FachartikelLegal Tech Rechtsabteilung

Die Digitalisierung der Rechtsabteilung

Ein Interview mit Ines Curtius, Juristin bei der Airbus Raumfahrtabteilung.

Frau Curtius, seit wann sind Sie in der Rechtsabteilung bei Airbus tätig?

Ich bin als Juristin in der Raumfahrt seit über 20 Jahren in verschiedenen Funktionen tätig. Begonnen hatte ich im Vertragsmanagement (Commercial and Contract), dann als Contract Policy Managerin im Einkauf, weiter ging es in der Rechtsabteilung unserer Space Services Unit. Es war immer ein spannender Mix aus juristisch operativen und konzeptionellen und strategischen Themen. Aktuell bin ich als Contract Managerin und Contract Innovatorin bei der Airbus Defence and Space GmbH tätig. Wir als Contract Innovators treiben die digitale Transformation im Rechtsbereich inhaltlich und technologisch voran.

Was hat sich in den letzten Jahren in Ihrer Tätigkeit verändert? Ist die Arbeit digitaler geworden?

Gute Frage. Manche Jurist:innen in meinem Umfeld sind agiler und kritischer geworden. Ich würde sagen manche sind aufgewacht in dem Sinne, dass Recht, Prozesse und die Art wie wir als Jurist:innen arbeiten überdacht und geändert werden muss. Dies immer mit dem Blick wer nutzt bzw. wem nützt das, was wir da machen, z.B. ein Vertrag. Dieser wird ja im Zweifel nicht von Jurist:innen gelesen, sondern von Projekt Manager:innen, Con- troller:innen, Sachbearbeiter:innen etc. Leider, wenn ich mich so umsehe, gibt es noch keine dramatischen Veränderungen bzgl. digitaler Transformation in den Vertrags- und Rechtsabteilungen, sei es nun in Deutschland oder international. Auch wenn manche dort bestimmt schon neue Arbeitsmethoden und auch Technologien ausprobieren und implementieren. Mein Gefühl, und das sagen ja auch Umfragen, ist, dass die Mehrheit noch abwartet. Ich sah auch noch in der Covid-Zeit viel händische Arbeit mittels Excel und Word ohne Rücksicht auf Datenqualität etc.. Digitale Signaturen wurden bestimmt vermehrt eingeführt, aber selbst das gestaltete sich nicht immer einfach.

Das agile Arbeiten, ja da gibt es einige bemerkenswerte Leuchtturmprojekte. Hier ist z.B. die Rechtsabteilung von ING DiBa weit vorne dabei, und als Vorreiter möchte ich hier Dr. Dierk Schindler vom Liqiud Legal Institut nennen.

Es darf aber nicht vergessen werden, dass diese digitale Transformation teils auch durch industriespezifische Sicherheitsbestimmungen bestimmt wird. Bei Airbus Defence and Space steht Sicherheit an oberster Stelle, weshalb wir bestimmte Technologien die rein cloudbasiert sind nicht, oder nur sehr beschränkt, einsetzen können. Das schränkt schon sehr ein. Dementsprechend sind die Möglichkeiten der Nutzung noch begrenzt, gerade für CLM (Contract Lifecycle Managment) oder Textanalyse-Anwendungen.

Ich ganz persönlich arbeite z.B. mit E-Kanban-boards, Trello, Tools zur Visualisierung der Projekte, wie z.B. Jamboard. Auch Apps zur Online-Zusammenarbeit sind durch die Corona-Zeit bei mir alltäglicher geworden, aber tatsächlich zumeist mehr in der Verbandsarbeit wie z.B. beim WorldCC.

Was raten Sie Rechtsabteilungen, die noch nicht sehr digital arbeiten? Wie fängt man am besten an Legal Tech umzusetzen?

Das Mantra jeder Änderung sollte sein: people-process-plattform.

Zunächst sollte man darauf achten in Rechtsabteilungen und im Vertragsmanagement nicht die gleichen Fehler zu begehen, wie in der IT-Industrie und die Nutzer zu ignorieren. Wie oft habe ich den Satz gehört „Das Problem sitzt vor dem Bildschirm“.

Es wird zunächst etwas implementiert, ohne saubere Fehler- und auch Prozessanalysen plus intensiven Nutzerbefragungen gemacht zu haben. Das basiert ja sehr oft auf persönlichen Annahmen, auch durchaus wohlgemeinte, und Erfahrungen, im besten Falle abgedeckt durch Online-Umfragen. Aber weiter wird nicht gegangen. Wie oft wird dann gesagt: „Gut das ist jetzt implementiert, dann läuft das schon.“ Und dann wird es laufen gelassen und die Überraschung ist dann gross, dass die neuen Apps nicht genutzt werden. Dies ist der grösste Fehler den Rechtsabteilungen machen können, wenn sie „auf Teufel komm raus“ einfach eine Technologie einführen wollen.

Daher wäre mein Vorschlag: Fangen Sie mit einem multidisziplinären Projektteam an und schauen Sie, wo die Probleme tatsächlich sind. Welche Probleme hat die Rechtsabteilung? Welche Probleme haben die internen Kunden oder die externen Kanzleien, wenn sie mit der Rechtsabteilung zusammenarbeiten? Anders gesagt, fokussieren Sie sich auf die Nutzer Ihrer Produkte. Technologien, die einfach nur nach Requirements ausgesucht werden, ohne Empathie für die Nutzer:innen, werden meistens scheitern.

Ich denke, im besten Fall sollte der General Counsel auch mit dem multidiziplinären Team eine Roadmap erstellen, z.B. für die nächsten zwei Jahre, und dabei eine Zukunftsvision entwickeln. Und dies eben basierend auf den Ergebnissen der verschiedenen Befragungen.

Ebenfalls frühzeitig ist ein Budget zu sichern und wenn möglich der Business- Case zu berechnen und zu bewerten, also z.B. wieviele Verträge werden durchschnittlich erstellt und wieviel Zeit benötigt diese Erstellung. Legal Design ist hier ein wichtiger bzw. unabdingbarer Ansatz um hier vernünftige Ergebnisse zu erreichen und zufriedene Nutzer:innen zu haben. Astrid Kohlmeier ist hier z.B. eine Vorreiterin auf diesem Gebiet in Deutschland.

Welche Legal Tech Tools können Sie empfehlen oder welche würden Sie sich wünschen?

Spezielle Tools kann ich nicht empfehlen. Die neuen No-Code Plattformen sind natürlich sehr spannend. Ich würde mir aber wünschen, dass die Anbieter aller Technologien im Rechtsbereich noch mehr auf die Kundenwünsche eingehen, bei uns z.B. eben noch mehr auf Sicherheitsvorschriften. Alles was cloud-basiert ist, können wir, wie vorhin schon erwähnt, bei Airbus Defence and Space niemals verwenden. Dahingehend sollte noch mehr auf die spezifischen Kundenwünsche und Voraussetzungen und Arbeitsweisen eingegangen werden.

Es darf am Ende, egal mit welcher Technologie, nicht nur „Schmarrn rein – Schmarrn raus“ sein, heisst ein schlechter Prozess wird durch Digitalisierung kein besserer Prozess. Der Auswahlprozess einer Technologie kann auch damit enden, dass sperrige Prozesse in bessere Prozesse umgewandelt werden. Und diese müssen möglicherweise nicht digitalisiert werden. Das würde erfordern, dass auch die Legal Tech Anbieter ihre Kunden „zwingen“ erst einmal eine Problemanalyse durchzuführen.

Welche Veränderungen werden ihrer Meinung nach auf die Arbeitsweise von In-House Counseln in den nächsten Jahren zukommen?

Jurist:innen wird immer klarer werden, dass unsere bisherige Arbeitsweise nicht mehr funktionieren wird, z.B. das Modell der Billable Hour. Die Kunden (Rechtsabteilungen) wissen mittlerweile viel zu viel selbst um sich simpel abspeisen zu lassen, sondern wollen Festpreise und eben nicht die Abrechnung nach Stunden. Es vollzieht sich aktuell auch langsam ein Wandel in den Rechtsabteilungen vom Problem-Entdecker hin zum Problemlöser. Mehr Technologie für interne Verwaltung, Kollaboration mit internen Kunden und auch Analyse- und Automatisierungsprogramme werden kommen. Nicht zu vergessen das Standardprogramme, wie Word und Excel, auch immer besser genutzt werden können, z.B. zum Vergleichen von Verträgen, da sich auch das Wissen und die Kenntnis dazu weiter durchsetzen wird.

Legal Design Thinking, als auch Visualisierung und Simplifizierung von Verträgen, sind schon zwei große Themen. Warum? Wir Jurist:innen müssen uns auch immer mehr verständlicher machen, um so auch das Vertrauen in unser Rechtssystem, als auch in die Demokratie, wieder mit herzustellen.

Sie sind eine von mehreren gewählten „European Woman of Legal Tech 2020“. Was bedeutet dieser Titel für Sie?

Zunächst hat es mich als Juristin sehr gefreut diesen wichtigen Preis erhalten zu haben. Es bedeutet für mich ein noch größeres Netzwerk gefunden zu haben, vor allem auch verstärkt mit vielen groß- artigen und diversen Frauen. Das „Thema Frauen im Recht“ ist dadurch, hoffe ich, noch sichtbarer geworden. Es ist immer noch kein perfekter Zustand, auch heute gibt es immer noch viele Kanzleien oder Rechtsabteilungen ohne nennenswerte Frauenbeteiligung. Der Preis hat mich auch nochmals zum Nachdenken gebracht als „Frau im Unternehmen“. Speziell durch den nachfolgenden Austausch mit den anderen Preisträgerinnen und anderen Frauen wurde mir erneut bewußt, dass Frauen eben oft nicht ansatzweise die gleiche Anerkennung in Unternehmen und Kanzleien bekommen wie Männer bei gleicher oder besserer Leistung. Der Preis hat mich auch angestachelt mehr als Mentorin da zu sein, speziell für junge Frauen im juristischen Bereich.

Über die Interviewte: Ines Curtius ist Volljuristin und verfügt über zwanzig Jahre Erfahrung in der Luft- und Raumfahrtindustrie auf der Verkaufs- und Einkaufsseite. Ihre Schwerpunkte sind: internationales Wirtschaftsrecht, Konzeption und Durchführung von juristischen Schulungen für Nichtjuristen, Design Thinking, Antrieb und Umsetzung von Dingen. Sie arbeitet seit 2001 in der Raumfahrtabteilung von Airbus in verschiedenen Funktionen und Bereichen.

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