FachartikelLegal KI & ChatGPT

Bringt uns KI endlich die erste große Verbraucherrechtsmarke?

Seit Jahren positionieren sich große Kanzleien wie rightmart, Gansel Rechtsanwälte, Ghendler Ruvinskij und andere, um den Sprung von einer Spezialkanzlei für Sonderschäden wie Dieselskandal, Kreditwiderruf oder PKV-Beiträge zu einer bundesweiten Verbraucherrechtsmarke zu vollziehen.

Woran scheiterte das bisher? Das effiziente, technikgestützte Abarbeiten von Massenfällen mit gleichen oder ähnlichen Sachverhalten lässt sich nicht auf den überwältigenden Teil der heterogenen Rechtsprobleme der Menschen übertragen. Schon ein simpler Gewährleistungsfall, wie er in normalen Kanzleien täglich hundertfach vorkommt, kann in diesen auf Standardisierung getrimmten Kanzleiboliden nicht kostendeckend, geschweige denn gewinnbringend abgearbeitet werden. Solange dieses Problem besteht, verbietet sich wegen der Streuverluste jeder Gedanke an große Mediakampagnen, um eine bundesweite Verbraucherrechtsmarke aufzubauen und zu positionieren. Könnte dies vielleicht eine Chance für die totgesagten rechtlichen Marktplätze und Künstliche Intelligenz sein? Ist das unter Umständen die Lösung für die 95% Nicht-Sonderschäden, die bei einer Verbraucherrechtsmarke in den Trichter fließen würden?

AI, da kommt was auf uns zu!

Es vergeht kaum ein Tag, an dem wir in unserer Legal-Blase nicht mit einer Meldung über den Einsatz Künstlicher Intelligenz in der Juristerei konfrontiert werden. So erklärte uns Tom Brägelmann, dass wir Juristen nicht abgeschafft würden, aber langweilige Tätigkeiten bald der Vergangenheit angehören. In der Libra diskutierten drei Hochschullehrende, dass es durch Tools wie ChatGPT, in der Zukunft vermutlich schwerer werde, Plagiate aufzudecken. Aber werden KI-gestützte Chatbots wie ChatGPT oder Lösungen wie Prime Legal AI in Zukunft die Rechtsfragen der Mandanten lösen können?

Fangen wir doch erst einmal an, den Hype der letzten Monate zu erfassen. Seit der Vorstellung von ChatGPT am 30.11.2022 meldet sich ein Experte nach dem anderen, um uns zu erklären, was der Chatbot von OpenAI nun gerade kann oder nicht kann. Doch was ist ChatGPT überhaupt?

ChatGPT ist ein sogenannter Chatbot (textbasiertes Dialogsystem), der auf einem Large Language Modell (LLM) basiert, nämlich dem Sprachmodell GPT-3.5 des Anbieters OpenAI. Diese Modelle werden trainiert, um menschenähnliche Texte zu generieren, die von echtem menschlichen Schreibstil nahezu nicht mehr zu unterscheiden sind. Diese Technologie könnte in Zukunft auch in der Rechtsberatung genutzt werden, um Fragen automatisiert zu beantworten oder Rechtsdokumente zu erstellen. Das Training von ChatGPT erfolgte in drei Schritten, was wiederum Rückschlüsse auf die Stärken und Schwächen des Systems zulässt.

Im Schritt eins war die Aufgabe während einer Texteingabe das jeweils nächste Wort vorherzusagen. Die Datenbasis, die dem System zur Verfügung stand, kam aus Wikipedia, Online-Diskussionsforen, Social Media und diversen anderen Online-Publikationen.

In Schritt zwei wurde das Modell für die eigentliche Aufgabe trainiert, nämlich dem Beantworten von Fragen. Hierfür wurden dem System vorgefertigte Antworten zu Verfügung gestellt.

Beim letzten Schritt wird das System um ein weiteres Modell erweitert, in dem die möglichen Antworten bewertet und in eine Rangliste gebracht werden.

Die Stärke der LLM’s in Verbindung mit einem Chatbot liegt ganz klar in der Fähigkeit zur Beantwortung von Fragen. Allerdings ist das Ergebnis trainingsbedingt auch immer nur so gut wie die Trainingstexte aus dem LLM. Sind die Texte zu allgemein oder verfügen diese über zu wenig oder gar kein Domänenwissen, so werden auch die Antworten des Chatbots ungenau, ungeeignet und falsch sein. Die bisherigen Trainingstexte stammen maßgeblich von Wikipedia, wo besonders im deutschsprachigen Teil oftmals die Jurisdiktionen aller deutschsprachigen Länder behandelt werden. Die Rechtslage ist daher oftmals widersprüchlich zwischen den Ländern. Es liegt auf der Hand, dass damit auch die bisherigen Ergebnisse von ChatGPT häufig falsch sein können, obwohl sie sehr überzeugend klingen.

Der Schlüssel zur richtigen Beantwortung von Rechtsfragen liegt daher in den Trainingsdaten, was folglich zur großen Chance für Firmen und Kanzleien werden könnte, die über große relevante Datenmengen verfügen. Über einen solchen Datenschatz verfügt beispielsweise unsere Legaltech-Firma QNC, die auf frag-einen-anwalt.de bereits über 300.000 Rechtsfälle in über 50 Rechtsgebieten gelöst hat. Während unser hauseigenes KI-System nur Textausschnitte liefert, die bei der Beantwortung von neuen Fragen hilfreich sein kann, könnte nun ein Large Language Model in Kombination mit einem Training mit den frag-einen-anwalt.de Daten Fragen auch laienverständlich beantworten. Zusammen mit dem bestehenden und eingespielten Anwaltsnetzwerk wären rechtliche Marktplätze wie unsere in der Lage, die restlichen 95% heterogener Rechtsfragen zu beantworten, die bei einer bundesweiten Verbraucherrechtsmarke anfallen würden.

Man braucht nicht viel Fantasie, um sich vorzustellen, welche Rolle LLM’s, große Datenmengen an relevanten rechtlichen Texten, KI-Tools wie ChatGPT oder Prime Legal AI und Marktplätze spielen werden. Die Karten wurden mal wieder neu gemischt, der Markt der Rechtsberatung bleibt im Wandel.

Folgend noch die Einschätzung der KI selbst, die sehr viel kritischer mit sich selbst ist. Vielleicht, um uns die Angst zu nehmen?

„Es gibt auch Bedenken hinsichtlich der Qualität der Beratung durch KI-Tools. Einige befürchten, dass KI-Systeme nicht in der Lage sein werden, den menschlichen Aspekt der Rechtsberatung zu ersetzen, wie zum Beispiel Empathie und das Verständnis der individuellen Bedürfnisse von Klienten. Ein weiteres Problem ist, dass KI-Tools die menschliche Interpretation von Informationen möglicherweise nicht vollständig erfassen können.“

Autor: Michael Friedmann, Jahrgang 1974, Rechtsanwalt und Gründer der Legaltech-Firma QNC mit den Plattformen 123recht.de, frag-einen-anwalt.de und primelegal.de. Er beschäftigt sich seit über 20 Jahren mit der digitalen Leistungserbringung in der Rechtsberatung. Herr Friedmann ist darüber hinaus Lehrbeauftragter der Leibniz-Universität Hannover und Universität Wien für „Legal Tech und Künstliche Intelligenz im Recht“.

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