Fachartikel

Der Weg zur Eigenständigkeit: IT-Outsourcing für hochspezialisierte Legal Tech-Produkte

Eine IT-Outsourcing-Story: Von der Einbindung von Outsourcing-Dienstleistern über den Einsatz von Freelancern bis zur eigenen Gründung im IT-Outsourcing.

Seit über zwei Jahrzehnten steht die Kanzlei Ritter Gent Collegen (RGC) für ihre juristische Expertise in den Bereichen Energie-, Umwelt- und Klimarecht, aber auch für ihre Legal-Tech-Produkte. Ihre Mandanten sind vor allem energieintensive Unternehmen und Verbände, aber auch innovative Startups aus der Umwelt- und Energiebranche. Das bekannteste Legal-Tech-Produkt von RGC, die RGC Manager Web-Software, wurde von Beginn an unter Zuhilfenahme von IT-Outsourcing erstellt. Hierbei durchlief RGC als Kunde die verschiedenen Settings vom Dienstleister über Freelancer bis hin zum eigenen Büro in Indien.

Die Legal Tech Lösung: Entstanden aufgrund von Mandantennachfrage und Skalierungspotential

Die Idee zur Entwicklung der RGC Manager Web-Software entstand im Jahr 2010 aus der wachsenden Nachfrage der Mandanten: Immer mehr Unternehmen benötigten Rechtskataster, Pflichtenlisten und Auswertungen von Genehmigungsunterlagen, um den komplexen Anforderungen des Energie-, Umwelt- und Klimarechts gerecht zu werden. Die Kanzlei erkannte die Notwendigkeit einer skalierbaren Lösung, die sämtliche Unterlagen und Pflichten ihrer Mandanten an einem Ort zusammenführt und eine umfassende Beratung unterstützte.

Auch heute arbeiten über zehn Rechtsanwälte und weitere wissenschaftliche Mitarbeiter in und mit der Software. Das Team setzt mittlerweile auch verstärkt auf den Einsatz von Künstlicher Intelligenz, um die Effizienz und Präzision der Lösung weiter zu verbessern. Die aktuelle vierte Version der Software, der RGC Manager 4.0, die eine umfassende Funktionserweiterung vorsieht, steht kurz vor ihrer Veröffentlichung.

Beschleunigung und Kosteneffizienz durch IT-Outsourcing: Erste Ansätze mit spezialisierten Dienstleistern

Von Beginn an setzte die Kanzlei bei der Entwicklung des Produkts auf IT-Outsourcing. Damit konnten über den gesamten Projektzeitraum im Schnitt ca. 2/3 der IT-Kosten eingespart werden, die angefallen wären, wenn man die Programmier-Leistungen vollständig in Deutschland erbracht hätte. Die Erstellung der Software hat die Kanzlei zunächst mit einem externen Software-Dienstleister begonnen, welcher von Beginn an mit Outsourcing-Dienstleistern in verschiedenen Ländern, z.B. Weißrussland und Vietnam, arbeitete. Ab 2014 war ein erstes marktfähiges Produkt in Form der RGC Manager Web-Software 1.0 erstellt. Weitere Software-Produkte folgten: Apps, SaaS-Lösungen und Rechner.

Im Jahr 2017 verortete die Kanzlei die Business-Logik und die wesentliche Backend-Entwicklung durch eigene Mitarbeiter inhouse, ab Mitte 2018 dann in einer eigens gegründeten Legal-Tech-Gesellschaft, die für die Entwicklung und den Vertrieb der Software zuständig war.

Bis in das Jahr 2021 hinein arbeitete die Kanzlei und ihre Legal Tech Einheit vornehmlich mit Entwicklern aus Vietnam mit einem zwischengeschalteten Dienstleister aus dem osteuropäischen Raum. Im Kern wurde hierbei die Backendend-Arbeit und die Businesslogik weitestgehend von Deutschland aus mit eigenen Mitarbeitern verantwortet, Frontend-Themen konnten erfolgreich ausgelagert werden. Vorteil dieses Vorgehens war, dass der Dienstleister vollständig die Verantwortung für das Sourcing von neuen Mitarbeitern, deren Einarbeitung und Fortbildung sowie Ausstattung übernahm. Der Preis wurde als Festpreis festgelegt und nur tatsächlich abgeleistete Stunden auch bezahlt, was eine maximale Kostenkontrolle ermöglichte. Die Qualität der geleisteten Arbeit war durchweg hoch, oft überdurchschnittlich. Auch das englische Sprachniveau der Programmierer in Vietnam kann mit dem von deutschen Arbeitskräften mithalten. Mit der Zeit und je mehr sich das deutsche Team und die Entwickler persönlich kennenlernten, wurde aber deutlich, dass von den Zahlungen, die an den Dienstleister geleistet wurden, nur ein Bruchteil bei den Programmierern ankam. Auch hinsichtlich der Absicherung der Arbeitskräfte und Workload fiel auf, dass die Bedingungen in bestimmten Punkten bedenklich waren.

Die Freelancer-Lösung: Besser, aber nicht gut

Anfang 2021 wechselte man schrittweise und schließlich vollständig auf den Einsatz von Freelancern aus Indien. Hier ergaben sich gegenüber der Dienstleister-Lösung Vorteile. Es gab keine zwischengeschaltete Einheit mehr, die eine große Marge für sich beanspruchte. So konnten Kostenvorteile erzielt werden und diese auch zum Teil an die beteiligten Freelancer weitergegeben werden. Die Kommunikation war direkter und die Entwickler als Selbstständige wesentlich freier in der Gestaltung ihrer Arbeitszeit und Arbeitsbedingungen und – wie sich zeigte – auch in ihrem Denken und in Bezug auf ihre Eigenständigkeit. Auf der anderen Seite lebten die als Freelancer ohne verlässliches Einkommen. Auch eine Krankenversicherung, die nicht als Company-Versicherung ausgestaltet ist, ist in Indien schwer zu bekommen. Die Freelancer-Lösung führte damit zwar zu deutlichen Qualitäts-, Kosten- und Flexibilitätsvorteilen für das Legal-Tech-Unternehmen und teilweise auch für die Entwickler, war aber dennoch nicht optimal unter sozialen Gesichtspunkten und vor dem Hintergrund des Wertesystems, welches die Kanzlei und ihre Legal-Tech-Einheit transportieren wollte.

Der Schritt in die Eigenständigkeit: Muss man denn alles selbst machen?

Mit dem Erfolg und der stetigen Weiterentwicklung der RGC Manager Web-Software reifte der Entschluss, das Projekt im vollen Umfang eigenständig zu realisieren. Nach Jahren der erfolgreichen Zusammenarbeit mit externen Partnern und Dienstleistern im Bereich des IT-Outsourcings hatte man inzwischen umfangreiche Erfahrung mit den verschiedensten Outsourcing-Destinationen, Geschäftsmodellen und Arbeitsweisen gesammelt. Damit lag es nahe, nun den Schritt zu wagen, durch eine eigene Unternehmensgründung in Indien das Outsourcing vollständig in die eigene Hand und damit auch Verantwortung für das beschäftige Personal zu übernehmen.

Im Laufe des Jahres 2021 gründeten ein Team mit RGC-Hintergrund (Florian Apel, Head of IT bei RGC Manager, Dr. Franziska Lietz, vormals Geschäftsführerin der RGC Manger GmbH & Co. KG und RGC- Mitarbeiter Raviteja Sannagiri) das Unternehmen Omnics Technologies Pvt. Ltd. in dessen Heimatstadt Hyderabad. Es handelte sich tatsächlich um die erste von Europäern mitgegründete Firma im Bundesstaat Telangana (ca. 80 Mio. Einwohner).

Zunächst glich die Arbeit, mit Ausnahme der eigenständigen und langfristig angelegten Arbeitsverträge der Arbeit mit Freelancern, denn ein eigenes Büro gab es noch nicht. Aufgrund des Lockdowns herrschte in Indien noch weitgehend Home-Office-Pflicht bzw. auch der entsprechende Wunsch der ersten Mitarbeiter. Dies änderte sich mit der Zeit und der Anstellung weiterer Mitarbeiter. So entschied man, ein geeignetes Büro in Auftrag zu geben und zu beziehen. Dies jedoch nicht in der bekannten „Tech-City“, in der viele US-amerikanische Konzerne ansässig sind, sondern „local“ in einem Viertel im Süden der Stadt, in dem tatsächlich viele Mitarbeiter beheimatet sind. Hinsichtlich der Baukosten entstanden so erhebliche wirtschaftliche Vorteile. Zudem ist die Lage sehr attraktiv für die Gewinnung von Mitarbeitern, denen stundenlange Fahrten durch die 13-Millionen-Stadt erspart bleiben. Die Bauarbeiten für das neue Bürogebäude zogen sich über ein Dreivierteljahr hin, seit Januar 2023 ist das Omnics-Team eingezogen.

So war es im Ergebnis möglich, allen Mitarbeitern ein Büro, hochwertige Ausstattung entsprechend den eigenen Standards in Deutschland, sowie eine Krankenversicherung zur Verfügung zu stellen. Auch konnte man nun selbst in die Hand nehmen und kontrollieren, dass die Mitarbeiter verlässliche Arbeits- und Pausenzeiten hatten. Auch auf die Förderung von Frauen konnte nun ein Schwerpunkt gesetzt werden: Bei Einstellung wurde gezielt nach qualifizierten Frauen gesucht und insgesamt der Fokus darauf gelegt, möglichst diverse Teams zu bilden. Um den weiblichen Mitarbeitern auch bei der Tätigkeit im Büro Sicherheit zu geben, wurde bspw. Sicherheitstechnik auf dem neuesten Stand, wie bspw. Kamera- und Alarmsysteme installiert. Auf der vertraglichen Seite wurde versucht, Elternzeitregelungen zu gestalten, die den Regelungen in Deutschland nahekommen und Mitarbeitern auch einen Wiedereinstieg in Teilzeit anzubieten.

Legal Tech Outsourcing in Indien

Die Zukunft: Wie geht es weiter?

IT-Projekte bei RGC nehmen zu und damit auch Kooperationen, sodass das für eigene Projekte tätige Personal in Indien laufend aufgestockt wird. Aber aufgrund von vielfältiger Nachfrage von Mandanten und Kooperationspartnern nach nachhaltigem und verantwortungsbewusstem IT-Outsourcing in Deutschland hat man sich entschieden, das Geschäftsmodell langfristig vom Legal-Tech-Business-Case abzulösen. Mit der Gründung der BitKollegen GmbH im Januar 2023 wird das Outsourcing-Angebot nunmehr auch Dritten zugänglich gemacht. Erste Kunden sind bspw. Startups und innovationsfreudiger Mittelstand.

Übertragbarkeit der RGC-Outsourcing-Story?

Dieser Artikel wäre nicht sinnvoll, wenn er nicht versuchen würde, seinen Leserinnen und Lesern Gelerntes und übertragbare Überlegungen mit an die Hand zu geben. Im Ergebnis ist die Entscheidung natürlich sehr individuell, ob sich ein Software-Unternehmen oder ein Legal-Tech-Startup überhaupt für das Outsourcing und sodann mit oder ohne Dienstleister entscheiden sollte. Folgende Punkte sollte man bei diesen Überlegungen im Blick behalten:

Pro und Contra IT-Outsourcing (hier dargestellt für den typischsten Fall der Dienstleister-Variante)

Warum könnte sich Outsourcing für mein Unternehmen lohnen?

  • Kostenreduktion: Ersparnis von bis zu 2/3 der IT-Kosten für die ausgelagerten Arbeiten
  • Zugang zu Fachkräften: Zielland mit großem Fachkräftepool, Unabhängigkeit vom deutschen Fachkräftemangel
  • Zeitersparnis: Schnelle Beschaffung von Mitarbeitern durch einen geeigneten Dienstleister
  • Flexibilität und Skalierbarkeit: Bedarfsgerechte Anpassung von Ressourcen mit geringem Aufwand
  • Fokussierung auf Kernkompetenzen: Durch das Auslagern von IT-Aufgaben können sich Unternehmen Effizienz und die Qualität der eigenen Arbeit steigern.

Was könnte gegen IT-Outsourcing sprechen?

  • Sicherheitsbedenken: Bedenken bei der IT-Sicherheit und beim Datenschutz. Eine sorgfältige Auswahl und Überwachung eines Dienstleisters, der in diesen Bereichen zertifiziert ist, kann aber abhelfen.
  • Kommunikationshürden: Unterschiedliche Zeitzonen und sprachliche Barrieren können die Kommunikation erschweren. Eine klare Kommunikationsstrategie und regelmäßige Abstimmungen sowie ggf. kulturelles Consulting für beide Seiten können diese Schwierigkeiten aber in den meisten Fällen aus dem Weg räumen.
  • Qualitätskontrolle: Wenn keine klaren Anforderungen und eindeutige Kommunikationswege festgelegt werden, kann die Qualität leiden und die Einflussnahmemöglichkeiten des Kunden beschränkt sein.
  • Kein Aufbau von internem Know-how und Abhängigkeit vom Dienstleister: Durch die Auslagerung von IT-Aufgaben besteht das Risiko, dass kein internes Know-how im Unternehmen aufgebaut wird. Um dies zu vermeiden, sollte möglichst Business-Logik und Backend-Entwicklung im Unternehmen verbleiben, eine Auslagerung allein von Frontend-Tätigkeiten reduziert dieses Risiko immens.

Worauf sollte man bei der Wahl eines Outsourcing-Dienstleisters Wert legen?

(Diese Punkte sind natürlich in höchsten Maßen subjektiv, da das RGC-Team letzten Endes mit seinen Dienstleistern letztlich nicht mehr zufrieden war und genau die problematischen Punkte versucht, nunmehr selbst besser zu machen. Dennoch kann die nachfolgende Liste Anhaltspunkte dafür geben, bei welchen Aspekten sich Probleme auftun können und bei der Wahl eines Dienstleisters ggf. Nachfragen geboten sind)

  • Transparenz: Inwieweit werden Arbeitsbedingungen und Konzept des Dienstleisters offengelegt? Sieht man bspw. Bilder von den Büros? Erhält man klare Angaben zur Zeiterfassung über die geleistete Arbeit? Verläuft die Kommunikation direkt mit dem Entwickler oder immer nur über einen Teamleiter, der Aufgaben dann weiterverteilt?
  • Organisation: Stellt der Dienstleister sicher, dass Personen, die als Vollzeitäquivalente angegeben werden, auch wirklich und nur für den Kunden arbeiten? Oder werden ständig Ressourcen hin- und hergeschoben, was durch die ständige neue Einarbeitung Zeit- und Qualitätsverluste mit sich bringt?
  • Kommunikation: Verfügt der Dienstleister über eine offene Kommunikationskultur? D.h. dürfen Mitarbeiter im lokalen Team Ideen und Kritik offen äußern? Dies spielt eine wichtige Rolle für die Kreativität und Teamfähigkeit im externen Projekt.
  • Diversität: Diverse Teams performen stets besser als nicht diverse. Welche Bemühungen unternimmt der Dienstleister um seine Teams divers zu halten?
  • Soziales und Nachhaltigkeit: Gerade Unternehmen, die in Deutschland das Thema Nachhaltigkeit hoch hängen oder die mittelbar oder unmittelbar dem Lieferkettengesetz unterfallen, sollten prüfen: Bestehen menschenrechtliche Risiken? Ist die Arbeitskultur möglicherweise problematisch? Unternimmt der Dienstleister genug gegen Mobbing und Harassment? Werden gleiche Gehälter für Frauen und Männer bei gleicher Qualifikation gezahlt.

Autorin: Dr. Franziska Lietz ist Rechtsanwältin in der Kanzlei Ritter Gent Collegen, war von 2018-2021 Geschäftsführerin der RGC Manager GmbH & Co. KG und ist Mitgründerin der IT-Outsourcing-Unternehmen Omnics Technologies Pvt. Ltd. und Bitkollegen GmbH.

Autor: Florian Apel ist Head of IT bei der RGC Manager GmbH & Co. KG, sowie Mitgründer der IT-Outsourcing-Unternehmen Omnics Technologies Pvt. Ltd. und Bitkollegen GmbH, sowie Geschäftsführer der letzteren.

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