Augen auf beim Legal Tech Tool Kauf
Wer kennt es nicht: Man möchte einen Prozess verbessern und fragt sich, welche Mittel man dafür heranziehen muss. Man fängt an zu recherchieren und findet sofort 10 Anbieter, die die perfekte Lösung parat haben. Aber die Einführung neuer Tools kann dauern und kostet Geld. Es lohnt sich oft der Blick auf bereits vorhandene Mittel.
In einer Welt, in der Innovation in vielen Bereichen der juristischen Arbeit angekommen ist und Konzepte wie Legal Design, Legal Operations und Legal Tech eine immer größer werdende Wirkung in Kanzleien und Rechtsabteilungen entfalten, ist Technologie nicht mehr wegzudenken. Während der Einsatz neuer Technologien und maßgeschneiderter Lösungen stetig ausgebaut wird, wandeln sich auch klassische juristische Teams. Zunehmend arbeiten Projektmanager, Technology- und Business-Experten Hand in Hand, um die immer komplexer werdenden Probleme von Mandanten oder Kollegen zu lösen.
Ob für die Dokumentenerstellung, die Dokumentenanalyse, beim Projektmanagement, der Dokumentenverwaltung oder bei der Workflowerstellung – für fast alle Anwendungsfälle gibt es eine Vielzahl von Legal Tech Anbietern, die sich ihre (Einzel-)Lösungen gerne einiges kosten lassen. Aber auch die großen etablierten Systemanbieter wie Microsoft, Adobe und Co. verbessern ihre Technik immer weiter und ergänzen ihr Portfolio mit neuen Features und Funktionen im Rennen um die höchsten Nutzerzahlen.
Zwei Fragen, die vor jeder Einführung neuer Tools stets im Raum stehen sollten, sind: Welches Budget steht für meinen Anwendungsfall zur Verfügung und wie häufig kommt der Anwendungsfall auf? Bei wenig Budget oder seltenen Anwendungsfällen lohnt sich der Blick auf die bestehende Infrastruktur im Zusammenhang mit der Frage: Wie kann ich meinen Anwendungsfall mit dem abdecken, was ich bereits nutze? Wir nehmen ein paar der klassischen Anwendungsfälle einmal genauer unter die Lupe und zeigen Alternativen neben den gängigen Legal Tech Anbietern auf.
Dokumentenautomatisierung
Ein Klassiker, der immer wieder bei juristischen Tätigkeiten auftritt: das Erstellen von vielen ähnlichen Dokumenten wie z.B. von Verträgen, Listen oder Anschreiben. Wird ohne Automatisierung gearbeitet, ist man darauf angewiesen, ein Musterdokument für jeden Anwendungsfall manuell anzupassen. Dies kann je nach Menge und Komplexität sehr zeitintensiv werden. Möchte man diesen Prozess automatisieren, gibt es mittlerweile viele etablierte Anbieter wie Lawlift, Net Documents, Hotdocs uvm., die dies mit ermöglichen.
Aber auch mit der aus Microsoft Word bekannten und altgedienten Serienbrief-Funktion, die es übrigens schon seit MS Office 2002 gibt, können Anwendungsfälle abgedeckt werden, in denen viele Dokumente auf Grundlage eines Musters automatisch personalisiert und nach Kriterien angepasst werden müssen. Die Funktion ist dabei direkt aus Word heraus ansteuerbar und ist sehr einfach zu bedienen. So können mit überschaubarem Aufwand Massen von Dokumenten schnell und fehlerfrei erstellt werden.
Projektmanagement
Gutes Projektmanagement ist immer eine Frage der richtigen Methoden und Instrumente. In Word oder Excel aufgesetzte Projektpläne sind leider immer noch viel zu oft die Regel. Sie führen zu großem Aufwand beim Erstellen, beim Einrichten des Zugangs oder der Pflege. Viel zielführender ist die Steuerung eines Projekts mit Hilfe einer Projektmanagement-Plattform – mit ihr können To Dos getrackt, Dokumente ausgetauscht und Fragen beantwortet werden.
Für diesen Anwendungsfall gibt es mittlerweile viele (kostenpflichtige) Anbieter, die sowohl für interne als auch externe Projekte geeignet sind. Ein paar Beispiele sind Asana, Monday oder HighQ. Auch hier lohnt sich der Blick auf die vorhandene Infrastruktur, denn auch mit Microsoft Teams, Planner und Sharepoint ist das Einrichten von Projekträumen und -plänen mit überschaubarem Aufwand möglich und führt zum Ziel, ohne dabei zusätzliche Kosten zu generieren.
Kalkulation-Tools
Mathe und Jura – für viele eine nicht so wirklich passende Kombination. „Judex non calculat“ heißt es dann oft, aber Ausnahmen bestätigen bekanntlich die Regeln. Denn auch im juristischen Bereich gibt es viele Sachverhalte, in denen einfache und auch komplexere Berechnungen durchgeführt werden müssen, z.B. um Kündigungsfristen zu berechnen, Abfindungshöhen zu ermitteln oder Sozialscores festzulegen. Für all diese klassischen Anwendungsfälle kann man mit No- oder Low-Code Tools kleine Anwendungen bauen, die eine Lösung zu einer konkreten Frage aufzeigen, oder sich der Funktionen verschiedener Kanzleimanagement-Tools bedienen.
Möchte man aber mit vorhandenen Mitteln eine Lösung finden, kann natürlich auch mit Excel viel erreicht werden. Die Hürde dabei ist nicht hoch und es reicht oft ein grundlegendes Verständnis der klassischen Funktionen, durch die Excel den Nutzer bei Bedarf auch Schritt für Schritt führt. Durch zielsichere Recherchen im Internet findet man zudem genügend Vorlagen, auf denen die eigenen Berechnungen aufgebaut werden können. Hat man zusätzlich noch Kollegen, die sich mit VBA-Scripting auskennen, wird das Spektrum an Möglichkeiten um ein Vielfaches erweitert (bis hin zu Super Mario in Excel).
Workflows und Entscheidungsautomatisierung
Wiederkehrende standardisierte Arbeitsprozesse gehören zum Büroalltag mit dazu. Solche Routinearbeit kostet viel Zeit und Nerven und ist außerdem noch sehr fehleranfällig. Deshalb ist hier der Mehrwert einer Automatisierung besonders hoch. Das Spektrum von Workflows bei der juristischen Arbeit ist dabei sehr breit. Mit entsprechenden technischen Mitteln können z.B. rechtliche Entscheidungsbäume nachgebaut werden, wiederkehrende Prüfprozesse automatisiert und dabei verschiedene Stakeholder einbezogen werden. Ein weiterer Vorteil: Juristisches Wissen kann einfach und fehlerarm auch Nicht-Juristen zur Verfügung gestellt werden. Anbieter gibt es in diesem Segment der No-Code Anbieter mittlerweile viele, z.B. Neota Logic, Legal OS, Bryter etc.
Zu weniger komplexen Workflow-Automatisierungen gibt es aber auch Alternativen: So bietet z.B. die bei vielen Microsoft-Lizenzen inkludierte Microsoft Power Platform mit Power Apps und Power Automate viele Möglichkeiten, Workflows zu automatisieren oder kleinere Anwendungen zu erstellen. Der große Vorteil liegt hier besonders in der direkten Schnittstelle zu anderen Microsoft-Programmen wie Word, Teams, Outlook etc., sodass keine zusätzlichen Schnittstellen programmiert werden müssen. Zudem bringt Power Automate einen KI-Builder mit, was die Bandbreite der möglichen Workflow-Automatisierung erweitert. Dank einer Vielzahl von Beispiel-Workflows und Vorlagen ist es verhältnismäßig leicht zu bedienen.
Daneben gibt es aber auch eine Vielzahl von weiteren z.T. kostenlose Alternativen, die sich im Bereich der No-Code Plattformen tummeln, z.B. Bubble und Kintone.
Legal Tech Shopping Guide
Bei der Auswahl eines passenden Anbieters für z.B. die oben genannten Anwendungsfälle sollten verschiedene Aspekte berücksichtigt werden. Zum einen die Kosten, aber ebenso die Realisierbarkeit des geplanten Anwendungsfalls mit dem präferierten Tool. Dazu kommt, dass der Komplexitätsgrad des Tools und die dafür erforderliche Learning Curve mit in die Entscheidung einfließen müssen. Weitere wichtige Faktoren sind Benutzerfreundlichkeit und Integration in die bestehende Infrastruktur. Es lohnt sich deshalb, das Problem so gut es geht aufzubohren, durch Prozessdiagramme oder Prozessbeschreibungen zu visualisieren und die einzelnen Schritte bzw. den Prozess per se zu verstehen, bevor die passende Lösung gesucht wird. Eigentlich selbstverständlich, aber im Eifer des täglichen Geschäfts eine viel zu oft vernachlässigte Herangehensweise. Mit einem derartigen Detailwissen lassen sich Anbieter bei Produktdemonstrationen genauer unter die Lupe nehmen und die wichtigen Fragen stellen. Wenn man den Anwendungsfall von Grund auf versteht und durchblickt, erspart man sich Fehlkäufe und spart dadurch Zeit und Geld.
Bestehende Struktur und Wissen ausschöpfen
Die besten Tools nutzen nichts, wenn das digitale Mindset an der entscheidenden Stelle im Unternehmen fehlt. Ein Partner einer namhaften Großkanzlei begründete einst seine mangelnden Excel-Kenntnisse mit den folgenden Worten „They [Unternehmensberater] are the green ones and we [Anwälte] are the blue ones.“ Die Kunst ist, die „green ones“ in den eigenen Reihen zu identifizieren oder aber Interessenten zu finden, die sich entsprechende Kenntnisse aneignen wollen.
Deshalb sind regelmäßige Mindset-Schulungen der Belegschaft wichtig, um das Erkennen von Verbesserungspotenzialen zu fördern. Auch der regelmäßige Austausch über Fähigkeiten und Interessen ist erforderlich, denn so können Potenziale und Experten identifiziert und benannt werden. Insbesondere sollte nicht außer Acht gelassen werden, dass sich Expertise dort tummeln könnte, wo man sie zunächst nicht erwarten würde.
Werden diese Schritte beherzigt, kommt man oft schneller und kostensensibler ans Ziel – und das alles durch eine nachhaltige Verwendung interner Mittel und Ressourcen. Das so gesparte Budget kann dann guten Gewissens in Legal Tech Tools investiert werden, die die eigene Kanzlei wirklich weiterbringen und den Arbeitsalltag nachhaltig erleichtern.
Autorin: Helena Byrne ist Legal Expertise Managerin bei KLIEMT.Arbeitsrecht. An der Schnittstelle zwischen Jura, Legal Tech, Kommunikation, internen Prozessen sowie Projektmanagement entwickelt sie die Knowledge Management Strategie der Kanzlei weiter.
Autor: Martin Kammandel ist Legal Tech Engineer und Projektmanager für Digitalisierungsprojekte bei KLIEMT.Arbeitsrecht. An der Schnittstelle zwischen Jura und IT treibt er mit dem Innovation-Team diverse digitale Projekte voran und entwickelt umfassende Lösungen für die Beratungspraxis.