Fachartikel

Agile (legal) Mindset

Für einen Berufsstand, der seine Arbeitsweise Jahrhunderte kaum verändert hatte, ist „Agilität“ nicht das, was den Menschen in den Sinn kommt, wenn sie an Jurist:innen denken. Das Agile Manifesto ist eines der zentralen Dokumente, welches die zentralen Werte und Prinzipien agilen Arbeitens festhält. Auf den ersten Blick scheint es auch genau das Gegenteil der Denkweise von Jurist:innen zu sein. Überträgt man dieses aber auf die juristische Welt, könnte ein Agile „Legal“ Manifesto z.B. folgendermaßen lauten:

„We are uncovering better ways of providing legal services by doing it and helping others do it. Through this work, we have come to value individuals and interactions over processes and tools. Solved issues over comprehensive documentation. Customer collaboration over contract negotiation. Responding to change over following a plan. That is, while there is value in the items on the right, we value the items on the left more.“ (Morales, Kanban for Lawyers: Agile Management for Law Firms (2020) 58.)

Beispielsweise kann der Punkt: „Customer Collaboration“ so verstanden werden, dass das Ziel nicht der bestmöglichste (lies: härteste) Vertrag zu Gunsten der Klient:innen ist, sondern der bestmögliche Vertrag, der für alle Parteien akzeptabel ist und unnötige Administration vermeidet (Gloger, Die agilen Anwälte, 3210737).

Drei wichtige Eckpfeiler agilen Arbeitens sind Transparenz, Kontrolle und Adaptionen (Flexibilität). Transparenz kennen Jurist:innen aus Leistungsaufzeichnungen. Der Wunsch Wissen schützen zu wollen, steht der Transparenz aber entgegen. Kontrolle und Adaptionen berühren eine große Sorge; nämlich das Eingestehen von Fehlern oder das Zulassen von Änderungen als Haftungsrisiko. In einer transparenten und offenen Kommunikation mit den Mandant:innen sind Änderungen nicht notwendigerweise Fehler, sondern eine von mehreren Optionen, die für Mandant:innen und/oder die Situation besser geeignet sein könnte als eine andere.

Zusammenarbeit

Bei vielen agilen Methoden geht es um Zusammenarbeit und die Arbeit in Teams. Je besser aber die Zusammenarbeit ist, desto klarer ist der Fortschritt. Die Einbindung des Teams (z.B. von Associates, aber auch Klient:innen) in die Zusammenarbeit und Kommunikation erleichtert auch deren Arbeit. Für diese effiziente Zusammenarbeit müssen einige zentrale Punkte angesprochen werden: Klärung der Rollen, Inhalt und Ziel der konkreten Sache (z.B. Projekt, Anfrage), Festlegung der Kommunikationsmethoden und Klärung der Prozesse oder Standards, die eingehalten werden müssen (Woldow/Richardson, Legal project management in one hour for lawyers, 73). Viele dieser Dinge können mit agilen Methoden wie Kanban oder Scrum definiert werden.

Die Flexibilität, die agile Prinzipien bringen, ist auch hilfreich, um Veränderungen und Innovationen zu ermöglichen. Wenn Jurist:innen entgegnen, dass ihre Leistungen nicht neu sind, vergessen sie, dass sich die Welt um sie herum verändert – von den Klient:innen über die Mitarbeiter:innen bis hin zu der Art und Weise, wie Menschen arbeiten (Agiles Kanzleimanagement: Was Kanzleien von IT-Firmen lernen können). Das heißt, auch wenn die Arbeit selbst im Kern die gleiche ist: vor Gericht zu argumentieren, Verträge zu schreiben und Klient:innen zu beraten – hat sich die Art und Weise, wie diese Arbeit geleistet wird, verändert und wird sich in Zukunft noch weiter verändern.

Implementierung der Methoden

Um häufige Befürchtungen zu zerstreuen, sollte klargestellt werden, dass Agile nicht der „Wilde Westen“ ist – es gibt sogar viele und klare Regeln, die aber auch agil an die eigenen Bedürfnisse angepasst werden können. Die dadurch entstehenden hohen Feedback- und Überprüfungsstandards können auch das erwartete Qualitätsniveau sicherstellen. Die Einführung agiler Methoden sollte auch kein Selbstzweck oder reiner Marketingeffekt sein, sondern machen nur dann Sinn, wenn sie sinnvoll in die Prozesse implementiert werden.

Eine der größten Herausforderungen bei der Einführung agiler Prinzipien ist, dass die grundlegenden Strukturen und Kulturen in Frage gestellt werden (Bull, The Agile law firm (2021) 30). Je größer die Organisation ist, desto mehr Widerstand ist zu erwarten. Daher ist es wichtig, dass die Geschäftsleitung mit an Bord ist und die agilen Methoden aktiv unterstützt. Agile Prinzipien können auch erst in einer Abteilung eingeführt werden, um einen positiven Use Case zu zeigen.

„Wenn Sie die Vorteile eines wirklich agilen Unternehmens nutzen wollen, müssen Sie die Überreste des alten, nicht anpassungsfähigen, hierarchischen Managements in ein neues, kundenorientiertes und teamorientiertes Modell umwandeln“ (Bull, The Agile law firm (2021) 15).

Der menschliche Faktor

Die Umsetzung agiler Methoden zwischen Anwältin und Mandantin erfordert nicht nur von Jurist:innen eine agile Denkweise, sondern auch der (internen oder externen) Klient:innen. Es gibt Situationen, in denen der Jurist:innen modernen Arbeitsweisen gegenüber aufgeschlossener sind als Klient:innen oder umgekehrt. In diesen Fällen können diese Methoden durch die Nutzung von Tools (wie z.B. ein Kanban Board) den Einstieg erleichtern.

Schlussendlich muss auch die emotionale Seite eines bestimmten Falls oder Rechtsgebiets beachtet werden. Auch wenn eine transparente Kommunikation und die Möglichkeit für Klient:innen, sich jederzeit über den Stand des Verfahrens zu informieren, hilfreich sein können, werden diese mehr persönliche Unterstützung und Treffen mit den beteiligten Jurist:innen benötigen.

Agil ist nicht agil und muss nicht agil sein

„Agiles arbeiten“ als Marketing-Buzzwort muss nichts mit einem wirklich agilen Mindset zu tun haben. Gleichwohl nennt sich nicht jede Jurist:in agil, die offen, transparent und flexibel arbeitet. Das wichtigste ist, die Angst vor den Prinzipien zu nehmen, und diese zum Vorteil der Klient:innen und Jurist:innen zu leben und so die Arbeit auf allen Seiten zu verbessern.

Autorin: Mag. Katharina Bisset, MSc ist selbstständige Rechtsanwältin in NÖ, CEO und Co-Founderin der LegalTech Unternehmen NetzBeweis GmbH und der Nerds of Law. Davor war sie mehrere Jahre in großen IT-Unternehmen tätig. Ihre Spezialgebiete sind IT-, IP-, Medien- und Datenschutzrecht. Zusätzlich zur juristischen Ausbildung hat sie einen Master of Science in Engineering in Business Process Management and Engineering. Sie ist darüber hinaus Disziplinarrätin in der RAK NÖ, Mitglied des Arbeitskreis IT und Digitalisierung des ÖRAK und Lektorin auf der FH Wiener Neustadt und der FH des BFI Wien.

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