„Legal Tech schafft neue Möglichkeiten“ – Der Bayerische Justizminister Georg Eisenreich im Interview
Der bayerische Staatsminister der Justiz Georg Eisenreich (l.o.) im Interview mit LTV Herausgeber Patrick Prior (r.o.) über Legal Tech, die Förderung von StartUps, über die Zukunft der studentischen Ausbildung und des juristischen Referendariats in Bayern.
Patrick Prior: Herr Minister Eisenreich, wir hatten uns im April dieses Jahres auf der LEGAL REVOLUTION Kongressmesse in Nürnberg getroffen. Wie waren ihre Eindrücke von den dort gezeigten Entwicklungen und Ausstellern im Bereich Legal Tech? Was hat sie dort besonders beeindruckt?
Georg Eisenreich: Es freut mich sehr, dass die LEGAL REVOLUTION als führende Kongressmesse für Recht und Compliance erstmals in Nürnberg stattgefunden hat. Mehr als 1.200 Expertinnen und Experten aus der Rechts- und IT-Branche haben sich zu Recht und Compliance ausgetauscht. Ich habe viele interessante Gespräche geführt und auch die ein oder andere spannende Entwicklung persönlich getestet. Als Justizminister bin ich beispielsweise sehr interessiert an den Neuheiten des Metaverse. Ich habe am Stand des Liquid Legal Institute eine VR-Brille getestet. Da Straftäter neue Chancen für kriminelle Zwecke nutzen, hat die Justizministerkonferenz auf Initiative Bayerns den Bund aufgefordert, sich frühzeitig mit den Gefahren im Internet der Zukunft zu befassen. Zentrales Thema waren auch die generativen Sprachmodelle. Mit großem Interesse habe ich mir daher auch den Einsatz von ChatGPT für Kanzlei-Software angesehen.
Patrick Prior: Auf ihre Initiative hin gründete das Bayerische Justizministerium zusammen mit der UnternehmerTUM im September 2022 das „Legal Tech Colab“. Ihr Ministerium fördert diese Initiative dabei mit bis zu einer Million Euro pro Jahr. Was hat sich hier seit der Gründung getan? Gibt es schon konkrete Legal Tech Start-ups die gefördert worden sind?
Georg Eisenreich: Das Legal Tech Colab ist ein Inkubator und Accelerator für Legal Tech Start-ups. Das Colab unterstützt Gründerinnen und Gründer, damit sie aus innovativen Ideen erfolgreiche Legal Tech Unternehmen entwickeln können. Seit der Gründung im Sommer vergangenen Jahres haben sich bereits mehr als 70 interessierte Start-ups beim Legal Tech Colab beworben. Acht Start-up-Teams wurden bisher in das Programm des Colab aufgenommen. Drei dieser Teams haben bereits eine Seed-Finanzierung in jeweils siebenstelliger Höhe erhalten. Ein Team hat beispielsweise eine in die Designtools der Automobilindustrie integrierbare Software-Lösung entwickelt, die direkt beim Design neuer Bauteile automatisiert und deren Compliance mit geltenden Rechtsvorschriften gewährleistet.
Patrick Prior: Legal Tech sollte dringend Einzug in das juristische Referendariat halten. In Bayern haben sie daher seit Juli ein neues Wahlfach „IT-Recht und Legal Tech“ im Referendariat eingeführt. Wie wird dieses Wahlfach konkret ausgestaltet sein?
Georg Eisenreich: Unser Ziel ist es, den Referendarinnen und Referendaren bereits während der Ausbildung eine Spezialisierung und den Erwerb wertvoller Zusatzkompetenzen im Bereich der Digitalisierung zu ermöglichen. Der Stoffplan für das neue Berufsfeld ist – wie in den übrigen Berufsfeldern – auf einen Unterrichtsumfang von etwa 60 Unterrichtsstunden à 45 Minuten ausgelegt. Hiervon fallen ungefähr 45 Unterrichtsstunden auf das Informationstechnologierecht (beispielsweise Software- und IT-Vertragsrecht sowie die Regulierung digitaler Plattformen) und 15 Unterrichtsstunden auf das Recht von Legal Tech-Anwendungen. Dazu gehören u.a. die Vereinbarkeit von Legal Tech-Dienstleistungen mit dem Rechtsdienstleistungsgesetz oder haftungs- und wettbewerbsrechtliche Fragen. Weitergehende auch technische Details zu Legal Tech-Anwendungen sind zudem Gegenstand unserer seit dem vergangenen Jahr angebotenen freiwilligen Online-Veranstaltungen für Referendarinnen und Referendare.
Als Ausbildungsstelle im neuen Berufsfeld können die Rechtsreferendarinnen und Rechtsreferendare grundsätzlich jede Stelle wählen, bei der eine thematisch zum Ausbildungsstoff des Berufsfeldes passende sachgerechte Ausbildung durch einen Juristen gewährleistet ist. Dies kann z.B. ein Fachanwalt für Informationstechnologierecht, ein Legal Tech-Dienstleister, die Rechtsabteilung eines Unternehmens mit entsprechenden rechtlichen Aufgabenbereichen oder eine Kammer eines Landgerichts bzw. ein Senat eines Oberlandesgerichts sein, zu dessen Geschäftsaufgaben Rechtsstreitigkeiten mit Bezug zum Informationstechnologierecht gehören.
Patrick Prior: Im Mai dieses Jahres war zu lesen, dass ihr Bundesland Bayern zusammen mit Nordrhein-Westfalen die zukünftige Nutzung künstlicher Intelligenz in der Justiz anstrebt. Dafür soll in einem gemeinsamen Forschungsprojekt ein neues, speziell auf die Bedürfnisse der Justiz abgestimmtes, juristisches Sprachmodell entwickelt werden. Was hat es damit auf sich und wobei konkret versprechen sie sich am Ende Verbesserungen?
Georg Eisenreich: Mit dem Generativen Sprachmodell der Justiz (GSJ) wollen wir erforschen und erproben, wie ein Large Language Model (LLM) für die Justiz der Zukunft aussehen könnte. Datengrundlage sind anonymisierte Urteile der Bayerischen Justiz. Auf wissenschaftlicher Ebene wird das Projekt von der Technischen Universität München und der Universität zu Köln erarbeitet. Dieses innovative Projekt zeigt, dass wir neue technologische Entwicklungen für die Justiz nutzen wollen. Es ist auch ein gutes Signal, dass die beiden größten Bundesländer ein solches Projekt gemeinsam vorantreiben.
Patrick Prior: Gibt es noch weitere in Zukunft geplante Entwicklungen im Bereich Legal Tech in Bayern? Wie sieht es z.B. im Bereich der juristischen universitären Ausbildung aus? Welche Rolle spielt hier Legal Tech und was könnte man ihrer Meinung nach dabei noch verbessern?
Georg Eisenreich: Legal Tech schafft neue Möglichkeiten sowohl zur Automatisierung von Abläufen als auch zur Sachbearbeitung und Rechtsberatung. Dem muss die Ausbildung Rechnung tragen, um angehende Juristinnen und Juristen bestmöglich auf die Erfordernisse der späteren beruflichen Praxis vorzubereiten. Damit leisten wir auch einen wichtigen Beitrag für die Wettbewerbsfähigkeit des Rechtsstandorts Deutschlands. Die bayerischen Universitäten bieten ihren Studierenden bereits vielfältige Angebote. Diese reichen über zusätzliche Vorlesungen und Seminare bis hin zu interdisziplinären Zusatzausbildungen zu Digitalisierungsthemen. Beispielsweise gibt es einen LL.M.-Studiengang Legal Tech in Regensburg und einen LL.B.-Studiengang Legal Tech in Passau. Aber das Angebot muss weiter ausgebaut werden. Wir haben ausdrücklich in die Ausbildungs- und Prüfungsordnung (JAPO) aufgenommen, dass die Ausbildung im Studium und im Vorbereitungsdienst die Bedeutung der Digitalisierung berücksichtigt. Damit wollen wir einen Anreiz für weitere Aktivitäten setzen.
Patrick Prior: Wie ist ihr Blick auf die anderen Bundesländer? Gibt es ihrer Kenntnis nach hier ähnliche Projekte, die eventuell auch ein Vorbild für Bayern sein könnten?
Georg Eisenreich: Die Digitalisierung stellt die Justiz vor Herausforderungen, zugleich bietet sie große Chancen. Unser Ziel ist es, die Richterinnen und Richter durch digitale Tools in ihrer Arbeit zu unterstützen. Von Werkzeugen, mit denen Massenverfahren oder andere komplexe Verfahren effizienter und schneller bearbeitet werden können, profitieren alle. Wo es sich anbietet, gehen wir Kooperationen mit anderen Ländern ein. Neben dem angesprochenen Projekt mit Nordrhein-Westfalen führt Bayern beispielsweise gemeinsam mit Niedersachsen ein Forschungsvorhaben durch, wie der Parteivortrag im Zivilprozess künftig auf einer Verfahrensplattform strukturiert erfolgen kann. Hierzu wurde von der Universität Regensburg ein Prototyp entwickelt, mit dem derzeit an je zwei Pilotgerichten in Bayern und Niedersachsen von etwa 40 Richterinnen und Richtern sowie zahlreichen Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten das neue Verfahren erprobt wird. Das zeigt: Die Länder treiben die Digitalisierung der Justiz weiter voran.
Patrick Prior: Lieber Herr Minister Eisenreich, vielen Dank für das interessante Gespräch.