AI.bot — Als Roboter denken lernten
Software-Roboter erledigen repetitive Aufgaben und Künstliche Intelligenz kann komplexe Fragestellungen lösen. André Ludwig und Alexander Scheel analysieren und bewerten die Einsatzmöglichkeiten einer Kombination dieser neuen Technologien im juristischen Kontext.
Software-Roboter und Künstliche Intelligenz
Künstliche Intelligenz (KI) steht für Technologien, die es Maschinen ermöglichen, schöpferische Aufgaben zu lösen, die normalerweise von Menschen erledigt werden. ChatGPT (GPT3 von OpenAI) gehört zu diesen Technologien, ist aber bei weitem nicht die einzige Künstliche Intelligenz.
Ähnlich wie das Gehirn eines heranwachsenden Menschen lernt KI anhand von Beispielen, bestimmte Dinge mit der Zeit immer besser zu tun. Dies kann die Aufgabe sein, aus einem Text ein Aktenzeichen abzulesen. Zeigt man der KI viele verschiedene Aktenzeichen, dann wird sie fortan auch in fremden Texten Aktenzeichen erkennen.
Die Analogie zum Gehirn führt zu dem zweiten wichtigen Aspekt von KI, der in der derzeitigen Debatte aber weitaus weniger Aufmerksamkeit erhält: Um eine bestimmte Handlung auszuführen benötigt das Gehirn Gliedmaßen, mit denen es Dinge in der Außenwelt manipulieren kann. Vergleichbar kann eine KI allein weder in Ihrem beA-Posteingang Nachrichten aufrufen noch Dokumente in einen Datenraum hochladen. Sie braucht grundsätzlich den Menschen, um Anweisungen einzugeben und die Ergebnisse weiterzuverarbeiten.
Und genau hier kommen Software-Roboter ins Spiel. Software-Roboter oder Robotic Process Automation (RPA) stehen für eine spezialisierte Art von Software, die menschliches Verhalten am Computer simulieren und regelbasierte Aufgaben (wenn… dann) erledigen kann. RPA ist also immer dann stark, wenn es um monotone, langweilige und routinemäßige Aufgaben geht. Software-Roboter bedienen den PC wie ein Mensch oder sie nutzen Schnittstellen. KI-Anwendungen wie GPT3 besitzen eine solche Schnittstelle, über die der Roboter mit der KI kommuniziert.
Einsatzmöglichkeiten in der juristischen Praxis
Viele beschwören bereits den Robo-Lawyer herauf, obwohl dieser angesichts des derzeitigen Entwicklungsstandes noch in die Kategorie „Zukunftsvisionen“ fallen dürfte.
Der Fokus sollte auf Anwendungsfeldern liegen, in denen KI kurzfristig einen Beitrag zur Effizienz- und/oder Qualitätssteigerung in der juristischen Arbeit leisten kann. Ein Anwendungsfall ist das Ablesen von Informationen aus Dokumenten. Hier sind die Antworten der KI leicht überprüfbar. Solche Informationen können beispielsweise die Kontaktdaten eines Klägers, Fristen oder Informationen zum Sachverhalt sein. Daraus ergeben sich beispielsweise folgende Einsatzmöglichkeiten:
Automatisierte Bearbeitung von Posteingängen
Einer der naheliegendsten und zugleich lohnenswertesten Einsatzbereiche für die Kombination von KI und RPA ist die automatisierte Bearbeitung von Posteingängen. Sowohl in Anwaltskanzleien als auch bei Behörden und Gerichten bindet die Prüfung, Verteilung und Bearbeitung von Posteingängen erhebliche Kapazitäten. Gerade im Kanzleikontext besteht angesichts der Vielzahl von Einzelschritten in diesem Prozess (Entgegennahme, Fristenprüfung, Weiterleitung an den richtigen Empfänger, Abgabe von Empfangsbekenntnissen, sowie die Ablage in der Kanzleisoftware) ein großes Potenzial für Effizienzsteigerungen.
Hier kann RPA die Posteingänge aus dem beA oder die eingescannte Briefpost von einem Netzlaufwerk abholen und die KI damit beauftragen, Daten wie Aktenzeichen, Parteien sowie Fristen herauszulesen. Im zweiten Schritt ordnet der Roboter den Posteingang mittels dieser Daten einem konkreten Empfänger (beispielsweise dem zuständigen Verfahrensbearbeiter innerhalb der Kanzlei) zu und leitet die Nachricht weiter. Des weiteren erfasst er etwaige Fristen im elektronischen Fristenbuch und überführt die empfangenen Schriftstücke in die entsprechende elektronische Akte innerhalb des jeweiligen DMS (Document Management System).
Aufgrund der anwaltlichen Sorgfaltspflichten sollte keinesfalls auf die menschliche Überprüfung verzichtet werden. Dennoch wird der dargestellte Prozess die Bearbeitung von Posteingängen erheblich beschleunigen und kaum Platz für menschliche Fehler lassen.
Fundstellen in Texten identifizieren
Ein weiterer Vorteil von KI liegt darin, dass der Anwender den Auftrag nicht exakt beziehungsweise in einer bestimmten Weise formulieren muss. Die KI ist in der Lage, synonyme Ausdrucksweisen nachzuvollziehen. Das ermöglicht es dem Anwender, einfacher als über die herkömmliche Stichwortsuche nach bestimmten Inhalten zu suchen, unabhängig davon, wie diese letztlich formuliert sind.
In der anwaltlichen Praxis könnte diese KI-Fähigkeit helfen, Sachvorträge der Parteien innerhalb gerichtlicher Korrespondenz aufzufinden. In Verbindung mit einem Roboter, der der KI die zugehörigen Dokumente zuliefert, kann der Anwalt im Rahmen der Anfertigung einer Berufungsbegründung etwa die Frage stellen „Haben wir erstinstanzlich vorgetragen, dass das Fahrzeug bereits beschädigt war, als der Kläger es von der Beklagten erwarb? Falls ja, in welchem Schriftsatz und auf welcher Seite?“. Das Roboter-KI-Duo würde dann sämtliche Schriftsätze erster Instanz nach entsprechendem Vortrag durchsuchen und dem Anwalt in kürzester Zeit eine zitierfähige Fundstelle oder eine Fehlanzeige liefern. Bei umfangreichen Akten kann dies Stunden an Sachverhaltsaufarbeitung einsparen und das Risiko, fremden Vortrag versehentlich unbestritten zu lassen, erheblich senken.
Zusammenfassung von Texten
In eine ähnliche Richtung geht die Fähigkeit von KI, Textinhalte zu verstehen und zusammenzufassen. So könnte zukünftig ein Schritt bei der Übernahme einer Akte von einem Kollegen oder bei der Vorbereitung der Wahrnehmung eines Gerichtstermins so aussehen, dass der Anwalt die KI auffordert, den Akteninhalt in einer bestimmten Struktur beispielsweise auf maximal einer DIN A4 Seite zusammenzufassen.
Der Mensch kontrolliert den Prozess
Die geschilderten Beispiele sind praktische Anwendungsszenarien, in denen die RPA-unterstützte KI den Menschen sinnvoll unterstützen kann. Jedoch hat sich eines in den letzten Wochen klar gezeigt: so faszinierend die Antworten auch sind, die ChatGPT liefert, so wenig verlässlich sind sie.
Daher ist es unerlässlich, weder einen Roboter noch eine KI vollkommen autonom einzusetzen. Konkret bedeutet das: der Mensch überprüft und korrigiert das Ergebnis der KI mit Hilfe eines kooperativen RPA-Roboters. Auch abseits der bereits erwähnten berufsrechtlichen Pflichten und bei weniger haftungsträchtigen Tätigkeiten sollte eine solche Prüfungs- und Freigabestation in digitalen Prozessen stets verankert werden. Schließlich verbessert eine solche Überprüfung die Datenqualität und verringert das Risiko, dass relevante Informationen übersehen werden.
Fazit
Die innovative Technologie-Kombination von KI und RPA-Robotern macht dem Menschen das Optimum aus zwei Welten zugänglich: Die Zuverlässigkeit eines regelbasierten RPA-Roboters in Verbindung mit den „kognitiven“ Fähigkeiten einer KI unter der Kontrolle des Menschen bieten großes Potenzial für schnellere Mandatsbearbeitung bei geringeren Kosten und höherer Qualität.
Autor: Alexander Scheel ist Spezialist für Robotic Process Automation und Geschäftsführer der RIBOTA GmbH. Er berät Industrieunternehmen und Kanzleien bei der Digitalen Transformation und der Automatisierung von Prozessen mit Software-Robotern und KI.
Autor: André Ludwig ist Rechtsanwalt und Legal Engineer bei der international agierenden Großkanzlei Noerr. Er blickt auf eine mehrjährige Tätigkeit als Associate im Bereich der Prozessführung zurück und treibt nun als Teil des Legal Tech Teams die digitale Weiterentwicklung der Beratungspraxis bei Noerr voran.