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KI jenseits des Hype: Vergesst ChatGPT …! ;-)

Eines muss man ChatGPT lassen: ChatGPT hat es geschafft, die bahnbrechende Künstliche-Intelligenz-(KI)-Technologie aus dem Status eines Expertensystems herauszuholen und allen Menschen zugänglich zu machen. Dass dies in Form eines Chat-Systems erfolgt ist und der Zugang für die private Nutzung zunächst kostenlos angeboten wurde, war sicher ein Geniestreich.

Jedenfalls hat es dazu geführt, dass die Branche darüber spricht und man möchte fast meinen aufgerüttelt ist. Die übliche Hype-Hektik bricht aus, alle meinen, sie müssen „Was mit ChatGPT“ machen und alle rufen wild durcheinander! Und das ist gut! Die Branche braucht solche Impulse. Ich würde mir zwar etwas mehr Ruhe und Organisation wüschen, aber auch durch solche Diskussionen kommen wir weiter.

Wer aber glaubt, dass sich KI in ChatGPT erschöpft, der verpasst den größten und spannendsten Bereich.

Was ist der Unterschied zwischen normaler Software und KI Software?

KI ist nicht neu. Die Anfänge wurden Mitte des 20. Jahrhunderts gemacht. Seitdem wurden viele KI-Anwendungen entwickelt und jeder von uns setzt häufig KI-Tools ein bzw. ist damit konfrontiert, z.B. bei Gesichtserkennung, Verkehrszeichenerkennung oder Vorschlägen bei Suchanfragen im Internet.

Aber was ist der Unterscheid zwischen KI und normaler Software? Software basiert auf einer vordefinierten Logik und führt vorher festgelegte Anweisungen aus. Bei KI hingegen analysiert das System Daten und „lernt“ aus ihnen, um daraus Entscheidungen zu treffen. Es kann also auch nicht vorhergesehene Eingaben verarbeiten und ist damit flexibler.

Obwohl es die Technologie schon eine Weile gibt, stehen wir immer noch sehr am Anfang der Entwicklung. Technisch gesehen bewegen sich alle Tools auf dem Markt noch im Bereich der sog. Schwachen KI. Zum Vergleich: eine starke KI soll in etwa mit dem menschlichen Gehirn mithalten können. Bis dahin wird aber wohl noch eine Weile vergehen.

Die KI halluziniert – nur die?

Jurist:innen sind sehr gut darin, Fehler zu finden und schnell darauf aufmerksam zu machen. Daher verwundert es nicht, dass sich viele Kolleg:innen auf das sogenannte „Halluzinieren“ der aktuellen KI-Tools stürzen und den Systemen die Kompetenz abzusprechen. Ein einfaches, bewährtes Vorgehen, um sich vor Veränderungen zu schützen. In der Tat liefern die aktuellen KI Systeme teilweise unvorhergesehene, falsche Ergebnisse. Das musste z.B. schmerzlich ein Kollege in den USA lernen, der von der KI vorgeschlagene Referenzfälle bei Gericht eingereicht hat, die es tatsächlich gar nicht gab.

Dennoch müssen zwei Sachen dabei bedacht werden: Zum einen arbeiten auch die Kolleg:innen oder von diesen eingesetzte Zuarbeiter:innen nicht immer fehlerfrei. Zum anderen ist auch Software an sich fast nie komplett fehlerfrei; dennoch wird letztere flächendecken eingesetzt.

Man muss sich immer bewusst machen, dass die Technik ein Hilfsmittel ist, aber die Verantwortung für das Ergebnis nach wie vor bei den Autor:innen liegt.

Was ist das Besondere an ChatGPT?

GPT steht für Generative Pre-Trained Transformer. Um den Zugang zu erleichtern wurde diese Technologie in Chat Form angeboten, eine Technik die die meisten von Nachrichtendiensten wie WhatsApp o.ä. kennen.

Die Generative KI ist eine spezielle Technik, die geeignet ist, eigene Texte zu erstellen und somit kreativ sein kann. Diese wurde auf einem sehr großen Datensatz (einem sog. Large Language Model, LLM) trainiert, das vermeintlich 55% des Welt-Wissens beinhaltet (allerdings nur bis September 2021, spätere Daten sind nicht enthalten). Die Transformer-Technologie ist schließlich besonders gut in der Lage, die Abhängigkeiten und Zusammenhänge von Wörtern zu beurteilen. Basierend auf den Trainings, prognostiziert die Technik das wahrscheinlichste nächste Wort. Auf dieser mathematischen Wahrscheinlichkeits-Basis werden Texte erstellt.

Um die Anfragen an das System zu stellen, formuliert man einen Text mit einer Frage (sog. Prompting). Je genauer die Eingabe ist, desto hilfreicher die Antwort. Prompting ist eine der Techniken, die Jurist:innen schnell erlernen sollten.

Alleine für die Texterstellung gibt es neben ChatGPT jedoch auch jetzt schon sehr viele Tools, wie z.B. Microsoft Bing Chat (basierend auf ChatGPT, aber mit aktuelleren Daten) und Google Bard.

Welche anderen Einsatzmöglichkeiten gibt es für KI?

Aber auch im Bereich der Textverarbeitung gibt es andere KI-Tools und Einsatzbereiche, die ChatGPT nicht abdeckt, aber ggf. ergänzt:

  • Ein Beispiel dafür ist die Automatisierung von Routineaufgaben und die effiziente Organisation des Fall-Managements. Die Legal-Action-Platform June setzt dazu auch eigene KI-Tools ein, um den gesamten Ablauf einer Akte integriert darzustellen.
  • Die Firma Henchman nutzt KI zum Beispiel, um bei der Erstellung und Verhandlung von Verträgen zu unterstützen. Dabei setzt sie auf einer KI-Aufbereitung der firmeneigenen Dokumente auf.
  • Die Content Intelligence Platform der Firma Rellify baut sog. Neuraversen auf. Dazu werden alle relevanten Daten eines Unternehmens in eine KI-Umgebung integriert und für Auswertungen abrufbar gemacht.
  • Der KI-Chatbot von Jupus hilft Kanzleien die Mandatsannahme klarer zu strukturieren, erkennt automatisch um welches Gebiet es sich handelt, stellt dazu die richtigen Fragen und senkt die Hürde zur Kontaktaufnahme für Mandanten.

Darüber hinaus ist der Einsatz bei der Entscheidungsunterstützung oder der Vorhersage von Rechtsausgängen, etc. denkbar.

Aber auch in anderen, nicht textbezogenen Bereichen gibt es sehr viele KI-Tools, die jetzt schon im Einsatz sind. Hier ein paar prominente Beispiele:

DeepL-Write – KI Schreibassistent:
DeepL ist vielen als gutes Übersetzungsprogramm bekannt. Auch weil dabei KI eingesetzt wird, ist DeepL so hervorragend. Nun gibt es ein weiteres Tool aus diesem Haus, das dabei hilft, Texte schöner zu Formulieren. Für Jurist:innen, die kundenorientierte Texte schreiben wollen und vielleicht das Juristen-Kauderwelsch verringern wollen, sicherlich ein hilfreiches Tool.

Midjourney – Bilder von KI erstellt:
Die KI kann auch Bilder erstellen, beispielsweise mit Midjourney. Die Eingabe erfolgt ähnlich wie bei ChatGPT über einen Prompt. Bittet man das System ein Bild zu zeichnen („/imagine“), reichen Anweisungen wie „Male mir eine Schnecke auf einem Surfboard in hohen Wellen im Sonnenuntergang“. Man kann aber noch viele weitere Anweisungen hinzufügen wie z.B. „Stelle dir vor du bist Helmut Newton und machst ein Bild mit einem 50mm Objektiv, …“. Auch kann man Ausgabe-Formate, die Art des Bildes etc. angeben. Das System erstellt dann vier Varianten von Bildern für die Abfrage. Man kann sich dann entweder eine Variante in besserer Form wiedergeben lassen, ober basierend auf einer Variante vier neue, abgeänderte Varianten erstellen lassen.

Runway – KI erstellt Filme:
Weiter geht die Entwicklung dahingehen, dass auch kurze Filme nach Textvorgaben erstellt werden können. Bei Runway.ai (das aktuell in einer neuen Version 2.0) angeboten wird, kann man das System bitten kurze Filme zu erstellen, was auch schon hinreichend gut klappt.

Ausblick

Wir befinden uns aktuell in der 6. Welle von Schumpeters Innovations-Zyklen. Ein wichtiger Teil davon ist KI. KI ist eine Superkraft die unsere nächsten Jahre bestimmen wird. Darum ist es jetzt höchste Zeit zu lernen, wie wir KI gewinnbringend einsetzen können. Denn für die nächsten Jahre gilt: KI wird unsere Jobs so schnell nicht übernehmen können (jedenfalls nicht ohne den „Human in the loop“). Aber Menschen die KI einsetzen werden die Menschen ersetzen, die keine KI einsetzen.

Weiter geht’s …

Dieser Artikel ist der Auftakt zu einer Reihe, in der wir die Hintergründe und Bewegungen im Bereich KI für Jurist:innen aufgreifen und erklären werden. Regelmäßig werden wir Begriffe erklären, Tools vorstellen und über Trends berichten.

Autor: Stefan Schicker ist Rechtsanwalt und Partner bei SKW Schwarz sowie Innovationsberater mit speziellem Fokus auf KI und Mindset-Wandel.

👉 Hier alle Teile des KI Kurses im Überblick anschauen

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