Fachartikel

Mandantenpflege im Digitalzeitalter

Zu Beginn der 20er Jahre ist anwaltliche Kundenpflege wichtiger denn je. Lesen Sie mehr über die Hintergründe, Does and Don’ts in einem ganz speziellen Markt.

I. Einführung: Houston, wir haben ein Problem!

Die Mandantschaft ist anspruchsvoller geworden, und sie steht selbst stärker unter Druck als früher. Gerade hat das führende US-Marktforschungsinstitut Gartner ein neues Papier zu „5 Legal Technology Trends“ veröffentlicht, in dem es für Unternehmensmandate zunehmend aggressive Entscheidungskämpfe voraussagt. Gleichzeitig rüsten von der Seite her Anbieter juristischer Plattformen auf, die längst über simple Wenn-Dann-Lösungsangebote hinausgehen. Je umfangreicher deren Datenbestände sind, vor allem: je besser die Algorithmen werden, mit deren Hilfe die eingespeisten Informationen verarbeitet werden können, desto komplexer sind die Sachverhalte, die zu bewältigen solche Systeme in der Lage sind.

In dieser Situation ist der Verkauf von Rechtsdienstleistungen außerhalb bestimmter geschützter Areale – in der Praxis vor allem: des Notariatsbereichs – schon lange kein Selbstläufer mehr. Mandanten kaufen diese Leistungen ein, und sie erwarten einen entsprechenden Kundenservice ebenso wie eine werthaltige Kommunikation. Umso erstaunlicher ist es, dass eine entsprechende Kunden- bzw. Mandantenzentrierung zwar seit dem Ende der Wirtschaftskrise 2010 verstärkt angemahnt wird. In der Praxis wurde die entsprechende „Relationship“ aber erst einmal eher weiterhin vom kanzleieigenen Absenderhorizont her gestaltet. Die Digitalisierung schritt voran, aber die Lehre vom Empfängerhorizont verstaubte ebenso in den Regalen wie manch anderer Lehrbuchsatz. Stattdessen attestierte zum DAT 2013 die große Prognos-Studie der überwiegenden Mehrheit der Sozietäten eine „breit gestreute, nicht fokussierte Mandantenansprache“.

Und dann kam vor rund einem Jahr die Covid 19-Krise, und mit ihr wurden analoge Formate in einem nie gekannten Maße ausgebremst. Das Patentrezept der ersten Monate schien die Mandatspflege durch Webinarangebote zu sein, allerdings stellten sich hier ebenso rasch Ermüdungseffekte ein wie auf dem Markt der elektronischen Kanzlei-Newsletter in den Zehnerjahren. So leicht ist digitale Kundenpflege dann offenbar doch nicht. Das wiederum hat zwei Ursachen, eine offensichtliche und eine tieferliegende.

II. Auf der ersten Ebene: Professionalität und Medienmix

Eines vorweg: Ebenso wenig, wie Syndikusanwält:innen in den Rechtsabteilungen der Unternehmen im Verhältnis zu ihren anwaltlichen Beratern alles besser wissen, wissen anwaltliche Berater:innen im Kundenpflege-Bereich alles besser. Und ebenso, wie sich erstere auf ihr Kerngeschäft konzentrieren, sollten das auch letztere tun. Gleichwohl ist gerade in kleinen und mittelständischen Sozietäten immer noch häufig zu beobachten, dass man dort alles lieber selbst in der Hand behält, als sich adäquate Unterstützung von außen zu holen. Im lauter werdenden Konzert der Stimmen kann davor nur gewarnt werden. Im B2B-Bereich hat man es auf der gegenüberliegenden Seite mit Profis zu tun, die eigene professionell gestaltete Auftritte pflegen. Sie erwarten sie nicht nur, sie bekommen sie auch von anderer Seite. Selbst gute Dilettanten ernten 2021 aller praktischen Erfahrung nach vor allem Kopfschütteln.

Zum einen ist nämlich Mandantenpflege mehr als Kommunikation – gleichermaßen betroffen sind die Handlungsfelder Design und Verhalten. Im (Legal) Design allein werden die unterschiedlichsten Elemente wie Form, Schrift, Farbe, (Marken-)Zeichen, fotografische und andere Darstellungen mit digitaler Hilfe alle auf Mittel und Medien – eben sämtliche Kontaktpunkte einer Kanzlei – angewandt. Sodann sind für alle Schnittstellen mit Mandantenberührung Verhaltensweisen zu identifizieren, festzulegen und auszugestalten. Jede:r Kanzleiangehörige ist zugleich Botschafter:in … das auf die leichte Schulter zu nehmen kann ein folgenschweres Versäumnis sein.

Zum anderen sind auch die Kommunikationswege zum Mandanten selbst sehr vielschichtig. Sieht man von den traditionellen Printmedien und der gerade schwierigen persönlichen Kontaktpflege einmal ab, bietet sich aus unterschiedlichen virtuellen Elementen an, wie sie bereits Hammersen und Cabras in unserem Großhandbuch Recht 2030 beschrieben haben. Dazu zählen:

  • Artikel in Onlinemedien
  • Audio-Podcasts
  • Blogpublikationen in eigenen oder fremden Formaten
  • Diskussionsteilnahmen in externen Foren
  • Online-Newsletter
  • Online-Newsseiten
  • Online-Pressespiegel
  • Social Media-Accounts
  • Video-Podcasts (Youtube!)
  • Virtuelle Empfänge
  • Virtuelle Messen
  • Eigene Webinare
  • Webinar-Sponsorings
  • Websites
  • Wikis

III. Auf der zweiten Ebene: You can’t get what you want …

Allerdings, und das hat schon Joe Jackson in seinem 1984 erschienenen Album „Body and Soul“ besungen: „You Can’t Get What You Want (Till You Know What You Want)“! Das heißt, die besten Kundenpflege-Bemühungen nutzen Ihnen nichts, wenn Sie nicht wissen, wo Sie damit hinwollen. Um effektiv zum Mandanten durchzudringen, muss die Sozietät aus Mandantensicht (Empfängerhorizont!) die Frage beantworten können, warum man ausgerechnet sie ausgerechnet jetzt ausgerechnet mit den aktuellen juristischen Herausforderungen betrauen sollte. Aus dieser Perspektive wird dann auch klar, warum Newsletter und Webinar allein nicht so richtig ziehen: Sie sind Sockelangebote, die – selbst wenn sie fachlich gut sind – nicht wirklich als Argumente ziehen. Um ihre Attraktivitätsbotschaft vom Kopf wieder auf die Füße zu stellen, müssen Sozietäten in sauber durchstrukturierten Verfahren ermitteln, wer sie sind … und welchen Identitätsmix ihren Mandanten sonst niemand bieten kann. Das ist nicht einfach, aber es ist möglich (s. dazu bereits Schunder-Hartung, Erfolgsfaktor Kanzleiidentität, Wiesbaden 2020).

Die Visionen von einer attraktiven Sozietät sind entlang von Polen wie Einzel- und Gruppenbezogenheit, Pragmatismus und Idealismus durchaus unterschiedlich; dasselbe gilt für deren Leitwerte, von denen wiederum die Zielvorstellungen abhängen, mit denen eine Kanzlei ihren Mandanten begegnet. Die wiederum merken so oder so, wer zu ihnen passt oder nicht – das ist spätestens eine Frage der Preisgestaltung. Je klarer und passgenauer eine Kanzlei ihr Profil erarbeitet hat, umso besser kann sie es in einer multimedialen Welt dann auch schärfen. In dem gerade erschienen Quick Guide „Strategien für Dienstleister“ habe ich auf dieser Grundlage und aus verschiedenen agilen Anleihen mit meinen beiden Mitautoren Kistermann und Rabis den Kunstbegriff SAM geschaffen. Als Arbeitsideal meint SAM „systematisch, agil, multimedial“.

Unter dem Strich steht eine erfolgreiche Mandantenpflege im Digitalzeitalter damit mehr denn je für eine Kombinationsstrategie: Kanzleien müssen deutlich machen, warum es in einer verschärften Marktsituation ausgerechnet auf sie ankommt, und zwar mit professioneller, ganzheitlicher Umsicht.

Autorin: Dr. Anette Schunder-Hartung ist Rechtsanwältin und Inhaberin von aHa Strategische Geschäftsentwicklung. Die langjährige Redakteurin und Lehrbeauftragte hat gerade ihr drittes Buch veröffentlicht, „Strategien für Dienstleister“. Wie Mandantenbetreuung im Digitalzeitalter funktioniert, weiß sie aus ihrer praktischen Arbeit mit rund 80 Wirtschaftskanzleien. Näheres lesen Sie unter www.aha-entwicklung.de.

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