Fachartikel

Dr. Marco Buschmann: „Der „Robo-Judge“, der Richterinnen und Richter ersetzt, wird eine Fantasie bleiben.“

Bundesjustizminister Buschmann im Interview mit LTV Herausgeber Patrick Prior

Patrick Prior: Herr Minister Dr. Buschmann, sie hatten Ende Januar verschiedene Legal Tech Persönlichkeiten zu einer Diskussion im Bundesjustizministerium eingeladen. Was waren ihre Erkenntnisse aus diesem Treffen? Haben sie dabei neue Eindrücke gewonnen?

Dr. Marco Buschmann: Der Markt für Rechtsdienstleistungen und überhaupt unser Rechtssystem werden sich durch Legal Tech tiefgreifend verändern. Daran hatte ich schon vor dem Treffen keinen Zweifel. Ich habe deshalb zu dem Treffen eingeladen, weil ich ein besseres Gespür dafür bekommen wollte, wo wir derzeit stehen: Wie weit ist die digitale Transformation vorangeschritten? Was ich gehört habe, hat mich beeindruckt. Kanzleien, Rechtsdienstleister, Rechtsabteilungen: alle setzen schon heute umfangreich auf Legal Tech – und das mit Erfolg. Nahezu auf allen Stufen der Bearbeitung von Rechtsfragen werden mit digitalen Lösungen erhebliche Effizienzsteigerungen erzielt. Aus meiner Sicht ist sehr wichtig, dass die Justiz mit dieser rasanten Entwicklung Schritt hält. Auch die Justiz muss die Chancen nutzen, die die neuen Technologien und insbesondere die KI bieten. Deshalb bin ich mehr denn je überzeugt davon, dass wir mit unserer Digitalisierungsinitiative den richtigen Schwerpunkt setzen. Zusammen mit den Ländern nehmen wir erhebliche Mittel in die Hand, um die digitalen Lösungen in der Justiz voranzubringen – insbesondere auch KI-Projekte.

Patrick Prior: Eines der interessantesten Themen in der Anwaltschaft, bezogen auf den Einsatz neuer Technologien wie Legal Tech und Legal KI, ist sicherlich die Diskussion um das Fremdbesitzverbot. Was möchten sie hier für die Anwaltschaft verändern und mit welchen Argumenten?

Dr. Marco Buschmann: Wir prüfen derzeit, ob sich gesetzgeberische Änderungen in Bezug auf das Fremdbesitzverbot empfehlen. In der Anwaltschaft gibt es dagegen Bedenken. Nicht wenige befürchten, dass eine Lockerung des Fremdbesitzverbots die anwaltliche Unabhängigkeit gefährden könnte. Das hat eine Befragung von Anwältinnen und Anwälten sowie von Verbänden gezeigt, die mein Haus durchgeführt hat. Ich nehme diese Bedenken ernst. Die anwaltliche Unabhängigkeit ist ein Grundpfeiler unseres Berufsrechts.

Patrick Prior: Ein weiteres großes Thema in der Legal Tech Welt ist der sogenannte „Robo-Judge“, also im Minimum ein KI-Assistent für die Richterschaft, im Maximum eine KI Software, die Richter komplett ersetzen könnte. Halten sie den Einsatz einer solchen Software für machbar, sowohl in der ersten Stufe als Assistent, als auch in der zweiten Stufe, die dann quasi autonom, zumindest in einfach gelagerten Fällen oder Massenklagen, Urteile selbständig fällen würde? Welchen Zeithorizont sehen sie hier?

Dr. Marco Buschmann: Der „Robo-Judge“, der Richterinnen und Richter ersetzt, wird eine Fantasie bleiben. Das Grundgesetz vertraut den Akt der justiziellen Entscheidung Menschen an – und nur dort ist diese verantwortungsvolle Tätigkeit gut aufgehoben. Den Einsatz von KI-basierten Assistenzsystemen in der Justiz halte ich hingegen für sinnvoll. Vereinzelt sind solche Systeme ja schon in der Erprobung. Wir sprechen hier zum Beispiel von der automatisierten Textanalyse und der Extraktion von Metadaten, von Tools zur Übersetzung fremdsprachiger Inhalte und zur Anonymisierung von Entscheidungen, aber auch von generativen KI-Systemen, die Texte weitgehend selbständig erstellen. Wenn solche Systeme die Justiz dabei unterstützen können, ihren Aufgaben noch besser nachzukommen, dann sollten wir sie einsetzen.

Patrick Prior: Sollte ihrer Meinung nach eher darauf hingearbeitet werden ein eigenes KI-Sprachmodell für die Richterschaft zu entwickeln oder sollte man besser auf die Verwendung eines großen, bekannten Sprachmodells setzen?

Dr. Marco Buschmann: Voreilige Festlegungen in dieser Frage halte ich nicht für ratsam. Welcher Weg mehr Erfolg verspricht, lässt sich derzeit noch nicht endgültig absehen. Wichtig ist, dass wir die Herausforderung angehen. Im Rahmen der Digitalisierungsinitiative finanzieren wir derzeit ein gemeinsames Vorhaben von Bayern und Nordrhein-Westfalen. Dabei geht es um die Entwicklung eines generativen Sprachmodells speziell für die Justiz. Das schließt andere Herangehensweisen aber nicht aus. Wichtig ist am Ende das Ergebnis. Wir brauchen bedarfsgerechte, wirtschaftliche und rechts-, datenschutz- und IT-sicherheitskonforme Lösungen, die einen messbaren Mehrwert liefern. Wie dieses Ergebnis erzielt wird, ist dabei nachrangig. Möge der Wettbewerb die beste Lösung hervorbringen!

Patrick Prior: Um ein KI Assistenzsystem für Richter:innen aufzubauen, aber auch für jede andere Legal KI Anwendung, wäre es wichtig, große Datenmengen an Gerichtsurteilen offen zur Verfügung zu haben um die KI damit trainieren zu können. Leider sind aber nur wenige Prozente der Urteile in Deutschland offen verfügbar. Wann könnte dies erreicht werden bzw. wo liegen hier die Probleme, denn der Wille scheint ja laut Koalitionsvertrag da zu sein?

Dr. Marco Buschmann: In der Tat: Es werden noch zu wenige Entscheidungen von deutschen Instanzgerichten veröffentlicht. Das liegt insbesondere daran, dass Urteile vor der Veröffentlichung anonymisiert werden müssen. Das nimmt derzeit noch viel Zeit in Anspruch, weil es oftmals händisch erfolgt. Wir wollen die Veröffentlichungsquote verbessern – und prüfen die Möglichkeiten hierfür.

Patrick Prior: Wie steht es um das Vorhaben KI im Bereich der Gesetzgebung einzusetzen? Gerade Sprachmodelle könnten möglicherweise helfen sogenanntes „Juristendeutsch“ klarer zu formulieren und so Gesetze auch bürgernaher und verständlicher zu gestalten. Gibt es hierzu Überlegungen?

Dr. Marco Buschmann: Natürlich denken wir im Justizministerium auch darüber nach, inwiefern KI uns gerade bei unserer Kernaufgabe – der Gesetzgebung – unterstützen kann. Die Formulierung von Gesetzesvorschriften mittels KI ist da nur ein denkbarer Anwendungsfall. Denkbar ist auch eine Unterstützung bei der Auswertung von Stellungnahmen oder eine Unterstützung in der Frühphase der Gesetzgebung, wenn es darum geht, eine Struktur für ein neues Gesetz zu entwickeln. Bei vielen Überlegungen stehen wir derzeit noch am Anfang; aber ich habe keinen Zweifel, dass die KI das Potential hat, auch die legislative Tätigkeit tiefgreifend zu verändern.

Patrick Prior: Vielen Dank für das Interview Herr Minister.

Über den Interviewten: Bundesjustizminister Dr. Marco Buschmann arbeitete nach seinem Zweiten Staatsexamen in Hamm als Rechtsanwalt in einer internationalen Kanzlei. 2016 schloss er seine Promotion zum Dr. jur. an der Universität zu Köln ab. Von 2009 bis 2013 war er als Bundestagsabgeordneter zuständig für Rechtspolitik, von 2014 bis 2017 war er Bundesgeschäftsführer der FDP. Nach seiner Wiederwahl in den Deutschen Bundestag 2017 arbeitete er bis 2021 als Erster Parlamentarischer Geschäftsführer der FDP-Bundestagsfraktion. Seit Dezember 2021 leitet er das Bundesministerium der Justiz.

Über den Interviewer: Patrick Prior ist Jurist, Speaker, Buchautor und Legal Tech & Legal KI Experte. Seit 2018 ist er Herausgeber des Legal Tech Verzeichnis.

- WERBUNG -