Fachartikel

Agile Geschäftsmodelle für Anwält:innen

Bei der Anwendung agiler Methoden in der juristischen Arbeit stellt sich bald die Frage, ob dies auch Auswirkungen auf die Preisgestaltung und das Geschäftsmodell von Anwält:innen haben kann. Agile Verträge sind in der Softwareentwicklung immer üblicher, auch wenn in vielen Fällen die agilen Methoden mit klassischen Geschäftsmodellen – Time and Material (Stundensatz) oder Pauschalen – verbunden werden.

Auf Grund der Flexibilität von agilen Projekten sind Pauschalen oft unpraktisch, und klassische Stundensatzmodelle würden aus demselben Grund zu einem hohen Risiko für Mandant:innen führen.

Einige Möglichkeiten, wie agile Geschäftsmodelle oder Aspekte davon aussehen könnten, sind die folgenden:

  • Festpreis pro Iteration: Unter der Annahme, dass eine Iteration (z.B. Sprint) gleich viel Zeit in Anspruch nimmt und die Größe eines Projekts feststeht, kann ein Festpreis pro Iteration unter Berücksichtigung der wöchentlichen Arbeitsstunden des Teams berechnet werden. In der Praxis liegt das Risiko in den Arbeitspaketen, die am Ende der Iteration die Definition of Done nicht erfüllen, und wieder in den Backlog verschoben werden müssen.
  • Festpreis pro (Story) Point: Bei der Bezahlung pro Point (z. B. Story Point) wird die Anwält:in nur für den tatsächlich gelieferten Umfang bezahlt. Die Bewertung der Aufgaben wird nicht durch Geld, sondern Points durchgeführt, was es erlaubt, den Wert zu bemessen und nicht nur die dafür aufgewendete Zeit.
  • Änderung umsonst: Bei diesem Modell handelt es sich um eine Abwandlung des Festpreises pro Iteration oder Point, bei dem die Funktionen jedoch leicht geändert werden können. Bei diesem Modell können Aufgaben von Mandant:innen ausgetauscht werden. Das Problem bei diesem Modell ist, dass es davon ausgeht, dass die Aufgaben ungefähr den gleichen Umfang haben.
  • Geteilter Schmerz / geteilter Gewinn: Dies ist eine Mischung aus Zeit und Material und dem Ziel, eine bestimmte Anzahl von „Punkten“ zu erreichen. Das Risiko von Abweichungen werden zu gleichen Teilen von Anwält:in und Mandant:in getragen. Das Projekt wird zunächst in Punkten und/oder Personentagen bewertet, birgt aber das Risiko, dass die Bewertung in agilen Projekten nicht konkret genug durchgeführt werden kann.
  • Mehrstufige Vertragsmodelle: Für die verschiedenen Phasen eines Projekts können unterschiedliche Preismodelle angewandt werden. Wenn der Umfang offen ist, kann ein Festpreis pro Iteration angewandt werden, während der Preis pro Point festgelegt werden kann, je genauer die Elemente definiert sind. Wenn einige Aufgaben konkret geschätzt werden können, kann für sie ein Festpreis festgelegt werden, während andere auf Zeit- und Materialbasis geliefert werden können.
  • Höchstpreis: Wird bei Stundensatzvereinbarungen ein Höchstpreis vereinbart, muss definiert werden, welche Arbeitspakete durch diesen Höchstpreis abgedeckt sein müssen, wobei das Risiko bei der Anwält:in liegt. Die Arbeitspakete müssen auch schätzbar sein.

Überblick über die agilen Preisbildungsmethoden (nach Book M, Gruhn V and Striemer R, Tamed Agility (Springer Berlin Heidelberg 2016), 202)

Agile Kanzlei 01

Agiler Festpreisvertrag

„Das agile Festpreiskonzept schafft (…) einen neuen Vertrag in Form eines kooperativen Umsetzungsmodells, das nicht auf klare Ziele und einen Rahmen zur Erreichung dieser Ziele verzichtet. Erreicht wird dies durch die Kombination von Prinzipien der Kooperation und Flexibilität bei der Gestaltung der bestmöglichen Anforderungen. Im Sinne der Budgetsicherheit und des Kostenbewusstseins bei der Umsetzung beinhaltet er eine Preisobergrenze.“ (Opelt A, Gloger B, et al, Der agile Festpreis4 (Hanser 2023) 34).

Bei einem agilen Festpreisvertrag werden Zeit und Kosten sowie die Prozesse, die für das Projekt gelten, vereinbart. Die Umfangskontrolle, bei der die Komplexität einer Funktion bewertet wird, ist ebenso in diesem Vertrag enthalten.

Im agilen Festpreisvertrag werden folgende Punkte definiert (Opelt, et al, Der agile Festpreis, S 50):

  • Produkt, Projektvision, Themen und Epics
  • Details in den User Stories
  • (Vorläufige) Festpreisspanne wird in einem Workshop entwickelt
  • Das Risiko (z.B. mit Checkpoints)
  • Umfang und Verfahren für die Verwaltung des Preises oder der Ausgaben
  • Zusammenarbeit (z.B. Änderungs- oder Umfangsprozesse) und Motivationsmodelle (z.B. Bonussysteme)

Eine vertrauensvolle Zusammenarbeit ist auch ein zentraler Kern des Agilen Festpreisvertrags. Für dieses Ziel werden darin drei Kerne der Zusammenarbeit definiert (Opelt, et al, Der agile Festpreis, S 60):

  • Risikoteilung: Zusätzliche Kosten, die entstehen, weil etwas nicht funktioniert (z.B. im Rahmen der Schätzung), werden von beiden Parteien gleichermaßen getragen. Es wird auch der Nutzen zwischen Anbieter und Kunde geteilt.
  • Checkpoint-Phase: Die erste Phase des Projekts dient dazu, die Grundlagen der Partnerschaft zu überprüfen und endet mit einem „indikativen Festpreis“, der die von den Parteien definierten Risiken einschließt, auf einvernehmlich festgelegten Annahmen beruht und bei dem der Wert jedes Arbeitspakets für den Kunden klar ist
  • Ausstiegspunkte: Jede Partei kann das Projekt mit einer angemessenen Kündigungsfrist kündigen oder verlassen, wobei der erste Ausstiegspunkt am Ende der Checkpoint-Phase liegt.

Der Preis kann auf der Komplexität der User Stories (Festpreis pro Point), dem Höchstpreis für eine Iteratioin (Sprint) oder den Stundensätzen basieren. Für die Checkpoint-Phase kann ein Festpreis festgelegt werden, nach der der „indikative Festpreis“ zu einem endgültigen Höchstpreis wird. Arbeiten, die über den Umfang hinausgehen, können zu einem reduzierten Preis angeboten werden, und bei Fertigstellung können Effizienzboni gezahlt werden.

Änderungen

Da die Flexibilität von agilen Methoden jederzeit Änderungen am Projekt zulässt, müssen diese Änderungen im vertraglichen Rahmen berücksichtigt werden. Das Gleiche gilt für Situationen, in denen Projekte vorzeitig enden. Es gibt mehrere Möglichkeiten, mit diesen Situationen umzugehen. Eine Möglichkeit ist die kostenlose Änderung; diese ist das Ersetzen von Elementen im Umfang durch neue Elemente derselben Größe. Bei einer Umfangserweiterung werden neue Elemente zum Backlog hinzugefügt und wie jedes andere Element priorisiert und geschätzt (Kosten und Zeit). Die Verringerung des Umfangs kann einem Mandant:innen helfen, nicht benötigte Arbeitspakete zu entfernen. Wenn der Umfang nur reduziert wird, ohne durch neue Aufgaben ersetzt zu werden, kann dies zu vertraglichen Herausforderungen führen, wenn Mandant:innen ihr Geld zurückverlangen.

Vertraglicher Rahmen

Drei Herausforderungen müssen in einem agilen Vertrag behandelt werden: unvollständige Beschreibung der Funktionen, Kommunikation und Zusammenarbeit.

In einem agilen Vertrag sollte auch festgelegt werden, wie die Zusammenarbeit funktioniert, z. B. Rollen und Zuständigkeiten, welche agilen Grundsätze wie umgesetzt werden. Traditionell enthalten Verträgen von Anwält:innen keine Regeln für die Zusammenarbeit, während diese in Agile zentrale Faktoren sind.

Der agile Vertrag sollte auch folgende Punkte beinhalten:

  • Detaillierte Definition von Scrum (z.B. Rollen, Meetings)
  • Die Definition of Done
  • Transparenz (Open Book)
  • Möglichkeit der Änderungen (Change Procedure)
  • Zeitplan und Etappenziele
  • Eskalationsverfahren

Kombination von agilen Methoden mit unterschiedlichen Honorarvereinbarungen

Agile Methoden können sowohl auf agile Verträge als auch auf traditionelle Honorarvereinbarungen angewendet werden. Die folgende Tabelle gibt einen Überblick über Methoden und Honorarvereinbarungen sowie über mögliche Risiken und Einschränkungen und darüber, ob diese Methoden kanzleiintern angewendet werden können:

Agile Kanzlei 01

Kanban ist wohl die vielseitigste der agilen Methoden, unabhängig davon, ob sie als persönliches Kanban-Board, innerhalb einer Kanzlei oder mit einer Mandant:in verwendet wird. Andere agile Methoden, insbesondere Scrum, können den Arbeitsablauf verbessern, sind aber ineffizient, wenn sie mit bestimmten Honorarvereinbarungen verwendet werden.

Autorin: Mag. Katharina Bisset, MSc ist selbstständige Rechtsanwältin in NÖ, CEO und Co-Founderin der LegalTech Unternehmen NetzBeweis GmbH und der Nerds of Law. Davor war sie mehrere Jahre in großen IT-Unternehmen tätig. Ihre Spezialgebiete sind IT-, IP-, Medien- und Datenschutzrecht. Zusätzlich zur juristischen Ausbildung hat sie einen Master of Science in Engineering in Business Process Management and Engineering. Sie ist darüber hinaus Disziplinarrätin in der RAK NÖ, Mitglied des Arbeitskreis IT und Digitalisierung des ÖRAK und Lektorin auf der FH Wiener Neustadt und der FH des BFI Wien. Katharina Bisset ist Autorin des Buchs: Agile Lawyer – Implementing Agile Principles in the Attorney-Client Relationship

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