Fachartikel

Digitaler Rechtsmarkt als Chance für Rechtsschutzversicherer

Die LegalTech-Liberalisierung geht 2022 in die 2. Runde und für Rechtsschutz eröffnen sich neue Chancen.

New Legal-Market wird bisher ohne Rechtsschutz gedacht

Die Rechtsschutz-Versicherer als Platzhirsche im B2C-Markt für Rechtsdienstleistungen kommen erstaunlicherweise in der Diskussion um die Liberalisierung des Zugangs zum Recht und § 4 RDG gar nicht vor, was bei bald 5 Mrd. Euro Prämieneinnahme und ca. 60 Millionen abgesicherten Risiken schon verwundert.

Das Märchen vom gesättigten Rechtsdienstleistungsmarkt

Wenn es nicht so gut läuft bei einem Versicherer, Bestände verloren gehen und das Neugeschäft ausbleibt, dann sind Versicherungsvorstände und Vorständinnen schnell dabei von hart umkämpften gesättigten Märkten zu sprechen. Gerade im Rechtsschutz geht dies am Bedarf der Verbraucher und Verbraucherinnen als Rechtsratsuchende völlig vorbei, da schon eine Haushaltsabsicherungsquote von 45% aufzeigt, wie viel Luft es da noch nach oben gibt, um vom standardisierbaren Firmengeschäft gar nicht zu sprechen, welches auch die LegalTechs als Milliardenmarkt noch nicht wirklich entdeckt haben.

Die Verbraucher und Verbraucherinnen werden als Rechtsratsuchende gerade über die digitalen Medien immer mehr auf Rechtsfragen, die auch sie im Alltag betreffen, aufmerksam gemacht. Sie erkennen immer mehr den eigenen Bedarf, den es dann auch für Rechtsschutzversicherer gilt in Form von Produkten und Rechtsservices über den Vertrieb abzuholen.

Rechtsschutz ist eine klassische Ansprache-Sparte, die über dienstleistungsorientierte Push-Kampagnen sehr erfolgreich sein kann. Ein Beispiel ist die ÖRAG mit den „Red Friday Week“ Sparkassen-Kampagnen, bei denen MEINRECHT als 24/7 Rechts-Service in den Mittelpunkt der Strategie gestellt wird. Keine erweiterten ARB und ein weiterer Kringel am Leistungspaket, sondern qualifizierte und emphatische Rechtsdienstleistungen, die Sorge- und Rechtslotsenfunktion wird nach vorne gestellt und die Kunden und Kundinnen quotieren dies mit hohen Abschlusszahlen.

Solange es Versicherer wie ARAG, ÖRAG, HUK oder auch DEVK gibt, die Jahr für Jahr bis zu 100.000 Versicherungskunden dazu gewinnen, sollte man nicht von einem gesättigten Markt sprechen, sondern schauen, wie man das Potential der bisher nicht versicherten Haushalte und Firmen erschließt, wozu es dann auch neuer Produkt- und Rechtsservice-Modelle bedarf. Mehr Rechtsschutz ist auch mehr Umsatz für LegalTechs und Anwaltschaft, und zwar im Privatkunden- und Firmenkundengeschäft.

Die Anwaltschaft sollte den Turnaround allmählich im Kopf hinbekommen und nicht die LegalTechs und „Industrie-Kanzleien“ verdammen und weiter mit Argumenten des Untergangs der Rechtsstaatsfunktion des Berufstandes bekämpfen. Die LegalTechs und Verbraucherkanzleien zeigen doch, dass bisher nicht vorhandener Umsatz nunmehr gewonnen wird. Es geht um Budgets, die Verbraucher und Verbraucherinnen und auch Firmen bereit sind für rechtliche Vorsorge, Betreuung und Sicherheit aufzuwenden und auch dort wurde immer wieder propagiert, dass sich Privatkunden bei Policenpreisen von 100, dann 200 und jetzt 300 Euro von der Rechtsschutzversicherung abwenden würden, was nie eingetreten ist. Mit Blick auf die größte und reichste Silver Ager-Generation, die Schutz mit Convenience noch mehr verbindet und dafür bereit ist auch angemessene Preise zu bezahlen, wäre eine solche Sicht fatal. Dazu kommt, dass mit dem RVG 2021 (+13%), galoppierender Inflation, hohen Tarifabschlüssen nicht nur für die Gesundheitsberufe oder auch die Immobilien- und Mietpreissteigerungen die Kostennoten der Anwaltschaft in Standardverfahren wird explodieren lassen, worüber niemand spricht und auch die GDV-Grafiken dazu sind medial verpufft und im BMJ nicht erhört worden. Dieser Kostenexplosion werden sich dann die Versicherer 2023/24 gegenüber ihren Kunden und Vertrieben zu stellen haben.

Für Rechtsschutz und Anwaltschaft gilt, dass auch das Dienstleistungsmarketing deutlich an Qualität und Professionalität gewinnen muss, um Rechtsratsuchende zum richtigen Zeitpunkt zu erreichen. Mancher wundert sich, dass das Rechtsschutzgeschäft in der Pandemie nicht einbricht, die Profis nicht, da gerade in Krisen die Sensibilität für Rechtsrisiken deutlich ansteigt. „Kann mir doch nicht passieren“, kommt nicht mehr so oft von den Lippen der Angesprochenen und deshalb melden die Versicherer, die dies verstanden haben, auch Rekordneugeschäftszahlen in 2020 und auch 2021.

Das gemeinsame Boot von Rechtsschutz und LegalTechs

Aktuell sind wir in der Phase des teilweisen erbitterten Kampfs um die Kundenschnittstellen der Rechtsschutzversicherer, was daran liegt, dass fast alle LegalTech-Modelle auf die rechtsschutzversicherte Digitalmandantschaft ausgerichtet sind und die Rechtsschutzversicherer nicht zu Fans der LegalTechs macht.

Auch haben Versicherer ein Störgefühl, wenn von Online-Mandatsakquise oder auch Mandatshandelsplattformen gesprochen wird, da massive Schadensteigerungen dahinter vermutet werden. Dies ist 2021 trotz aller LegalTech-Aktivitäten ausgeblieben, die Neuschadenstückzahlen werden fast zweistellig im Markt zurückgegangen sein, was den Kostenschub je Einzelfall dämpft.

Der Blick sollte aber den Verbrauchern und Rechtsratsuchenden zugewannt werden, also deren neuen Bedarfe, Wünschen nach Betreuung und Produkten sowie Kaufbereitschaften, die wiederum Grundlage für die Produktentwicklung sind. Dass Rechtsschutzversicherer bei der konsequenten Kundenfokussierung gerade im Kunden- und Schadenservice und der Customer Journey beim Prozessmanagement sicherlich Aufholbedarf haben, sei zugestanden, aber dies gilt für die Versicherungswirtschaft insgesamt, die in der Breite ein stationärer Verkäufermarkt ist.

Immer wieder intensive Diskussionen werden um die Frage des Rechtsschutzes „After the Event“ geführt, also eine erfolgshonorarbasierte Rechtsproblemlösung als LegalTech anzubieten, wenn der Rechtsstreit bereits eingetreten ist. Für die Anwaltschaft weiterhin ein rotes Tuch mit klarer und ablehnender Positionierung (BRAK Stellungahme 2/2022) gegenüber dem BMJ:

„Da Inkassodienstleister bei Geschäftsmodellen mit Erfolgshonorarbeteiligung gewinnoptimiert agieren, konzentrieren sie sich in der Regel nur auf erfolgversprechende Fälle. Sie sollten dann aber auch verpflichtet werden, über die hohe Erfolgswahrscheinlichkeit aufzuklären. Dies ist verbrauchergerecht, weil der Verbraucher dann besser eine informierte Entscheidung treffen kann. Er kann dann frei wählen, ob er trotz hoher Erfolgswahrscheinlich dennoch bereit ist, etwa ein Drittel seiner Forderung abzugeben oder ob er einen Rechtsanwalt beauftragt, der seine Forderung zu 100 % durchsetzen kann.“

Für Rechtsschutz könnte es zu einem Wiederentdecken der eigene Prozessfinanzierer kommen, wobei der deutsche Kunde und Versicherte weiterhin und dies über sehr viele Jahre, den Vollkasko-Versicherungsschutz präferieren wird. Dieser Versicherungsschutz ist jetzt mit Blick auf die LegalTechs neu und größer zu denken, es geht um Lösungs- und Rechtslotsenkompetenzen auch für bisher nicht versicherte Fälle und weiterhin haben LegalTechs und Rechtsschützer gemeinsam, dass sie skalierbare Massenmandate bewegen und damit spricht sehr viel dafür, dass man die jeweiligen Kompetenzen additiv für mehr Kundenbegeisterung und neue Absicherungsmodelle dann auch nutzt. Dafür braucht man Offenheit, Verständnis und Kenntnis für die jeweiligen Geschäftsmodelle, die Kulturen sowie eine gemeinsame Chancen- und Wachstumsmission, um nicht von einer Vision zu sprechen. Dies ist nicht einfach, wenn man sich noch im Kampfmodus um den Kundenzugang befindet.

Rechtsschutz hat sich in den letzten Jahren mit sehr vielen Maßnahmen um das Vermeiden von Kleinschäden gekümmert, die Schadenhäufigkeiten standen im Fokus des Managements, was von den LegalTech-CEOs mit Rechtsschutzkontakten als verbraucherunfreundlich regelmäßig angemerkt wird. Jetzt muss sich Rechtsschutz aber um die Lösung dieser Alltagsfälle nicht nur mit der telefonischen Rechtsberatung kümmern, sondern deutlich weiter gehen und was liegt dort näher, als dies mit geeigneten oder auch eigenen LegalTechs und Inkassogesellschaften sowie digitalen Zentralkanzleien gemeinsam zu machen. Nicht nur um altes Bestandsgeschäft zu sichern, sondern um insbesondere neue Kundensegmente zu erschließen, die sich von einer solchen neuen Kombination aus Deckungsschutz, Lösungskompetenz und situativen Rechts-Services, in der Versicherersprache „Rechts-Assistance“, dann begeistern lassen.

Insoweit schauen wir nicht nur gespannt auf die Evaluierungsphase des LegalTech-Gesetzes und weiteren Schritte bei der Umsetzung der e-Justice, sondern auch auf die neuen Lösungen von Rechtsschutzversicherern mit ihren Rechtsdienstleistern und auch Anwaltsnetzwerken, die ebenfalls einer neuen strategischen und operativen Neuausrichtung bedürfen, um zum Schluss für die weitere Diskussion ein neues Feld aufzumachen.

Der BGH hat sich als Motor der Entwicklung entpuppt und die Brandbriefe der Richterschaft hinsichtlich der „WiderrufJoker- und Dieselgate-Klageindustrie“ könnten auch ein Gutes haben, dass nämlich die nächste Novelle für Sammel- und Verbandsklagen etwas mutiger und progressiver zugunsten der Verbraucher und Verbraucherinnen ausfällt, womit dann Rechtsschutzversicherer, die dies schon immer vertreten haben, wiederum gemeinsam in einem Boot mit den LegalTechs sitzen würden. Niemand hat etwas von über Jahre in der Presse ausgebreiteten unterschiedlichen LG- und OLG-Urteilen zu gleichen Sachverhalten bis dann der BGH entscheidet, dies irritiert Bürger und Bürgerinnen, kostet sehr viel Geld und Zeit und ist das Gegenteil einer bürgernahen Justiz.

Ich freue mich auf 2022, weil die Veränderungen im Rechtsmarkt jetzt sicherlich aus vielerlei Gründen dynamischer werden und alle Player ihre Plätze im digitalen Rechtsdienstleistungsmarkt der Zukunft finden müssen, wozu dann auch die regionale digitalisierte Kanzlei und Versicherungsagentur der Zukunft gehören wird, um hier noch einmal den Kreis zu schließen.

Autor: Rechtsanwalt Andreas Heinsen begann als HGB84-Versicherungsvermittler, absolvierte nach Jurastudium Stationen bei der Volksfürsorge, Hamburger Feuerkasse und Hamburg-Mannheimer. 1996 erfolgte Berufung zum Vorstand der ÖRAG Rechtsschutz AG, 2010 zum Vorstandsvorsitzenden der Deutsche Assistance Versicherung AG. 2021 schied er nach 25 Vorstandsjahren aus seinen Ämtern aus und ist heute als beratender Rechtsanwalt und Executive Advisor im Umfeld von Versicherern, Maklerhäusern und LegalTechs sowie Rechtsdienstleistern tätig.

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