgefragt, etwa ob vorrangig eine finanzielle Entschädigung oder die Herstellung des erwarteten Zustandes in Natur erreicht werden soll. Auch hierbei wird bei der Empfehlung des Vorgehens basierend auf einem Punktesystem mit der Angabe von Wahrscheinlichkeiten gearbeitet. Soweit sich die Nutzenden für die Durchsetzung von Ansprüchen entscheiden, erstellt Gaudi entsprechende Schreiben zur Geltendmachung der Ansprüche.

IV. Die Administration von Arbeitsverträgen

Eine vierte Arbeitsgruppe widmete sich dem Arbeitsrecht. Sie entwickelte ein Tool, das Arbeitnehmer:innen und Arbeitgeber:innen die Abwicklung von Arbeitsverhältnissen erlaubt. Hierzu wurden entsprechende Nutzeroberflächen für Arbeitnehmer:innen und Arbeitgeber:innen entwickelt, über die Arbeitsverträge erstellt, Urlaub beantragt oder Kündigungen entworfen werden konnten.

Der Fokus dieser Gruppe lag vor allem darauf, ein komplexes Vertragsgeflecht mit verschiedenen Kommunikationsformen für die Beteiligten durch strukturierte Kommunikation leichter „lebbar“ zu machen.

Fazit und Learnings

Der Kurs erwies sich als erfolgreicher Auftakt für ein neues Lehrkonzept. Er bot den Studierenden nicht nur ein breites Spektrum zum Einüben von Schlüsselqualifikationen, sondern auch Gelegenheit im Rahmen der juristischen Ausbildung mit interaktiveren Lehrformaten zu experimentieren, die in der traditionellen juristischen Ausbildung noch wenig verbreitet sind. Insgesamt war der Kurs somit eine bereichernde Erfahrung, die sowohl Lernenden wie Lehrenden viel Freude bereitete.

Eine genauere Vorstellung des didaktischen Konzepts mit möglichem Entwicklungspotential erscheint demnächst in der Zeitschrift für Didaktik der Rechtswissenschaft (ZDRW). In Heft 1/2024 der Legal Tech Zeitschrift (LTZ) stellen die Studierenden ihre Tools zudem etwas genauer vor und berichten über ihre Erfahrungen im Kurs.

Autor: Jakob Horn ist wissenschaftlicher Mitarbeiter (Post-Doc) am Lehrstuhl von Professor Dr. Giesela Rühl, LL.M. (Berkeley) an der Humboldt-Universität zu Berlin. In Forschung und Lehre fokussiert er sich auf den Einsatz von digitalen Anwendungen zur Verbesserung des Zugangs zum Recht, insbesondere im Rahmen des (Zivil-)Prozessrechts. Ein besonderer Interessenschwerpunkte liegt zudem auf dem Einsatz und Verständnis von künstlicher Intelligenz und (Legal) Data Science.

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