Fachartikel

Bremsklötze der Digitalisierung – was Kanzleien an der digitalen Transformation hindert

Kaum ein Monat vergeht, in dem nicht eine weitere, neue Softwarelösung veröffentlicht wird, die verspricht, die juristische Arbeit zu unterstützen oder sie mit Künstlicher Intelligenz gar zu revolutionieren. Obwohl es nie leichter war Regale voller Akten gegen den Rechner zu tauschen, geht die Digitalisierung in vielen Kanzleien nur schleppend voran.

Was bei den Diskussionen um dieses Phänomen auffällt: Der Fokus liegt überwiegend auf der Frage, was regulatorisch und technisch möglich oder nicht möglich ist. Doch Digitalisierung ist mehr als nur ein technisches Upgrade. Tatsächlich umfasst sie die gesamte Unternehmensstruktur und -kultur und beeinflusst Arbeitsroutinen gleichermaßen wie Geschäftsmodelle. Möchte man verstehen, was die digitale Transformation im deutschen Rechtsmarkt ausbremst und an den richtigen Stellen nach zukunftsfähigen Lösungen suchen, ist ein ganzheitlicher Blick auf die Hemmnisse entscheidend.

Entwicklung einer Digitalisierungs- und KI-Strategie

Als Startpunkt für eine gelingende digitale Transformation steht in der Regel eine ganzheitliche Strategie. Die Entwicklung eben jener stellt jedoch für viele Kanzleien eine signifikante Herausforderung dar. Häufig fehlt es hier an einer klaren Vision für den Einsatz von Legal Tech und KI, was teilweise auf unzureichendes technisches Verständnis, eine mangelhafte Einschätzung der eigenen Bedürfnisse und Möglichkeiten, aber auch auf generelle Unsicherheiten bezüglich der zukünftigen Entwicklung der Rechtstechnologie zurückzuführen ist. In der Folge gibt es noch viel zu oft keine verschriftlichten Strategien und damit keinen klaren Rahmen, um konkrete Digitalisierungsmaßnahmen zielgerichtet umzusetzen.

Kostenfaktor Digitalisierung

Die Einführung von KI-Systemen und digitalen Plattformen ist zum Teil mit hohen Kosten verbunden. Dies umfasst nicht nur die direkten Kosten für Soft- und Hardware, sondern auch für die Integration dieser Systeme in die bestehende IT-Infrastruktur sowie Schulungsmaßnahmen für Mitarbeiter. Hinzu kommen laufende Betriebskosten wie Lizenzgebühren, Wartungskosten, Updates und möglicherweise für Cloud-Speicher oder zusätzliche IT-Sicherheitsmaßnahmen. Diese wiederkehrenden Ausgaben können sich im Laufe der Zeit erheblich summieren. Zum Schluss bleibt das finanzielle Risiko von Fehlinvestitionen. Denn nicht jede technologische Investition führt zu den erhofften Effizienzsteigerungen oder Wettbewerbsvorteilen. Insbesondere für kleinere Kanzleien stellen diese Investitionen eine erhebliche finanzielle Belastung dar.

Einfluss auf das Preismodell

Ziel der Digitalisierung ist es unter anderem, Aufgaben schneller zu bewältigen. Was ein Segen für administrative Tätigkeiten darstellt, bedeutet einen Zielkonflikt für die „Billable Hours“. Denn Digitalisierung heißt hier – isoliert betrachtet –, hohe Summen in eine Technologie zu investieren, die zu sinkenden Einnahmen führt. Nach dieser Betrachtung löst der Einsatz echter Legal Tech-Produkte zunächst einmal keine Probleme, sondern schafft auf den ersten Blick vielmehr welche. Dies führt wiederum dazu, dass Maßnahmen zur Effizienzsteigerung ausbleiben. Neue Lösungsansätze, wie wertbasierte Preismodelle, die sich stärker an dem tatsächlichen Wert der erbrachten Dienstleistung für den Mandanten orientieren oder Pauschalpreise und Flatrate-Modelle für bestimmte Standarddienstleistungen werden zwar zunehmend diskutiert, sind bis heute jedoch nicht konsensfähig gelöst. Zugleich lässt sich zunehmend beobachten, dass Mandanten ihrerseits den Einsatz von Legal Tech aktiv einfordern und damit verbunden entsprechende Preiserwartungen aufbauen.

Wer bis jetzt also noch keine Lösung für sich erarbeitet hat, wie Investitionskosten sowie mögliche Effizienzsteigerungen in die Preisgestaltung einfließen sollen, steht vor gleich mehreren Herausforderungen, die auf nicht wenige Kanzleien lähmend wirken: Zum einen unter steigendem Zeitdruck den Wert der eigenen Leistung ganz neu zu bewerten, anschließend ein zukunftsfähiges Preismodell zu entwickeln und zu guter Letzt Mandanten davon zu überzeugen.

Kritischer Faktor Zeit

Die Digitalisierung erfordert erhebliche Zeitinvestitionen. Bevor von Effizienzgewinnen profitiert werden kann, müssen zunächst Arbeitsstunden dafür aufgebracht werden eine geeignete Technologie zu suchen, zu testen und auszuwählen. Anschließend muss sie eingeführt und an die individuellen Bedürfnisse sowie die Arbeitsabläufe angepasst werden und schließlich intensiv geschult sowie neue Arbeitsroutinen eingeübt werden. Dieser Implementierungsprozess stellt viele Kanzleien vor ein Dilemma, weil er mit dem laufenden Betrieb koordiniert werden muss und direkt mit dem produktiven Tagesgeschäft konkurriert. Partner in Kanzleien müssen sich somit zwischen Mandatsarbeit und der Einführung neuer Technologien entscheiden, was oft zu Lasten der Digitalisierung geht.

Auswirkungen auf Arbeitsabläufe

In vielen Kanzleien sind die Geschäftsprozesse historisch gewachsen und tief in der Kultur der Kanzlei verankert. Dies reicht von der Mandantenakquise und -betreuung über die Dokumentenverwaltung bis hin zur Abrechnung und dem Reporting. Was bei der Implementierung neuer Software jedoch oft nicht geeignet berücksichtigt wird: Die Veränderung an einer Stelle des Prozesses wirkt sich mitunter auf den gesamten Ablauf aus. In der Folge können neue Probleme entstehen, die die Effizienzgewinne neutralisieren. Zum anderen kann Technologie allein keine ineffizienten Prozesse verbessern. Gerade dort, wo prozessuales Denken noch wenig verbreitet ist und die einzelnen Arbeitsschritte kaum dokumentiert sind, ist zu beobachten, dass Abläufe zwar digitalisiert, aber mitunter nicht grundsätzlich neu gedacht werden. In der Folge werden Chancen der Digitalisierung nicht realisiert und im schlechtesten Fall eine Rückkehr zu altvertrauten, manuellen Routinen befördert.

Faktor Mensch

Die Digitalisierung beginnt und endet mit Menschen. Für Kanzleien bedeutet dies, dass Maßnahmen nur dann erfolgreich sind, wenn sie es schaffen, Mitarbeiter für das Vorhaben zu gewinnen. So weit so bekannt und ausgiebigst erforscht. Dennoch scheitert die Einführung neuer Technologien nach wie vor regelmäßig an menschlichen Widerständen. Sei es, weil sich gewohnte Abläufe zu plötzlich und unkommentiert ändern, die Wirksamkeit neuer Technologien infrage gestellt wird oder Ängste vor einer Beeinträchtigung der Mandantenbeziehung bestehen.

Darüber hinaus gibt es Aspekte der juristischen Arbeit, die sich schwer automatisieren lassen. Dazu gehören menschliche Intuition, Empathie und Kreativität – Fähigkeiten, die insbesondere in komplexen Rechtsfällen und bei der direkten Mandantenberatung unerlässlich sind. Die Herausforderung besteht nun darin, ein Gleichgewicht zwischen technologischer Effizienz und menschlichem Urteilsvermögen zu finden.

Traditionelle Organisationsstrukturen

Die Strukturen in Kanzleien sind häufig durch eine starke Hierarchie und eine klare Trennung der Verantwortlichkeiten gekennzeichnet. Während diese Merkmale in der Vergangenheit zur Stabilität und Effizienz beitrugen, erweisen sie sich im Kontext der Digitalisierung als hinderlich. Denn die Einführung neuer Technologien und Arbeitsweisen erfordert Flexibilität und eine bereichsübergreifende Zusammenarbeit, die in starren Hierarchien schwer umzusetzen sind. Darüber hinaus können sie den Informationsfluss innerhalb der Kanzlei behindern. In einer Welt, in der schnelle Anpassungen und kontinuierliches Lernen entscheidend sind, kann dies die Fähigkeit einer Kanzlei, effektiv auf die Herausforderungen der Digitalisierung zu reagieren, erheblich einschränken.

In vielen Kanzleien werden Entscheidungen zudem von einer kleinen Gruppe von Partnern getroffen, die unter Umständen nicht über das erforderliche technische Verständnis verfügen oder der Digitalisierung skeptisch gegenüberstehen. Dies kann zu folgenschweren Verzögerungen oder sogar zur Ablehnung notwendiger Innovationen führen.

Fazit

Die Einführung neuer Technologien in Kanzleien öffnet ein breites Spektrum an Handlungsfeldern und unterstreicht die Notwendigkeit einer interdisziplinären Zusammenarbeit. Daher ist es essenziell, dass Fachexperten aus verschiedenen Bereichen ihre Kräfte bündeln, um den vielschichtigen Herausforderungen der Digitalisierung wirkungsvoll zu begegnen.

Autorin: Sofie Dittmer ist als Digital Transformation Managerin in einer Hamburger Kanzlei tätig. Dort setzt sie Digitalisierungsprojekte um und ist zugleich zuständig für die Erhebung und Optimierung von Prozessen. Als studierte Wirtschaftsinformatikerin steht sie an der Schnittstelle zwischen Mensch und Technik, wo sie versucht, beide Seiten aufeinander abzustimmen.

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