Fachartikel

Blockchain für fälschungssichere Landtitel – Wo die Technologie an ihre Grenzen kommt

Als Distributed-Ledger-Technologie bergen Blockchains in der Wahrnehmung vieler das besondere Potenzial, nicht nur wirtschaftlichen Mehrwert zu bringen, sondern auch administrative Prozesse zu vereinfachen, transparenter und effizienter zu machen. Schnell lässt sich vermuten, dass eine neue Technologie derart hohe Erwartungen nicht ohne Weiteres einlösen kann. Und dennoch: Zumindest für den Landsektor bewies Georgiens Nationale Agentur für das Öffentliche Register dieses Potenzial, indem sie seit 2017 digitale Landtitel mit Hilfe der Bitcoin-Blockchain fälschungssicherer speichert. Unter anderem inspiriert von diesem Unterfangen versuchen sich nun auch andere Staaten in der Anwendung der Technologie für ihre Katastersysteme. Der Anwendungsfall birgt jedoch Risiken und lässt sich, wie die Erfahrung des Blockchain Lab der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) GmbH in Bangladesch zeigt, nicht in allen Szenarien mit ähnlichem Erfolg wie in Georgien umsetzen.

Was die Technologie für den Landsektor leisten könnte

Im Kern soll die Nutzung einer Blockchain die Möglichkeit der Fälschung von Landtiteln reduzieren. Im Falle eines Kaufes würde dem neuen Eigentümer ein digitaler Landtitel ausgestellt werden, welcher eine Art digitalen Stempel enthält. Über diesen kann die Authentizität und der Inhalt des Titels überprüft werden.

In der Praxis bedeutet dies, dass bei der Erstellung des digitalen Landtitels dessen Inhalte in Form eines Hashcodes – also einer algorithmischen Quersumme – auf einer Blockchain gespeichert würden. Dieser Hashcode enthält auch Angaben zum Zeitpunkt der Speicherung, sodass nachträgliche Änderungen offensichtlich würden. Durch die Angabe des Hashcodes auf dem ausgestellten digitalen Landtitel kann der Eigentümer oder Dritte mit Einblick in das Dokument auf ein Portal weitergeleitet werden, welches die Daten des vorliegenden Titels mit dem auf der Blockchain gespeicherten Code abgleicht und so die Korrektheit verifiziert. Nachträgliche Änderungen, Manipulation oder Fälschungen fielen sofort auf, da Diskrepanzen durch den Kontrollmechanismus aufgedeckt würden.

Die Herausforderungen in Bangladeschs Landsektor

Basierend auf der Erfahrung, die die GIZ im Auftrag des Bundesentwicklungsministeriums gemeinsam mit der georgischen Nationalen Agentur für das Öffentliche Register sammelte, erreichte das GIZ Blockchain Lab Mitte 2019 die Anfrage, den in Georgien erprobten Ansatz auch für Bangladesch zu testen. Das Digitalisierungsprogramm der bangladeschischen Regierung, Access to Information (a2i), und das lokal ansässige Start Up Digiland erörterten bereits den technologischen Mehrwert, suchten aber nach einer Validierung des für Bangladesch maßgeschneiderten Anwendungsfalls. Im Zuge einer einwöchigen gemeinsamen Mission und vorhergehender Recherche kollaborierten die Organisationen also für die Erarbeitung eines möglichen Ansatzes. Dieser – und so viel sei vorweggenommen – basierte schlussendlich jedoch nicht mehr auf der Blockchain-Technologie, sondern einer Reihe an anderen Ansätzen, die in einem nutzerzentrierten Prozess entwickelt wurden.

Der private Landsektor in Bangladesch und das Registrierungssystem sind seit Jahrzenten auf mehrere Arten besonders belastet: Nahezu 80% der aktuellen Rechtsstreitigkeiten sind in Landkonflikten begründet. Die Bearbeitung solcher Fälle kann sich über mehrere Jahrzehnte erstrecken. Außerdem beklagt die bangladeschische Bevölkerung weitere Schwierigkeiten im Sektor: 42.5% der Haushalte, die öffentliche Eintragungen wie Eigentumsüberschriften, Ehen oder ähnliches vornehmen ließen, waren laut Transparency International bei diesen Vorgängen von Korruption betroffen.

Die Konflikte um Landtitel kommen nicht von ungefähr. Generell reflektiert die Verteilung von Landeigentum auch in Bangladesch gesellschaftliche Ungleichheiten. In ländlichen Gebieten besitzen beispielsweise 13% der Haushalte gar kein Land. Im urbanen Raum teilen sich 70% der Bevölkerung nur 20% der Wohngebiete. Damit ist der Zugang zu Land und zu formalisierten Landübertragungsprozessen einer begrenzten Gruppe vorbehalten. Doch auch für diese Bevölkerungsgruppe, die Zugang zu Land hat und Landtitel vorweisen kann, ist das aktuelle System auf verschiedene Weisen anfällig. Drei der gängigsten Konflikte betreffen Mehrfachverkäufe, strittige Grundstücksgrenzen und Dokumentenfälschungen:

  • Mehrfachverkäufe ergeben sich aufgrund der fehlenden Informationen für Käufer über den kürzlich erfolgten Verkauf eines Grundstücks und die zeitliche Verzögerung in der Umschreibung eines Titels. Außerdem finden der Verkauf und die Umschreibung in verschiedenen Silos der Verwaltungsstruktur statt. Dies ermöglicht es böswilligen Verkäufern, ihr Eigentum mehrfach zu veräußern. In Bangladesch ist es die Norm, Zahlungen für erworbenes Land zu tätigen, bevor Einträge des Landtitels geändert werden.
  • Grundstücksgrenzen stimmen in der gelebten Realität vielerorts nicht mit den existierenden Flurkarten überein. Über Jahre haben sich Grundstücke verändert, wurden unterteilt, erweitert – und dies oft auf informelle Weise. Angesichts des hohen Bevölkerungswachstums, der hohen Bevölkerungsdichte und Herausforderungen wie Migrationsbewegungen u.a. durch den Klimawandel kommen behördliche Kapazitäten schnell an ihre Grenzen. Vermessungsprozesse finden über mehrere Jahre statt und parallel werden alte Flurkarten weitergenutzten – selbst wenn schließlich neue Karten erarbeitet wurden. Auf diese Weise fehlt ein definitiv gültiger Bezugspunkt, der der eindeutigen Definition des jeweiligen Eigentums dient.
  • Dokumentenfälschung individueller Landtitel durch vermeintliche Verkäufer ist nicht nur weit verbreitet, sondern gestaltet sich auch verblüffend einfach. Die verschiedenen Ämter mit Kopien der authentischen Landtitel sind auf verschiedenen Ebenen in Landübertragungs- und Vermessungsprozesse involviert. Aktualisierungen finden daher asynchron und teilweise nicht in allen Archiven statt. Über die Jahre entstanden so Diskrepanzen in wichtigen Daten, die nun zum Konflikt führen können. Auch hindert dies Käufer daran, ihnen vorgelegte Landtitel verifizieren zu können, die durch Verkäufer manipuliert worden sein könnten.

GIZ Blockchain
Abbildung 1: Schematische Darstellung des Landübertragungsprozess und typischer Konflikte; Kathian ist die Bezeichnung für Landtitel in Bangladesch

Die Lücke zwischen Blockchain und Realität

Obwohl Blockchain-Technologie von Unternehmen oft als Antwort auf Schwierigkeiten in der Buchführung angepriesen wird, stellen die genannten Ursachen für Landkonflikte die bangladeschische Verwaltung vor besondere Probleme, die bei einer eventuellen Einführung der Technologie in den Sektor zu beachten wären. In der Tat ist es generell möglich, durch Blockchain die Fälschbarkeit von Landtiteln zu reduzieren. Hierfür müssten digitalisierte Landtitel durch einen Hashcode auf einer Blockchain zusätzlich gesichert werden. Doch welche Landtitel sollten so geschützt werden, wenn unklar ist, welcher der zum Teil mehrfach ausgestellten Titel für ein Grundstück eigentlich korrekt ist? Oder wie soll ein Landtitel fälschungssicher gespeichert werden, wenn aktuell ein Rechtsstreit über diesen Titel vorliegt? Liegt überhaupt der notwendige Anreiz für einen hierfür notwendigen systemischen Wandel vor?

Die vorliegende Diskrepanz zwischen offiziellen Dokumenten und die resultierenden Konflikte bieten keine ausreichende Basis, um ausgewählte Landtitel mit Hilfe von Blockchain abzusichern. Stattdessen würde diese vermeintliche Absicherung dazu führen, dass eine arbiträre Selektion von Titeln zur neuen Wahrheit des Landregistrierungssystems würde und Konflikte verschärft oder irrtümlicherweise als gelöst angesehen würden. Die weiteren Probleme des Mehrfachverkaufs und der Grundstücksgrenzen würden in diesem Fall nicht umfassend oder gar nicht angegangen, obwohl sie – basierend auf ersten Eindrücken – weit verbreitet sind und dadurch dringend behoben werden sollten. Systemische Schwierigkeiten in der Landrechteverwaltung, wie die generelle Ungleichheit, wären in einen Blockchain-basierten Lösungsansatz nicht einbezogen oder blieben unbeachtet.

Der Erkenntnis, dass das bangladeschische Landregistrierungssystem aufgrund bisweilen unklarer Dokumentenlagen nicht ohne Weiteres mit Hilfe einer Blockchain digitalisiert werden kann, liegt eine wichtige Grundeinsicht zur Technologie zu Grunde: Eine Blockchain verbessert nicht die Datenqualität, sondern die Datenintegrität. Wenn die Datenlage vom Ausgangspunkt an ungenügend oder gar strittig ist, wird diese nicht dank der Technologie verbessert. Blockchain-Technologie dient vielmehr der Absicherung akkurater und qualitativ hochwertiger Daten, welche langfristig als die eine authentische Wahrheit angesehen werden können oder sollen. Gerade in Entwicklungsländern oder fragilen Kontexten stellen die Anforderungen an die Datenqualität eine große Herausforderung dar. Deshalb sind vorgelagerte Schritte im Rahmen grundlegender Digitalisierungsprozesse geboten, um nicht intendierte Wirkungen zu vermeiden. Erst dann kann Blockchain einen Mehrwert bieten. Dies war auch das Ergebnis der Mission in Bangladesch und der Kollaboration mit dem dortigen Digitalisierungsprojekt der Regierung.

Glücklicherweise beschäftigt sich das Projekt vor Ort bereits mit diesen wichtigen Schritten der Digitalisierung, um die vorliegende Datenlage zu verbessern. Weitere relevante Schritte wurden nun gemeinsam aufgezeigt. Basierend auf einer bürger- oder nutzerzentrierten Analyse zeigte sich, dass der Fokus weniger auf der Blockchain-Technologie als Lösung, sondern viel mehr auf wichtigen Parameter für einen zuverlässigeren Landübertragungsprozess gesetzt werden sollte. Beispielhaft hierfür wären ein Transparenzportal, welches zeitnahe Informationen über erfolgte Landverkäufe noch vor Erfolgen von Umschreibungen zur Verfügung stellt, oder eine durch Crowdsourcing erstellte Datenbank der aktuell umstrittenen Landtitel. Beide Ansätze reflektieren die Notwendigkeit, potenziellen Käufer*innen zuverlässigere Informationen zur Verfügung zu stellen, um die Datenlage in Bangladeschs Landsektor zu verbessern. So käme man langfristig vielleicht auch an einen Punkt, an dem die Anwendung von Blockchain denkbar sein könnte.

Autor: von Lars Wannemacher, Berater im Blockchain Lab der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) GmbH. Das Blockchain Lab unter der Leitung von Franz von Weizsäcker ist ein experimentelles Projekt der GIZ an der Schnittstelle von Forschung, Start-ups und Entwicklungszusammenarbeit.

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