Fachartikel

Der globale Legal Tech / Reg Tech Markt – Gestärkt aus der Krise?

Das deutsche Legal/Reg Tech Startup LEX AI hat vor kurzem einige Zahlen über die Unterschiede zwischen Großkanzleien in den USA, UK, Deutschland, der Schweiz aber auch in Asien veröffentlicht. Auch der Status des LegalTech Marktes wurde durch einige Fakten beleuchtet. Das Legal Tech Verzeichnis sprach mit Maik Neubauer, Co-Founder und Commercial Officer von LEX AI.

Herr Neubauer, wie schätzen Sie den Legal Tech Markt aktuell sowie die weiteren Entwicklungen ein?

In den letzten Jahren haben starke Kräfte den Markt der Rechtsberatung für Unternehmen umgestaltet. Die „neue Normalität“ ist gekennzeichnet durch einen höheren Preisdruck, der von Kunden auf Kanzleien ausgeübt wird, die Aufteilung ehemals homogener Rechtsdienstleistungen in verschiedene Tätigkeiten und das zunehmende Outsourcing von Rechtsprozessen. Auch wenn die großen Kanzleien immer noch sehr viele Tätigkeiten entlang der rechtlichen Wertschöpfungsketten mit internen Spezialisten und eigenen Ressourcen umsetzen, ist der Einsatz von integrierten Technologielösungen unabdingbar, um die Produktivität der Mitarbeiter weiter zu steigern und somit Rechtsdienstleistungen schnell, mit der erwartenden hohen Qualität aber auch zu akzeptablen Kosten anzubieten.

Wie gross ist denn aktuell der globale Markt fuer Legal/Reg Tech Lösungen?

Im Zuge unserer Potenzialanalysen haben wir uns die Fakten zum Legal Tech Markt global angesehen und mit vielen internationalen Kanzleien aber auch Rechtsabteilungen in großen Unternehmen gesprochen. Das Gesamtvolumen im Jahr 2022 wird auf ca. 20,8 Milliarden USD geschätzt. Der US-amerikanische Markt nimmt mit 9,2 Mrd. dabei immer noch fast 50% des Weltmarktes ein. Europa und Asien holen langsam auf. Auch wenn die USA bei der Einführung und Nutzung von Legal/Reg Tech Lösungen immer noch Vorreiter sind, sind sie nach unserer Einschätzung aber nicht unbedingt Produktivitätsweltmeister. Neben den Technologiekosten haben wir uns auch die Umsatz-, Mitarbeiterstrukturen und Kostenstrukturen der Großkanzleien angeschaut. Bemerkenswert ist hier, dass US-Kanzleien im Schnitt ca. 9 Mitarbeiter pro Equitypartner beschäftigen – Kanzleien in Deutschland/Europa aber „nur“ durchschnittlich 4 Mitarbeiter.

Wo sehen Sie die Haupttreiber für den Einsatz Legal/Reg Tech?

Einer der Megatrends, der die Arbeitsabläufe und Geschäftsmodelle verändert, ist die massenhafte Digitalisierung juristischer Daten. Das Volumen der in der Rechtsberatung verwendeten Daten hat exponentiell zugenommen – ein Muster, das auch in anderen Branchen schon vor Jahren zu beobachten war. In Zukunft wird die Fähigkeit, erhebliche Datenmengen zu sichten, zu analysieren und zu interpretieren, für den Erfolg von Anwaltskanzleien ebenso entscheidend sein wie die „Kunst“ der Rechtsberatung selbst. Neben den fallbasierten Daten wird aber auch die Komplexität in der zugrundeliegenden Regulierung – sowohl international aber auch national – weiter rapide ansteigen. Allein auf EU-Ebene erscheinen jedes Jahr mehr als 2000 neue Regulierungen und mehr als 600 werden ersetzt oder modifiziert. Die Umsetzung in nationale Rechtsakte durch die europäischen Mitgliedstaaten multipliziert den Grad der Komplexität noch einmal. Ohne Unterstützung durch Technologien und KI-Modelle haben nicht einmal Großkanzleien mit Hunderten von Mitarbeitern die Chance, diese Menge an täglichen News und Daten zu beherrschen. Mit diesem Zielfokus haben wir in 2021 unser Unternehmen LEX AI gegründet.

Wieso tun sich insbesondere Kanzleien so schwer mit der Einführung von neuen Technologien?

Das hat verschiedenste Gründe. Zum einen ist die juristische Ausbildung in Deutschland aber auch in Europa immer noch sehr wenig „digitalisiert“ und selbst junge Anwälte gehen mit einer gewissen Hemmschwelle in Ihr erstes Berufsjahr. Aber auch erfahrene Juristen und Partner nehmen sich – meist aufgrund der hohen Arbeitsbelastung – kaum die Zeit sich über verfügbare Technologien und Lösungen zu informieren. Glücklicherweise treffen wir aber zunehmend bei unseren Gesprächen mit Kanzleien, aber auch mit Rechtsabteilungen immer wieder auf spezialisierte Knowledge Lawyer und Legal Tech Verantwortliche, die systematisch den Markt untersuchen und sich über Pilotprojekte an neue Technologien wagen. Generell ist der Legal/Reg Tech Markt sehr stark gewachsen aber auch weiterhin stark fragmentiert, das heißt es gibt viele Lösungen und Technologieansätze, die nur schwer miteinander verbunden und integrativ genutzt werden können. Diese „Integrationshürde“ ist eines der wesentlichen Probleme bei der Akzeptanz von Legal/Reg Tech.

Sehen Sie in der aktuellen wirtschaftlichen Situation eine Gefahr für die Entwicklung des Legal Tech Marktes?

Wenn man aktuellen Zahlen Glauben schenken darf, ist das Investitionsvolumen in Legal/Reg Tech Segment in der ersten Hälfte 2022 um 40% zum Rekordjahr 2021 zurückgegangen. Der LegalTech Markt „surft“ daher mit dem Venture Capital Gesamtmarkt mit – und so zunächst erst einmal ins Wellental.
Generell sehen wir aber bei unseren Gesprächen mit Investoren und Kunden weiterhin ein hohes Interesse bei innovativen, technologie- und plattformorientierten Geschäftsmodellen einzusteigen. Insbesondere das professionelle B2B-Segment von Legal Tech Anwendungen hat immer noch einen erheblichen Nachholbedarf. Selbst mit minimalen Effizienzgewinnen durch den Einsatz von Technologie können Kanzleien erhebliche Kostenpotentiale hebeln. Wir sehen beispielsweise im Bereich Legal Research & Wissensmanagement, auf das wir uns mit unserer Plattform LEX AI spezialisiert haben, Optimierungspotentiale von bis zu 75% der eingesetzten Kapazitäten und somit die Chance erhebliche Opportunitätskosten, die heute meist nicht an Mandaten weiterberechnet werden können, zu reduzieren und so die neu gewonnenen Zeiten wieder „billable“ im Beratungs- und Business Development einzusetzen. Auf globaler Ebene sprechen wir von Einsparungspotentialen in Milliardenhöhe – und das Jahr für Jahr. Die dafür im Vergleich einzusetzenden IT-Budgets sind verschwindend gering. Aber es gilt auch hier – der erste Schritt ist der schwerste.

Was ist fuer Sie eine optimale IT Landschaft im Bereich Legal/Reg Tech?

Es gibt sicherlich keine Legal Tech Benchmark-Architektur, da alle Kanzleien aber auch Rechtsabteilungen in Unternehmen mit verschiedensten IT-Strukturen – meistens historisch bedingt – arbeiten. Generell gibt es aber 3 Ebenen, die zu beachten sind. Die unterste Ebene ist sehr stark technologiegetrieben und besteht aus IT Infrastruktur, Daten/Cloud-Lösungen, Schnittstellen/APIs und der IT-Security. Die zweite Ebene ist eher eine Workflow-Engine und unterstützt beispielsweise das unternehmensübergreifende Prozess-, Dokumenten-, Wissens- und Fallmanagement. Hier arbeiten viele Firmen bereits mit NoCode- oder LowCode Lösungen und „bauen“ sich ihre wesentlichen Workflows selbst. Die dritte Ebene enthält dann die eigentlichen, meist hochspezifischen Legal Tech Anwendungen, die eigentlich auf den ersten zwei Ebenen aufbauen sollten. Hier kommt aber wieder die genannte „Integrationshürde“ ins Spiel. Aus meiner Sicht sollten moderne Legal/Reg Tech Lösungen zudem aktuellen Designkriterien und Standards folgen, das heißt – Datenhaltung in einer (möglichst sicheren) Cloud-Infrastruktur, eine unternehmensweit erreichbare Software-as-a-Service (SaaS) Architektur sowie die Nutzung von Userinterfaces, welche innovative LegalDesign Ansätzen unterstützen und dabei verschiedenen Endgeräte (Mobiles, Tablets & Desktops) in einem hybriden Nutzungsverhalten verbinden. Auf diesen modernen Plattformen werden zudem KI und NLP Modelle Standard werden, um weiter ansteigende Datenmengen zu verarbeiten.

Es gibt also Ihrer Meinung nach keine Alternativen zu einem Einsatz von modernen Legal/Reg Tech Anwendungen?

Die „Alternative“ kann nur darin bestehen noch mehr „Human Capital“ in Prozessketten einzusetzen, um schnell viele Dokumente zu bearbeiten, zu sortieren, zusammenzufassen und die wesentlichen Inhalte intern oder an Mandanten weiterzugeben. Dieser Ansatz ist aber nicht skalierbar und gut ausgebildete Associates oder wissenschaftliche Mitarbeiter werden sich nicht mehr auf „Massendatenverarbeitung“ bewerben. Daher gibt es keine Alternative zur intelligenten Integration von Legal Tech. Bei dieser Adaption stehen wir aber immer noch relativ weit am Anfang.

Herr Neubauer, vielen Dank für das Interview und weiterhin viel Erfolg.

Interviewter: Maik Neubauer ist Co-Founder und Commercial Officer von LEX AI, einem deutschen Legal Tech Startup mit Sitz in Hamburg. Er arbeitet seit vielen Jahren als Berater und in Managementpositionen in der Europäischen Energie- und Finanzwirtschaft mit Schwerpunkt der strategischen Umsetzung von EU-Regulierung. Er studierte Informatik, Internationales Management sowie International & European Business Law an der Universität St. Gallen. LEX AI bietet eine KI gestuetzte Research- und Wissensmanagementplattform für internationale und nationale Regulierung.

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