Auf dem Weg nach Digitalien: Wie Kanzleien den richtigen Weg zur Digitalisierung finden
Ilona Cosack, Autorin des Leitfadens für jede Anwaltskanzlei: Digitalisierung erfolgreich umsetzen, gibt Praxistipps und Hinweise, wie sich Kanzleien erfolgreich auf den Weg der Digitalisierung begeben können. Ob und ggf. welche Legal Tech Tools eingesetzt werden, erfahren Sie von ihren Interviewpartnern aus unterschiedlichen Perspektiven.
Kennen Sie den „richtigen Weg“ nach Rom?
Viele Wege führen nach Rom. Ersetzen Sie Rom mit Digitalisierung, denn auch viele verschiedene Wege führen zu einer digitalen Kanzlei. Rechtsanwältin Edith Kindermann, Präsidentin des Deutschen Anwaltvereins, hat den Wandel des Marktes für Rechtsdienstleistungen und die Digitalisierung als größte Herausforderung für die Anwaltschaft bezeichnet. Sie sagt: „Es gibt nicht den perfekten Weg, sondern den zur jeweiligen Kanzlei passenden Weg. Die Digitalisierung schafft neue Möglichkeiten, die anwaltliche Tätigkeit auszuüben. Wichtig ist, sich zu informieren, an den Erfahrungen anderer teilzuhaben und dann den für die eigene berufliche Tätigkeit optimalen Weg anzugehen und umzusetzen.“
Viele Interviews mit Kanzleien aller Größenordnungen
Um ein umfassendes Bild zu zeichnen, habe ich Kanzleien aller Größenordnungen befragt: Von der Einzelanwältin ohne Mitarbeiter über mittelständische Kanzleien bis hin zur Großkanzlei mit mehr als 4.000 Rechtsanwälten weltweit. Hinzu kamen Kanzleien aus dem europäischen Ausland. Dabei hat sich herausgestellt, dass jede Kanzlei ihren eigenen Weg gewählt hat. Und manche Kanzlei ist noch längst nicht am Ende des Weges angekommen. Viele Best Practice Beispiele zeigen, wie Digitalisierung in der Kanzlei funktionieren kann und ob und ggf. welche Legal Tech Tools eingesetzt werden.
Rechtsanwalt Christian Solmecke, der neben dem Vorwort des Buches im Interview auch das Wachstum seiner Kanzlei von 8 Mitarbeitern innerhalb von 8 Jahren auf 80 Mitarbeiter beschreibt, schildert lebhaft seine Erfahrungen vom Verzicht auf Papierakten hin zur digitalen Kanzlei: „Ja, bis vor 4 Jahren haben wir noch mit Papierakten gearbeitet, jetzt so gut wie nicht mehr. Die älteren Anwälte können sich noch nicht ganz von der Papierakte trennen, es werden aber immer weniger, ca. 5 % der Akten sind noch analog. Alle jungen Anwälte arbeiten voll digitalisiert. Die digitale Akte führt, im System wird vermerkt, wenn es noch eine Papierakte gibt“.
Ebnet das beA den Weg in die Digitalisierung?
Das besondere elektronische Anwaltspostfach (beA) ist in vielen Kanzleien unbeliebt, dennoch führt kein Weg daran vorbei.
Noch 10 Monate, dann tritt die aktive Nutzungspflicht für das beA in allen Bundesländern in Kraft. Rechtsanwälte (m/w/d) müssen dann die gerichtliche Korrespondenz ausschließlich über das beA führen. Schleswig-Holstein hat zum 1.1.2020 für den Bereich der Arbeitsgerichtsbarkeit die aktive Nutzungspflicht schon eingeführt, Bremen hat zum 1.1.2021 für die Fachgerichtsbarkeit (mit Ausnahme des Landessozialgerichts Bremen-Niedersachsen und der Verwaltungsgerichtsbarkeit) ebenfalls die aktive Nutzungspflicht beschlossen. Bereits seit knapp zwei Jahren gilt die passive Nutzungspflicht, d.h. Dokumente und Empfangsbekenntnisse, die im beA eingehen, sind vom Anwalt zur Kenntnis zu nehmen.
Leider wird in vielen Kanzleien die Korrespondenz, die über das beA läuft, ausgedruckt. Diese Arbeitsweise ist trügerisch, denn im Elektronischen Rechtsverkehr muss der Nachweis auch elektronisch geführt werden, eine ausgedruckte Datei ist nicht als Nachweis geeignet.
Nur das Exportieren aus dem beA (entweder in der Nachrichtenübersicht oder in der geöffneten Nachricht > Button > Exportieren) führt zur ZIP-Datei, die durch eine separate Signaturdatei den rechtssicheren Nachweis erbringt. Aktuell kann dieser Nachweis noch nicht mit den Schnittstellen der Anwaltssoftwarehersteller erbracht werden, daher ist der Blick in die beA-Webanwendung unerlässlich. Dies auch deshalb, weil es immer wieder vorkommt, dass Nachrichten, die in der Anwaltssoftware als „Erfolgreich“ gesendet gekennzeichnet sind, im Postausgang des beA „hängen bleiben“.
Wie fange ich es an?
Bevor man mit der Digitalisierung der Kanzlei beginnt und womöglich den Einsatz von Legal Tech Tools plant, ist eine Bestandsaufnahme unerlässlich. Fast alle meine Interviewpartner, egal welcher Kanzleigröße, würden, wenn sie noch einmal am Anfang des Weges stünden:
- früher anfangen,
- schneller digitalisieren,
- konsequenter umsetzen,
- auf Papier verzichten,
- keine Papierakten mehr führen,
- eingescannte Dokumente vernichten,
- nicht an der Hardware sparen,
- in Schulungen investieren,
- mutig und unerschrocken vorangehen.
Checkliste zur Digitalisierung der Kanzlei
Definieren Sie Ihre Ziele. Welche aktuellen Probleme sollen gelöst werden? Erfahrungsgemäß ist neben den Arbeitsabläufen auch die Kommunikation (intern / extern) ein wichtiger Baustein. Wollen Sie Legal Tech Tools für Ihre Mandanten anbieten oder mit Legal Tech Tools Ihre Mandate bearbeiten? Legen Sie ein Budget fest.
Erstellen Sie einen realistischen Zeitplan. Rom wurde auch nicht an einem Tag erbaut. Wenn Sie zu lange warten, kann der Weg in einer Sackgasse enden.
Professor Niko Härting berichtet in seinem Interview, dass die Vorbereitungszeit zur Umstellung auf ein digitalisiertes Büro ein halbes Jahr Planung gebraucht hat und ein weiteres halbes Jahr für die Umsetzung notwendig war.
Gehen Sie den Weg gemeinsam mit allen Anwälten und Mitarbeitern. Erfahrungsgemäß werden Sie dabei Personen begegnen, die sich schwer tun und mit dem Argument: „Das haben wir schon immer so gemacht“ jeglichen Fortschritt im Keim ersticken wollen. Erzwingen Sie nichts, sondern zeigen in praktischen Beispielen, welche Vorteile derjenige durch die Digitalisierung seines Arbeitsbereichs erhält. Vielfach ist es auch Angst vor der unbekannten Technik, die dazu führt, dass Menschen auf Althergebrachtem beharren. Meist zeigt sich dann, dass sogar Skeptiker die Scheu verlieren und Befürworter werden.
Schaffen Sie einheitliche Arbeitsabläufe. Unabdingbar ist, die Arbeitsabläufe jedes Einzelnen unter die Lupe zu nehmen. Der Schlüssel zum Erfolg heißt Standardisierung. Je mehr einheitliche Abläufe definiert werden können, desto mehr kann die Digitalisierung Nutzen bringen. Hinzu kommt, dass Vertretungen viel einfacher möglich werden.
Gönnen Sie sich gute Arbeitsmittel. Corona hat gezeigt, dass das Home-Office für viele eine willkommene Alternative sein kann. Manche Kanzleien denken bereits darüber nach, teure Raumkosten zu sparen und das Home-Office in die Kanzleiabläufe zu integrieren. Investieren Sie in aktuelle Hard- und Software. Achten Sie zusätzlich auf die Gewährleistung der Datensicherheit und ein zuverlässiges Backup. Ggf. ist dabei auch der Weg in die Cloud eine Option.
Mut macht Professor Stephan Ory, der zur BGH-Rechtsprechung zum Medienbruch beim Fristenkalender sagt: „Ich hatte nie einen Fristenkalender auf Papier … Die Rechtsprechung, die dazwischen einen Medienbruch verlangt, halte ich für zu weitgehend – siehe NJW aktuell 23/2019, S. 17.“ Er meint: „Es gibt Sachen, die muss man mitmachen, etwa das beA. Das geht nur in der ganzen Branche … Allerdings halte ich die Digitalisierung einer Kanzlei für die Basis der Überlebensstrategie.“
In diesem Sinne wünsche ich Ihnen gutes Gelingen auf dem Weg zur Digitalisierung Ihrer Kanzlei. Egal, ob Sie gerade am Anfang dieses Weges stehen oder schon ein Stück zurückgelegt haben.
Autorin: Ilona Cosack ist Beraterin und Buchautorin (u.a. „Digitalisierung erfolgreich umsetzen – Ein Leitfaden für jede Anwaltskanzlei“ ). Sie berät seit 1998 Anwälte und Notare ganzheitlich zum Management der Kanzlei.