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Die Krux des Legal Tech-Erfolgs

Um im Legal Tech, genauer gesagt im B2C-Segment des Legal Techs erfolgreich zu sein, realisieren immer mehr Unternehmen am Markt, dass die Realität doch komplizierter scheint als die an Investoren gespiegelte Erwartung an das eigene Unternehmen im Pitchdeck.

Flightright gab den Anstoß für eine Reihe von Gründungen und auch mich hat unser erstes Kennenlernen 2014 und der Erfolg von Philipp Kadelbach und seinem Team überzeugt, im Bereich des Verbraucherrechts ein Legal Tech zu gründen. So oder so ähnlich, alle mit dem Approach den “Zugang zum Recht” für den Verbraucher zu verbessern, entstanden innerhalb der letzten 5 Jahre in Gestalt von Marktplätzen, spezialisierter Legal Techs in der Nische oder auch Kanzleien viele Legal Techs.

Wer mit etwas Abstand auf die vergangenen Jahre schaut, wird (mit Erschrecken) feststellen, dass der Erfolg der Branche mäßig ist. Während deutsche Fin- und Insurtechs in den letzten Jahren Milliarden an Funding eingesammelt haben und im nahezu gleichen Zeitraum Unternehmen wie N26, wefox, Raisin oder auch Clark hervorgebracht haben, kamen bisher quasi keine B2C-Legal Techs über eine Series-A-Finanzierung hinaus. Auch aus Kundensicht wurde der Markt nur in Teilbereichen verbessert, der grenzenlose Zugang zum Recht lässt noch auf sich warten.

Und das hat seine Gründe, die auch außerhalb der strikten Regulierung durch das Berufsrecht zu finden sind.

Kein nachhaltiges Geschäftsmodell aufgrund falscher Annahmen

Bis auf einige Ausnahmen (Mieterschutz von Conny oder LAWIO, Flatrate von frag-einen-anwalt.de), wiederkehrende Umsätze zu generieren, basieren die allermeisten Geschäftsmodelle von Legal Techs auf einem irgendwie gearteten und begrenzten Anteil am Umsatz der Rechtsdienstleistung, einem begrenzten Anteil am Anspruch des Verbrauchers über Finanzierungsoptionen wie Prozesskostenfinanzierung (siehe flightright) oder Forderungskauf wie z. B. bei rightnow oder einer Kombination aus beidem.

Unabhängig vom Geschäftsmodell haben alle Varianten das gleiche Problem: Es ist in aller Regel eine einmalige Transaktion. Abseits der erfolgreichen Nischenplayer wie flightright, hartz4widerspruch.de und teilweise noch geblitzt.de gibt es im B2C-Rechtsmarkt keine Retentionrate, auf die ein Geschäftsmodell aufgebaut werden kann.

Der Grund dafür ist, dass rechtliche Probleme bei Verbrauchern glücklicherweise äußerst selten vorkommen und damit nicht zu den elementaren Grundbedürfnissen gehören. Dies wird verstärkt durch eine fehlende Awareness für die eigenen Rechte, wodurch der Mensch dazu neigt viel seltener Rechtsdienstleistungen in Anspruch zu nehmen, als es möglicherweise sinnvoll wäre. Dieser Effekt zeigt sich auch in der Art des Vertriebs von Rechtsschutzversicherungen, die häufig als Beiwerk und nicht für einen direkten Bedarf vertrieben wird.

Im Ergebnis führt diese Realität dazu, dass die meisten Legal Techs im Zuge der Finanzierungsrunden Schwierigkeiten haben, eine mittelfristige Skalierung mit einem adäquaten Track Record zu validieren. Im Grunde muss das Geschäftsmodell geeignet sein, mit einer einmaligen Transaktion einen positiven Deckungsbeitrag zu generieren und dies ist beim durchschnittlichen Transaktionsvolumen nur in wenigen Bereichen des Verbraucherrechts (z. B. Abgasskandal) deutlich möglich.

Die fehlende Antwort auf die Frage eines tragbaren Geschäftsmodells wird häufig mit dem Aufbau einer Marke ersetzt. Durch die Marke wird die organische Reichweite steigen, wodurch sich wiederum die Marketingkosten pro Conversion verringern und sich der kurzfristig negative Deckungsbeitrag langfristig lohnt, heißt es in den Pitches.

Dem Effekt als solches kann seine Logik nicht abgesprochen werden, dennoch ist der Aufbau einer organischen Reichweite durch eine Marke ein zeit- und kostenintensiver Weg, der typischerweise in Relation zur Marktgröße eher durch Finanzierungsrunden jenseits der 50 Millionen EUR strategisch sinnvoll umgesetzt werden kann. Und auch wenn dies bald jemand erreichen wird, sind derartige Finanzierungsrunden für viele Legal Techs derzeit nicht realistisch.

Die niedrige Flughöhe aufgrund fehlender Skalierung

Das fehlende Geschäftsmodell könnte zumindest kurzfristig mit einem ausreichenden Wachstum kompensiert werden. Wie beim Effekt des Aufbaus der Marke und der organischen Reichweite, akzeptieren Investoren negative Deckungsbeiträge dann, wenn langfristig andere Skalierungs- und Netzwerkeffekte einsetzen, die z. B. überdurchschnittliche Kostendegression im operativen Bereich (hier die Rechtsdienstleistung) nach sich ziehen.

Mehr oder weniger versuchen alle Legal Techs diese Effekte aufzuzeigen: Die Entwicklung von Software für angeschlossene Rechtsdienstleister soll diese effizienter machen, Daten sollen neue Geschäftsmodelle ermöglichen, die für günstigere Preise bei den Verbrauchern sorgen und ein breiteres Angebot soll den Umsatz pro Kunden steigern.

In der Theorie sind alle Effekte richtig und werden langfristig bei denen eintreten, die durchhalten, dennoch ist eine gewisse Größe (Daten, Umsatz, Anzahl der Verfahren) notwendig, um diese zeigen zu können. Um die benötigte Größe zu erreichen, haben viele auf das Online Marketing (alle Kanäle) gesetzt, was im Ergebnis nur für diejenigen mit Wiederkehrern, in Nischen (hartz4widerspruch.de, flightright, geblitzt.de, rightnow) oder bei denjenigen mit hohen Transaktionsvolumen (Abgasskandal bei verbraucherritter.de / Scailex oder anderen Kanzleien) funktioniert hat.

Das Online-Marketing soll damit nicht grundsätzlich als schlechte Methodik kategorisiert werden, aber hier kommt eine weitere Besonderheit der bisherigen Geschäftsmodelle zum Tragen: In den meisten Fällen führen nur rechtsschutzversicherte Leads zu Umsatz, weil das Kostenrisiko (z. B. Abgasskandal) für nicht versicherte zu hoch und alternative Geschäftsmodelle (wie PKF) nicht ausreichend verfügbar sind. Da nur ca. 35 % der Online-Leads einen Rechtsschutz haben, zahlt jedes Legal Tech für die anderen 65 % ohne Return of Invest, was in Wirklichkeit die Marketingkosten der 35 % in wirtschaftlich unattraktive Höhen schießen lässt.

Zusätzlich führt die fehlende Größe (hier stimmt es wirklich!) der meisten Legal Techs und die damit fehlende operative Exzellenz dazu, dass wertvolle Vertriebskanäle wie z. B. Kooperationen mit Rechtsschutzversicherungen, Online-Plattformen oder Kanzleien nicht aktiviert werden können. Das fehlende Wachstum und die fehlenden Wachstumsopportunitäten erzeugen dann eine imaginäre Abwärtsspirale.

Der Weg zum nachhaltigen Erfolg der Legal Techs

Angefangen haben alle Legal Techs mit dem Approach, den Zugang zum Recht für Verbraucher zu erleichtern und aus meiner Sicht liegt in diesem Claim auch die Lösung. Im Wesentlichen umtreibt den Verbraucher bei Rechtsproblemen die Kostenfrage, das Kostenrisiko und die Komplexität der Sache, die teilweise in einer Angst münden kann.

Dieses Bedürfnis des Kunden in Verbindung mit der Problematik des transaktionalen Geschäftsmodells (siehe oben) muss dazu führen, dass das Geschäftsmodell eines jeden Legal Techs radikal anders gedacht werden muss als heute. Es muss die Vorteile der unterschiedlichen Geschäftsmodelle aus Rechtsdienstleistung, Rechtsschutz und alternativen Geschäftsmodelle vereinen und gleichzeitig wiederkehrenden Umsatz generieren, indem dem Verbraucher ein dauerhafter Mehrwert geboten wird.

Diesen Veränderungsprozess können Legal Techs nicht alleine umsetzen, sondern nur in Zusammenarbeit mit Rechtsschutzversicherungen und Kanzleien, die wiederum auch sich selbst neu erfinden werden (müssen). Erstere können nicht nur echte Rechtsprobleme (Leads) einbringen und damit auch das Wachstumsproblem der Legal Techs verkleinern, sondern können wertvolle Expertise und weiteren Kundenzugang ermöglichen. Gleichzeitig profitieren die Versicherer durch Beteiligung an den neuen Geschäftsmodellen davon, den eigenen Markt zu vergrößern, oder neue Märkte zu erschließen, ohne das eigene Geschäft zu gefährden.

Bei der Zusammenarbeit mit Kanzleien kommt es darauf an, dass die Daten der Mandatsarbeit als Basis für neue Geschäftsmodelle, bei denen es immer um eine Einschätzung des Risikos geht, strukturiert erhoben, verarbeitet und ausgewertet werden. Aus diesem Grund haben auch die vertikal integrierten Legal Techs (meistens mit einer Kanzlei gemeinsam gegründet) einen großen Vorteil gegenüber Marktplätzen und anderen Lösungen.

Der Goldrausch wird kommen

Der Goldrausch der meisten Legal Techs ist aufgrund des fehlenden Wachstums und noch nicht ausgereifter Geschäftsmodelle bislang zumindest in der Form ausgeblieben, dass bereits heute von einer Disruption des Marktes gesprochen werden kann.

Dennoch: Radikal anders gedachte Geschäftsmodelle, vertikale Integration mit festen Kanzleipartnern und eine Zusammenarbeit mit Rechtsschutzversicherungen und Kanzleien als Trigger für die versprochenen Skalierungseffekte, werden für die nachhaltige Veränderung des B2C-Rechtsmarkt sorgen. Von dieser Veränderung werden alle profitieren, weil sich der Markt nachhaltig vergrößern wird – es bleibt spannend!

Ich bleibe dabei: In 10 Jahren wird Recht oder Rechtsschutz für Verbraucher anders sein als heute. Der Zugang zum Recht für jedermann.

Autor: Marco Klock beschäftigt sich seit mehr als 6 Jahren mit dem Thema Legal Tech. Als Mitgründer und CEO von rightmart verantwortet er eines der erfolgreichsten B2C-Legal Tech Unternehmen. Mehr als 100 Mitarbeiter arbeiten an der Vision, den Zugang zum Recht für Verbraucher zu verändern und damit eine Chancengleichheit zu gewährleisten.

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