Fachartikel

Kommt jetzt das Gesellschaftsrecht 4.0?

In Zeiten von Blockchain, ICOs, Crypto Assets und Smart Contracts stellt sich die Frage, wie weit die Digitalisierung des Gesellschaftsrechts in Deutschland vorangeschritten ist? Im Vergleich zum Finanzsektor, in dem Anfang des Jahres mit der Einführung des „Kryptoverwahrgeschäfts“ und der „Kryptowerte“ im Kreditwesengesetz ein wahrer Quantensprung gelungen ist, wirkt der rechtliche Rahmen des Gesellschaftsrechts in Deutschland noch weitgehend wie im vordigitalen Zustand. Wird nun mit der Umsetzung der sog. EU-Digitalisierungsrichtlinie die „digitale Revolution“ im Gesellschaftsrecht eingeläutet? Was verspricht darüber hinaus der in engem Zusammenhang mit der Umsetzung der EU-Digitalisierungsrichtlinie stehende Antrag der FDP-Bundestagsfraktion „Smart Germany – Digitalisierung des Gesellschaftsrechts vorantreiben“ (Smart Germany-Initiative)? Welche Digitalisierungsmaßnahmen werden zudem durch das „Gesetz zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie (…)“ (COVID-19-Pandemie Gesetz) im Gesellschaftsrecht eingeführt? In unserem Beitrag beleuchten wir die vorgesehenen Maßnahmen und Vorschläge.

EU-Digitalisierungsrichtlinie

Um es vorwegzunehmen: Der digitale Quantensprung zum Gesellschaftsrechts 4.0 wird mit der EU-Digitalisierungsrichtlinie (amtliche Bezeichnung: „Richtlinie (EU) 2019/1151 vom 20. Juni 2019 zur Änderung der Richtlinie (EU) 2017/1132 im Hinblick auf den Einsatz digitaler Werkzeuge und Verfahren im Gesellschaftsrecht“), die bis 1. August 2021 von den Mitgliedstaaten umzusetzen ist, nicht erreicht. Anders als beispielsweise im Eckpunktepapier „Zukunftstechnologie Blockchain“ der CDU/CSU-Bundestagsfraktion von Juni 2019 angedacht, wartet die Digitalisierungsrichtlinie z.B. weder mit Regelungen zu einer neuen genuinen digitalen Gesellschaftsform (D-GmbH) auf, noch schafft sie die rechtlichen Grundlagen für die digitale Übertragung von Gesellschaftsanteilen.

Immerhin werden mit der EU-Digitalisierungsrichtlinie nunmehr jedoch unionsweit harmonisierte Regeln zur Online-Gründung von Kapitalgesellschaften, Online-Registrierung von Zweigniederlassungen und der digitalen Einreichung von Gesellschaftsunterlagen eingeführt. Das ist in der Tat ein Novum, ist der digitale Fortschritt bei der Gründung von Gesellschaften innerhalb der Europäischen Union unterschiedlich stark ausgeprägt: Er reicht von der Gründung im Präsenzverfahren (d.h. mit persönlichem Erscheinen vor dem Notar), nur digital, bis hin zu Mischformen aus Präsenz- und Onlineelementen. Künftig müssen die Mitgliedstaaten digitale Gründungen von (Kapital-)Gesell-schaften zumindest neben dem Präsenzverfahren ermöglichen.

Was die Umsetzung der EU-Digitalisierungsrichtlinie in Deutschland betrifft, soll ausgehend von dem im November 2019 veröffentlichten Umsetzungsvorschlag des Landes NRW, die Online-Gründung nur für die Rechtsform der GmbH (womit auch die UG (haftungsbeschränkt) erfasst wird) und nur für Bargründungen zur Verfügung stehen. Die Online-Gründung, einschließlich der Identifizierung der Beteiligten, soll mittels eines von der Bundesnotarkammer betriebenen Videokommunikationssystems unter Einbindung des Notars erfolgen. Auch Beglaubigungen in Handelsregistersachen sollen künftig im Wege der audiovisuellen Fernkommunikation mit dem Notar über das Videokommunikationssystem durchgeführt werden können.

In Übereinstimmung mit der EU-Digitalisierungsrichtlinie enthält der Umsetzungsvorschlag Präsenzvorbehalte, die es dem Notar ermöglichen, in bestimmten Fällen einen Wechsel vom Online- in das Präsenzverfahren anzuordnen, wie z.B. wenn ein Verdacht auf Identitätsmissbrauch oder fehlende Rechts- oder Geschäftsfähigkeit von Beteiligten besteht.

Während Rechtsschutz- und Rechtssicherheitsgründe für Präsenzvorbehalte sprechen, ist das Festhalten an konventionell zu erfüllenden Nachweisvorbehalten – auch wenn diese von der EU-Digitalisierungsrichtlinie explizit zugelassen werden – eine Schwäche des Umsetzungsvorschlags: So müssen auch bei der Wahl des Online-Verfahrens rechtsgeschäftliche Vollmachten durch Vorlage der Urschrift oder einer Ausfertigung nachgewiesen werden. Zudem sind bei digitaler Gründung mit ausländischer Beteiligung der urkundlich zu erbringende Nachweis der Existenz einer juristischen Person und die rechtsgeschäftliche Vertretungsmacht durch Vorlage einer Apostille oder Legalisation zu erbringen. Bei diesen Nachweisvorbehalten sollte im Gesetzgebungsverfahren dringend nachgesteuert werden. Hier sollten digitale Lösungen vorgesehen werden. Nur dann stellt sich das Online-Verfahren auch bei den – in der Praxis regelmäßig vorkommenden – GmbH-Gründungen unter Beteiligung rechtsgeschäftlicher Vertreter und mit Auslandsbezug als echte, kosten- und zeiteffizientere Alternative zum Präsenzverfahren dar.

Zudem sollte die Umsetzung der EU-Digitalisierungsrichtlinie zum Anlass genommen werden, digitale Verfahren auch für beurkundungspflichtige Tatbestände im post-Gründungsstadium einer GmbH, wie z.B. bei Satzungsänderungen, zur Verfügung zu stellen (auch wenn dies nicht von der EU-Digitalisierungsrichtlinie gefordert wird). Hier könnte, wie bei den oben angesprochenen Präsenzvorbehalten, dem Notar die Möglichkeit gegeben werden, das Präsenzverfahren anzuordnen, sollte im digitalen Verfahren kein sachgerechter Ausgleich widerstreitender Interessen möglich sein, oder sich der Sachverhalt nicht ordnungsgemäß aufklären lassen.

Smart Germany-Initiative

In engem Zusammenhang mit der geplanten Umsetzung der EU-Digitalisierungsrichtlinie in Deutschland steht die sog. „Smart Germany-Initiative“ der FDP-Bundestagsfraktion, die am 14. Januar 2020 mittels Antrag in den Deutschen Bundestag eingebracht wurde. Zutreffend wird im Antrag festgestellt, dass die durch die EU-Digitalisierungsrichtlinie bewirkte stärkere Digitalisierung des Gesellschaftsrechts nur der Auftakt sein kann. Mit einem breiten Katalog weiterer Maßnahmen soll die Digitalisierung weiter vorangetrieben werden. So wird unter anderem gefordert, die Online-Einreichung sämtlicher für die Gründung von GmbH und UG relevanter Dokumente zu ermöglichen, die digitale Gründung auch für GmbH- und UG-Sachgründungen zur Verfügung zu stellen und die notarielle Beurkundungspflicht bei Online-Gründungen im vereinfachten Verfahren für GmbHs und UGs aufzuheben. Des Weiteren wird gefordert, die europäische Registervernetzung weiter voranzutreiben, in dem auch in Deutschland – wie von der EU-Digitalisierungsrichtlinie gefordert, aber nicht im NRW-Umsetzungsvorschlag vorgesehen (Anm. d. Verf.) – ein eigenes „Inhabilitätsregister“ einführt wird, in das Personen aufgenommenen werden, deren Nichteignung als Geschäftsführer durch Beschluss eines Gerichts in der EU festgestellt wurde. Zudem soll die Bundesregierung auf europäischer Ebene auf die Harmonisierung der Handels- und Gesellschaftsregister nach deutschem Vorbild in den EU-Mitgliedstaaten hinwirken. Dies ist sehr zu begrüßen, sind die Register in den EU-Mitgliedstaaten zwar technisch miteinander über das Business Register Interconnection System (BRIS) vernetzt und ermöglichen die grenzüberschreitende Einsichtnahme. Eine mit den deutschen Registern vergleichbare Aussagekraft ausgehend von den Grundsätzen der Registerwahrheit, -klarheit und -verlässlichkeit wohnt ihnen jedoch nicht inne. Weitere Vorschläge betreffen beispielsweise die Schaffung einer Informationsseite über das Justizportal mit Informationen über mögliche Gesellschaftsformen für Kapital- und Personengesellschaften in der Europäischen Union und den Mitgliedstaaten sowie zu den entsprechenden Online-Verfahren, die eine hinreichende Vergleichbarkeit für potenzielle Gründerinnen und Gründer schaffen. Zu Recht wird im Antrag auch gefordert, die Digitalisierung des Gesellschaftsrechts durch die notwendigen IT-Sicherheitsmaßnahmen zu begleiten.

Covid-19-Pandemie Gesetz

Auch das am 27. März 2020 im Bundesgesetzblatt veröffentlichte Gesetz zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht (COVID-19-Pandemie Gesetz) behandelt – aus der Not heraus – die Digitalisierung des Gesellschaftsrechts und enthält ein Maßnahmenpaket zur Anpassung gesellschaftsrechtlicher Verfahren. Die im COVID-19-Pandemie Gesetz vorgesehenen Maßnahmen für die Durchführung von Hauptversammlungen der AG, KGaA, VVaG und SE, Gesellschafterversammlungen der GmbH, General- und Vertreterversammlungen der Genossenschaft und Mitgliederversammlungen von Vereinen sollen dazu dienen, angesichts der Beschränkungen der Versammlungsmöglichkeiten die Beschluss- und damit die Handlungsfähigkeit von Unternehmen aufrechtzuerhalten (vgl. Drs. 19/18110, S. 5). Eine Förderung der Digitalisierung an sich, intendiert das COVID-19-Pandemie Gesetz hingegen nicht.

Dennoch setzt der Gesetzgeber gerade auf die Mittel der Digitalisierung um die oben genannten Ziele zu erreichen. So wird beispielsweise die gesetzliche Grundlage für die Durchführung „virtueller Hauptversammlungen“ ohne physische Präsenz unter Verwendung elektronischer Fern-kommunikationsmittel für die AG, KGaA und SE geschaffen (auf der Grundlage einer Entscheidung des Vorstands). Weiter wird z.B. die Teilnahme der Aktionäre an der Hauptversammlung im Wege elektronischer Kommunikation auch für den Fall ermöglicht, dass eine entsprechende Ermächtigung in der Satzung oder Geschäftsordnung fehlt (wiederum basierend auf einer Entscheidung des Vorstands).

Die im COVID-19-Pandemie-Gesetz vorgesehenen digitalen Maßnahmen sind als Notfallmaßnahmen von vornherein zeitlich begrenzt. Dennoch werden sie faktisch dazu führen, dass die Digitalisierung gesellschaftsrechtlicher Verfahren in den Unternehmen zunehmen wird. Der Gesetzgeber sollte die Erfahrungswerte der Unternehmen entsprechend auswerten und nach Ablauf der Fristen über die Beibehaltung der Digitalisierungsmaßnahmen beraten und, wo erforderlich, Anpassungen vornehmen.

Fazit

Die Umsetzung der EU-Digitalisierungsrichtlinie wie im Umsetzungsvorschlag des Landes NRW vorgesehen, ist für sich genommen kein großer Schritt in Richtung Digitalisierung des Gesellschaftsrechts. Hier sollte der deutsche Gesetzgeber mutiger vorangehen und zumindest die Vorschläge der Smart Germany-Initiative berücksichtigen und umsetzen. Zudem werden die für gesellschaftsrechtliche Verfahren im COVID-19-Pandemie Gesetz vorgesehenen bzw. zugelassenen Maßnahmen die Digitalisierung in den Unternehmen weiter vorantreiben. Unzweifelhaft feststellen lässt sich jedoch: Von einer D-GmbH, die vollständig digital gegründet werden kann und deren Geschäftsanteile auf der Blockchain übertragen werden können, sind wir in Deutschland noch ein ganzes Stück entfernt.

Autoren: Kai-Oliver Krüger (Partner, Corporate, Fieldfisher) und Dr. Katja Michel (Counsel, Financial Regulation, Fieldfisher)

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