FachartikelLegal KI & ChatGPT

Schriftsatzanalyse und Vertragsprüfung mit Künstlicher Intelligenz — ein Praxiseinblick

Wie lässt sich KI in der Praxis effektiv einsetzen? Dieser Beitrag liefert einen Einblick über den Einsatz von KI bei der Schriftsatzanalyse im Zivilprozess und der Analyse von umfangreichen Ausschreibungsunterlagen in Bauunternehmen auf Basis der Codefy Turing-Technologie. Er zeigt auf, welche Schritte zu beachten sind, um effizient und zielsicher eine KI-basierte Lösung zu implementieren.

Die beeindruckenden und vielfältigen Anwendungsmöglichkeiten von ChatGPT zeigen, dass in nicht allzu ferner Zukunft eine Arbeitsweise ohne KI-Unterstützung kaum mit einer Arbeitsweise mit KI-Unterstützung wird mithalten können. Diese Einschätzung ist an sich auch nicht verwunderlich. Schließlich käme heute kein Mensch auf die Idee, ein Wettrennen gegen ein Auto gewinnen zu wollen. Neu ist, dass KI nun die Domäne der Wissensarbeit erheblich beeinflussen wird. Gleichsam zeigen heutige KI-Entwicklungen, dass der Mensch durch die KI keineswegs insgesamt deklassiert wird, sondern die Potenzialentfaltung gerade im Zusammenspiel zwischen Mensch und KI stattfindet. Dieser Beitrag liefert einen Einblick in zwei ausgewählte KI-Projekte aus der Praxis: Die Schriftsatzanalyse im Zivilprozess aus gerichtlicher Perspektive und die vertragliche Risikoanalyse von Ausschreibungsunterlagen aus dem Blickwinkel eines Baukonzerns.

Ausgangslage und Rahmenbedingungen

Sowohl im Falle der zivilprozessualen Schriftsatzanalyse als auch bei der vertraglichen Risikoprüfung ist die Herausforderung im Ausgang dieselbe: Eine mitunter sehr große Menge an Textinhalten muss schnell und zuverlässig auf juristisch relevante Aspekte untersucht werden, damit auf Basis dieser effizient eine Entscheidung getroffen werden kann. Durch die Menge der Inhalte und den teilweise monotonen Charakter der Aufgabe besteht die Gefahr, dass Menschen relevante Inhalte übersehen. Zudem müssen Entscheidungen häufig unter Zeitdruck getroffen werden, was diese Gefahr weiter steigert.

Da in beiden Fällen besonders vertrauliche und zu schützende Daten Gegenstand der Prüfung sein können, muss eine KI-Lösung, insbesondere in Ansehung der Schrems II-Entscheidung des EuGH, zumindest auf den Servern eines europäischen Anbieters betrieben werden. Im Falle der Justiz existiert die Anforderung, dass der Betrieb on premises in besonders abgeschirmten Justiznetzen stattfindet. Insoweit steht von vornherein fest, dass Lösungen wie ChatGPT oder andere KI-Modelle, die nicht lokal verwendbar sind, ausgeschlossen sind.

KI-Prüfassistenten mit Codefy Turing

Die von Codefy entwickelte Codefy Turing-Technologie wurde speziell für den Einsatz in abgeschirmten und besonders gesicherten Umgebungen entwickelt und ist insbesondere nicht abhängig von KI-Plattformen großer US-amerikanischer Anbieter wie Microsoft, Amazon oder Google. Für die hier beschriebenen Praxisprojekte wurde im Falle der Justiz die Codefy-Technologie on premises auf Justizservern und für den Baukonzern auf einem dedizierten Server eines führenden deutschen IT-Infrastrukturanbieters installiert.

In Codefy können Nutzer, ohne über Programmierkenntnisse verfügen zu müssen (No Code-Lösung), sog. Codefy Turing-Prüfassistenten konfigurieren, mit welchen juristische Prüfschritte und Prüfungsschemata abgebildet werden können. Die Konfiguration der einzelnen Prüfungspunkte findet im Sinne des Machine Learnings auf Grundlage von Trainingsdaten statt. Mit einem konfigurierten Codefy Turing-Prüfassistenten können Nutzer Schriftsätze oder Vertragsunterlagen automatisch auf die vordefinierten Prüfungspunkte analysieren lassen. Dabei wird insgesamt ein sog. Hybrid-AI Ansatz verfolgt, welcher von Codefy für juristische Anwendungsfälle entwickelt wurde. Hybrid-AI kombiniert etablierte KI-Methoden aus dem Bereich der Expertensysteme mit modernen statistischen Methoden, insbesondere aus dem Bereich Natural Language Processing. Ferner wird AI als “Augmented Intelligence” verstanden, bei dem der Mensch stets die entscheidende Rolle behält und die Vorschläge der Codefy Turing-Prüfassistenten abschließend bewertet.

Arbeitsweise und Entwicklungsprozess

Da KI auch für den Rechtsmarkt ein Innovationsthema darstellt, bei dem neue Wege zu gehen sind, bedarf es einer Arbeitsweise, die dem Innovationscharakter gerecht wird. Deshalb stehen agile Methoden bei der Arbeit im Mittelpunkt. Bei Codefy hat sich die Lean UX-Methode als effizient und praxistauglich erwiesen, welche Aspekte von Design Thinking, Lean Startup und Agiler Softwareentwicklung vereint.

Für die Entwicklung der Codefy Turing-Prüfassistenten hat Codefy einen qualitätsgesicherten Standardprozess entwickelt und für die Projekte ausgeführt. Im Rahmen dieses Prozesses wurden zunächst die Anforderungen definiert, anschließend wurde aus technischer und fachlicher Sicht die Umsetzbarkeit analysiert. Es wurden Trainingsdaten erhoben, mit welchen der Codefy Turing-Prüfassistent konfiguriert wurde. Schließlich fand eine Qualitätsprüfung statt, bevor der jeweilige Codefy Turing-Prüfassistent ausgerollt wurde. Während des Betriebs erlaubt die Codefy Turing-Technologie eine iterative Verbesserung der Prüfassistenten.

Ergebnisse, Bewertung und Fazit

Im Ergebnis konnte bereits nach sechs bis neun Monaten gezeigt werden, dass KI unter Einhaltung der regulatorischen Rahmenbedingungen für die juristische Dokumentenanalyse praxistaugliche Ergebnisse liefert.

Im Falle der zivilprozessualen Aktenanalyse wurde ein Codefy Turing-Prüfassistent für Dieselklagen entwickelt, welcher innerhalb von wenigen Sekunden aus hunderten Schriftsatzseiten die entscheidungserheblichen Aspekte identifizieren konnte. Das Gericht konnte sodann mithilfe einer in Codefy integrierten Strukturierungsfunktion schnell eine Relationstabelle für den Fall anlegen und auf Basis dieser Analyse eine Entscheidung fällen.

Für den Baukonzern wurde ein Codefy Turing-Prüfassistent zur Analyse von Bauausschreibungen auf vertragliche Risiken entwickelt. Hier konnte nicht nur eine Zeitersparnis von vielen Stunden auf etwa 15 Minuten je Prüfung realisiert werden, sondern der Prüfassistent berücksichtigte auch Dokumente wie Baupläne und Anlagen, was bei einer rein manuellen Durchsicht aufgrund mangelnder Zeit nicht möglich gewesen wäre.

Damit zeigt sich, dass bereits heute KI für die juristische Arbeit bei weitem nicht mehr nur experimentellen Charakter hat, sondern richtig angewendet eine erhebliche Arbeitserleichterung bedeuten kann.

Autor: Lucas Ludolph ist Head of Legal Engineering und Legal Counsel der Codefy GmbH. Er war für eine international führende Wirtschaftskanzlei tätig. Lucas Ludolph hat in Freiburg i.Br. studiert und das Rechtsreferendariat im OLG Bezirk Stuttgart absolviert.

Autor: Niklas Mennekes ist Legal Engineer und Legal Counsel der Codefy GmbH und betreut insbesondere Kunden aus der Justiz. Er hat in Freiburg i.Br. studiert und das Rechtsreferendariat im OLG Bezirk Karlsruhe absolviert.

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