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Tom Brägelmann: „ChatGPT ist ein Werkzeug um Text zu gestalten und umzuschreiben“

Tom Brägelmann ist Wirtschaftsanwalt, international erfahrener Restrukturierungsexperte und Buchautor. Schon seit vielen Jahren beschäftigt er sich ausgiebig mit den neuesten technologischen Entwicklungen in der Rechtsberatung. Wir trafen ihn zum Interview.

LTV: Lieber Herr Brägelmann, Sie beschäftigen sich seit einiger Zeit sehr intensiv mit dem Chatbot ChatGPT der Künstlichen Intelligenz von open.ai. Was fasziniert Sie so sehr an dieser Software?

Mich fasziniert daran, dass sie eine Art Filter ist, wie für Video in Zoom und Teams, Instagram oder TikTok, nun auch für Text. Sie können Text damit modellieren, also vereinfachen, verkomplizieren, ins Sarkastische oder Ernste umschreiben oder alles in Hauptsätze umwandeln lassen.

LTV: Sie haben ChatGPT auf verschiedene juristische Usecases hin getestet. Welche Fragestellungen haben Sie ausprobiert und wie waren die Ergebnisse?

Sie können zum Beispiel eine juristische Argumentation aus dem Schriftsatz einer Gegenseite, selbstverständlich nur anonymisiert, eingeben, und darum bitten, die genaue Gegenposition zu schreiben, unter Nennung von einschlägigen juristischen Zitaten. Manche Zitate werden noch frei erfunden, aber das ist auch kein Wunder, obwohl das ganze schon sehr gut Juristendeutsch simulieren kann, hatte es gar keinen Zugriff auf juristische Quellen in Deutschland.

LTV: Kann man den Ergebnissen denn einen Prozentsatz zuordnen bezogen auf die „juristische Richtigkeit“ der Antworten?

Nein, das ist doch auch immer wahllos, und um es ganz klar zu sagen: Das ganze ist keine Suchmaschine oder Wahrheits-Maschine, es ist ein Werkzeug, um Text zu gestalten und umzuschreiben. Ich würde das Ganze niemals als Suchmaschine oder zur Beantwortung von irgendwelchen juristischen Fragen verwenden. Aber sie können damit zum Beispiel sehr gut juristische Texte zusammenfassen oder vereinfachen lassen. Sie können sich damit auch juristische Texte entwerfen lassen, aber dann müssen Sie höllisch aufpassen, dass diese nicht komplett falsch sind, aber, wer Volljurist ist und Domänenwissen hat in dem spezifischen Rechtsgebiet, kann sich damit schon brauchbare erste Entwürfe anfertigen lassen.

LTV: Haben Sie die Ergebnisse von ChatGPT denn erstaunt? Und wenn ja, was genau hat Sie daran fasziniert?

Naja, die Ergebnisse haben mich nicht unbedingt erstaunt, sondern eher erfreut. Wenn man bemerkt, dass diese Software, obwohl sie nicht denken kann und überhaupt kein Verständnis von Jura hat, trotzdem eine sehr langwierige und schwierige BGH-Entscheidung korrekt zusammenfassen kann, ist doch irgendwie etwas geschehen.

LTV: Konnten Sie neben ChatGPT auch noch andere KI-Chatbots testen? Welche waren dies und worin lagen kurzgesagt die Unterschiede?

Ja, ich habe den Bot von YOU getestet. Der ist in der Lage, Internet-Links hinzuzufügen, manchmal sehr gute, manchmal völlig falsche, und im Gegensatz zu ChatGPT gibt er immer die gleiche Antwort, variiert seine Antwort also nicht.

LTV: Wie man liest hat ChatGPT bei juristischen Prüfungen bereits gut abgeschnitten. Denken Sie eine Software wie ChatGPT hat, wenn man es einige Jahre weiter denkt, das Potential eine komplette Rechtsberatung zu ersetzen?

Nein, Rechtsberatung können Sie dadurch nicht ersetzen, weil zur Rechtsberatung zwingend auch immer die Erforschung und Aufnahme des Sachverhaltes gehört. Und die wilde Lebenswelt kommt nun mal nicht von selbst als digitaler Text daher und auch nicht in strukturierten Daten – dies ist ja eine ganz banale Tatsache. Diese ganzen Bots können aber nur Text modellieren und umwandeln. Da gehört schon ein bisschen mehr dazu, das Wichtige vom Unwichtigen zu trennen. Mag ja sein, dass bei alldem KI helfen kann, aber Rechtsanwendung ist noch mal etwas anderes, als Text zu bearbeiten.

LTV: Wie könnten Ihrer Meinung nach denn Geschäftsmodelle für Legal KI aussehen? Halten Sie es für möglich, dass diese Entwicklung in Deutschland verboten werden kann, und damit einhergehend, denn überhaupt aufzuhalten ist?

Geschäftsmodelle könnten sein, einfache, juristische Fragen, die eben vom Sachverhalt sehr einfach sind, automatisiert beantworten zu lassen, beziehungsweise zumindest richtige Hinweise zu geben, und zwar besser, als es momentan Suchmaschine können.

Zum Verbot: Es kann sein, dass das ganze mit dem deutschen Rechtsberatungsmonopol kollidiert. Das hat auch seine Gründe, dass es so ein Rechtsberatungsmonopol gibt. Diese Gründe muss man immer wieder erforschen und man muss sich überlegen, ob sie immer noch gelten.

Wie immer, wenn in Deutschland sich niemand damit wirklich beschäftigt, wird dann im Ausland, ob in den USA oder in China, alles entwickelt, später nutzen wir dann in Deutschland die entsprechend angefertigten Produkte, ganz gleich, ob sie dann irgendwelchen europäischen Standards entsprechen oder nicht, das ist ja allseits bekannt, siehe Office 365, TikTok, WhatsApp.

LTV: Nochmal zur aktuellen Situation: Wie können Kolleginnen und Kollegen von Ihnen in Kanzleien oder Rechtsabteilungen ChatGPT verwenden um ihre Arbeit zu vereinfachen bzw. zu beschleunigen? Oder sind die Möglichkeiten aktuell noch nicht einsetzbar in der Rechtspraxis?

Ach doch, das ganze ist selbstverständlich einsetzbar. Sie müssen auf jeden Fall den Datenschutz und das Anwaltsgeheimnis und auch das Urheberrecht und das Geschäftsgeheimnisgesetz beachten, das sollte aber grundsätzlich möglich sein, also bitte immer nur anonymisierten Text eingeben, der urheberrechtlich nicht geschützt ist.

Zum Beispiel sind in Deutschland Gesetze aber auch Gerichtsurteile urheberrechtsfrei. Auch relativ wenig tiefsinnige Schriftsätze von Anwälten sind häufig nicht urheberrechtlich geschützt, oder Teile davon nicht. Damit können Sie arbeiten und sich zu Gegenpositionen oder Erläuterungen inspirieren lassen von dieser Software.

Sie können sich dadurch auch PowerPoint Präsentation zu rechtlichen Themen entwerfen lassen, in dem sie vorher Beispiele reinkopieren und die Instruktion geben, daraus eine Präsentation zu erstellen. Es gibt viele Möglichkeiten.

Sie können auch juristische Fälle dort eingeben und um eine strukturierte, gegliederte Lösung bitten. Das kann die Software auch. Es kann manchmal hilfreich sein, wenn man sich darüber Gedanken macht, wie man an eine Rechtsfrage rangeht. Insofern ist diese Software eine Art Gesprächspartner oder intellektueller Gegenpart, eine Art Spiegel. Mehr nicht, auf Gedeih und Verderb. Aber das passt zur Juristerei, denn diese ist ja dialogisch. Sie können sich häufig nicht einfach eine juristische Lösung ausdenken und runter subsumieren. Sie müssen darüber sprechen, verschiedene Argumente abwägen, das kann man nicht immer nur alleine in seinem Kopf, da muss man mit jemanden drüber reden können, am besten natürlich mit den lieben Kolleginnen und Kollegen, aber warum nicht mit einer Suchmaschine oder einem Bot, wenn es denn funktioniert? Hauptsache, wir arbeiten nicht alle nur einsam am Computer.

LTV: Vielen Dank Herr Brägelmann für das aufschlussreiche und spannende Interview. Weiterhin viel Spass beim Experimentieren mit ChatGPT.

Autor: Tom Brägelmann ist ein international erfahrener Restrukturierungsexperte. Als Wirtschaftsanwalt ist er sowohl in Deutschland als auch in den USA als An- walt zugelassen. Er war über drei Jahre als Anwalt für Bankruptcy / Insolvenz- und Urheberrecht in New York City tätig. Brägelmann ist überdies bestens vertraut mit den neuesten technologischen Entwicklungen in der Rechtsberatung, insbesondere mit der weltweiten Digitalisierung des Wirtschaftsrechts.

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